Maria Eichhorn, geboren 1948, war von 2006 bis 2009 Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Zudem ist sie Mitglied im Zentralkommitee der Deutschen Katholiken. Sie plädiert für ein strenges Drogenverbot und stimmte in der Legislaturperiode 2005 bis 2009 gegen eine Abgabe von künstlichem Heroin an Schwerstabhängige.

fluter: Muss man den Drogenkonsum nicht akzeptieren?

Eichhorn: Nein. Wer Drogen konsumiert, begibt sich in eine Gefühlswelt, die von künstlichen Glücksmomenten bestimmt ist. Er vergisst seine Sorgen und meint, es gehe ihm gut. Die Ernüchterung kommt immer dann, wenn der Drogenrausch abklingt.

Das ist bei legalen Drogen wie dem Alkohol ähnlich. Wo ist der Unterschied zwischen legal und illegal?

Sowohl die legalen als auch die illegalen Drogen sorgen für einen bestimmten Kick, ein gutes Gefühl. Sei es durch Nikotin oder Alkohol oder illegale Drogen bis hin zum Heroin. Der Grund ist vergleichbar – aber die Auswirkungen können sehr unterschiedlich sein.

Sie halten Verbote von Drogen für notwendig. Warum?

Es wäre schön, wenn der Appell an die Vernunft und die Aufklärung alleine helfen würde, aber das ist leider nicht der Fall, und deswegen spreche ich mich auch für Verbote aus: um den Menschen zu schützen.

Macht ein Verbot die Drogen nicht noch interessanter?

Sicher ist gerade für junge Menschen das, was verboten ist, besonders interessant und reizt zum Ausprobieren. Aber letztlich soll das Verbot helfen, bewusst zu machen, dass diese Drogen gesundheitsschädigend sind.

Welche Gefahren gehen für Jugendliche von Drogen aus?

Je früher Kinder oder Jugendliche beginnen, Drogen zu konsumieren, umso schädlicher ist es, weil die Entwicklung beeinträchtigt werden kann und die Gefahr einer Abhängigkeit durch den frühen Konsum steigt.

Was ist die Rolle des Staates in der Drogenfrage?

Der Staat hat auf jeden Fall die Aufgabe, aufzuklären und den Menschen zu schützen. Und wenn die Aufklärung alleine nicht reicht: Gesetze zu erlassen.

Und welche Rolle spielt die Familie?

Die Familie trägt im Umgang mit Drogen große Verantwortung. Ich erwarte von den Eltern, dass sie mit den Kindern und Jugendlichen über die Problematik sprechen – und natürlich auch selbst verantwortungsvoll mit legalen Drogen umgehen. Werden in Familien illegale Drogen konsumiert, hat das meistens auch für die Kinder fatale Auswirkungen.

Wie wichtig ist die Schule für die Aufklärung?

Es muss schon im Kindergarten beginnen, dass Kinder stark genug gemacht werden, um auch Nein zu sagen. Junge Menschen müssen früh lernen, dass sie nicht alles mitmachen müssen, was ihre Freunde oder ihre Clique ihnen sagen. Sie müssen lernen, sich selbst eine Meinung zu bilden und selbst Verantwortung für ihr Tun zu tragen.

Und wie sieht ganz konkret eine wirksame Prävention aus?

Gute Projekte setzen auf kommunaler Ebene an. Gastwirte und kommunale Verantwortliche treffen ein Abkommen, nach dem alle Akteure vor Ort gemeinsam präventiv arbeiten und dafür sorgen, dass die Jugendschutzgesetze eingehalten werden. So wird bei Festen kontrolliert, ob die Abgabe von Alkohol tatsächlich dem Gesetz entspricht. Prävention heißt auch, über die Folgen des „Komasaufens“ aufzuklären. Die Einhaltung der Gesetze und Aufklärung sind notwendig, um Jugendliche vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Lokale Netzwerkarbeit kann hier viel erreichen. Neben solchen Initiativen können Kommunen beispielsweise Flatrate-Partys oder den Alkoholkonsum an bestimmten Plätzen verbieten. Verbote allein sind aber zu wenig. Die Jugend braucht Räumlichkeiten, wo sie sich trifft und wohlfühlt.

Sie haben sich wiederholt gegen die Legalisierung von Cannabis eingesetzt. Warum sollte das verboten bleiben?

Weil Cannabis, wie durch wissenschaftliche und medizinische Studien belegt wurde, schon bei einer geringen Menge erhebliche Beeinträchtigungen für die Gesundheit des Konsumenten haben kann. Es gibt eine Schweizer Studie, die besagt, dass bereits bei einer kleinen Dosis schwerwiegende Angststörungen und in weiterer Folge sogar Realitätsverlust und Entpersonalisierung ausgelöst werden können. Bei langfristigem Konsum gibt es eine Reihe von Beeinträchtigungen mit großen gesundheitlichen Risiken bis hin zur physischen und zur psychischen Abhängigkeit. Es ist keineswegs so, dass Cannabis eine Spaßdroge ist, die man so schnell zwischendurch konsumieren kann.

Was kritisieren Sie an einer liberalen Drogenpolitik?

Bei einer liberalen Drogenpolitik ist nach meiner festen Überzeugung die Gesundheit des Menschen kein Thema. Denn wenn die Liberalisierung der Drogen selbstverständlich ist, dann wird die Gefahr, die mit dem Drogenkonsum einhergeht, vernachlässigt und verniedlicht. Zugleich geht die wichtige Schutzfunktion des Verbots verloren, die eben doch eine Einschränkung des Drogenkonsums bewirkt.

Legalisierungsbefürworter kritisieren die Realitätsferne der Verbote weicher Drogen und das Elend, das durch die Kriminalisierung harter Drogen entsteht. Sie plädieren für einen kontrollierten Kontrollverlust.

Ja, es gibt diese These, dass man viele Kosten einsparen könnte, weil es zum Beispiel nicht zur Beschaffungskriminalität und den damit einhergehenden Folgen, wie Raub und noch schlimmeren Delikten, kommen würde. Aber letztlich bedeutet „gewähren lassen“, dass man die Drogenabhängigen sich selbst überlässt und deren Gesundheit letztlich so stark geschädigt werden kann, dass es bis zum Tod führt. Und deswegen halte ich es für richtig, dass alles versucht wird, den Drogenabhängigen zur Abstinenz zu verhelfen. Das wäre für mich die richtige Drogenpolitik.

Kann es nicht sein, dass illegale Drogen gerade deshalb so schädlich sind, weil Produktion und Vertrieb im Verborgenen und ohne öffentliche Qualitätskontrollen stattfinden?

Natürlich können verunreinigte Drogen eine noch schwerere, schwierigere oder noch erheblich heftigere Wirkung haben. Aber auch wenn Heroin in einer Fixerstube regelmäßig konsumiert wird, führt dies zur Gesundheitsschädigung. Eine verunreinigte Droge kann durch Zusatzstoffe schon beim erstmaligen Konsum zu gesundheitlichen Schäden führen, aber auch die „saubere“ Droge ist gesundheitsschädlich.

Langfristig gesehen sind ja auch die Drogen, die bei uns erlaubt sind, nicht so richtig gesund. Tabak und Alkohol sind erlaubt – wie entscheidend ist denn dafür, dass der Staat damit auch Steuern einnimmt?

Am strikten Rauchverbot in Bayern, das ja vom Volk durch den Volksentscheid herbeigeführt worden ist, zeigt sich, dass das letztlich keine Rolle spielen darf. Der Staat hat in erster Linie die Aufgabe, für die Gesundheit seiner Bürger zu sorgen. Und die Steuermittel, die aufgrund von Alkohol und Tabak eingehen, dürfen nicht maßgebend sein.

Wie konsequent ist denn die gesetzliche Trennung zwischen legalen und illegalen Drogen?

Alle Drogen können schädlich sein, egal ob legal oder illegal. Die unterschiedliche Behandlung durch den Gesetzgeber liegt sicher auch in unserer Geschichte und Kultur begründet. Alkohol ist bei uns schon immer von den Menschen hergestellt worden – als Wein oder Bier. Und auch Tabak ist in unterschiedlicher Form schon von alters her als Genussmittel verwendet worden. Deswegen haben legale Drogen einen anderen Status in unserer Gesellschaft und auch im Staat als die illegalen Drogen. Dennoch geht es auch bei den legalen Drogen darum, dass wir verantwortungsvoll mit ihnen umgehen.

„Es geht um den kontrollierten Kontrollverlust“

Bernd Dollinger, geboren 1973, lehrt Sozialpädagogik an der Universität Siegen. Als Mitherausgeber verschiedener Publikationen widmete er sich abweichendem Verhalten, der Jugendkriminalität, der sozialpädagogischen Erziehung des Bürgers, der neuen „Lust am Strafen“ und der sozialwissenschaftlichen Suchtforschung. Bernd Dollinger ist Mitglied im Schildower Kreis, einem Netzwerk aus renommierten Wissenschaftlern, die sich gegen eine Prohibition aussprechen.

fluter: Gehört die Suche nach dem Rausch nicht zum Menschen?

Dollinger: Ich halte es für ziemlich naiv, eine Gesellschaft ohne Drogenkultur herbeiführen zu wollen. Viele Menschen suchen im Drogenkonsum offensichtlich Erfahrungen, die ihnen der Alltag normalerweise nicht bietet. Insofern ist das Idealbild der völligen Abstinenz unrealistisch. Umso wichtiger ist es aber, den Drogenkonsum sicher zu gestalten.

Wäre demzufolge jede sinnvolle Prävention eine Lehre vom vernünftigen Umgang mit dem Unvernünftigen?

Der Begriff „Prävention“ ist durch diese Abstinenzvorstellungen sehr belastet. Wenn man aber präventiv tätig sein will, darf man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen.

Das hört sich an, als würden Sie den Jugendlichen einen verantwortungsvollen Umgang mit Drogen zutrauen?

Den standardisierten Jugendlichen gibt es nicht, sondern sehr unterschiedliche Lebenslagen und sozial eingebundene Lebensphasen. Wenn ich zum Beispiel behaupte, „die Jugend“ würde von wiederkehrenden Drogenwellen überrollt, dann ist dies nur eine Defizit-Zuschreibung und ich werde mit ihr kaum ernsthaft ins Gespräch kommen können. Man muss anerkennen, dass Jugendliche eigenständige, kompetente Akteure sind, und auf dieser Grundlage mit ihnen sprechen.

Und was ist denn mit dem 17-Jährigen, der kifft und deshalb in der Schule nicht mehr mitkommt?

Auch hier ist es nicht damit getan, den Drogenkonsum zu unterbinden. Man muss sich fragen: Gibt es hier tatsächlich eine eskapistische Verhaltenstendenz? Wenn man von einem jungen Menschen sagt, dass er sein Leben nicht im Griff hat, weil er Drogen nimmt, dann ist die Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung groß. Man weiß aus der Forschung, dass Drogen dann kontrolliert konsumiert werden, wenn jemand sozial eingebunden ist und Perspektiven hat, zum Beispiel einen Freundeskreis oder einen Ausbildungsplatz. Dann werden Drogen etwa nur am Wochenende konsumiert. Fliegt aber jemand wegen seines Drogenkonsums von der Schule, dann werden Dinge in Gang gesetzt, die alles schlimmer machen oder Probleme verschärfen.

Macht ein Verbot die Drogen noch interessanter?

Die Konsumenten wissen doch genau, dass Cannabis verboten ist. Das heißt aber auch: Sie nehmen bewusst ein Risiko in Kauf, und dieses Risiko macht den Drogenkonsum für manche besonders attraktiv. Er ist dadurch noch weniger alltäglich.

Die einzigen Drogen, die gesellschaftlich akzeptiert werden, sind Zigaretten und der Alkohol. Ein Bierchen gehört fast schon zum Initiationsritus.

Alkoholkonsum gilt als normal unter Erwachsenen. Als schwierig gelten eher die, die dauerhaft abstinent sind. Dann wird gesagt: „Na ja, vielleicht hatte er ja mal ein Alkoholproblem.“ Ein kompetenter Alkoholkonsument zu werden, das ist durchaus eine Art Initiationsritus – indem Jugendliche Mengen austesten, unterschiedliche Arten ausprobieren. Das ist bei anderen Drogen genauso. Wenn ich dazugehören will, dann konsumiere ich eben entsprechende Dinge, lerne aber zugleich von der Gruppe, wie das ohne gesundheitliche oder psychische Gefahren geht. Gerade deswegen kommt es darauf an, diesen Prozess sinnvoll zu gestalten, anstatt pauschal mit Defiziten zu argumentieren oder mit dem strafrechtlichen Hammer draufzuhauen.

Gerade in Bayern, wo besonders restriktiv gegen Cannabis vorgegangen wird, gibt es ritualisierte Massenbesäufnisse wie das Oktoberfest. Ist das aus Ihrer Sicht glaubwürdig?

Das Oktoberfest ist ein ritualisierter Raum, in dem man über die Stränge schlagen kann. Wobei das nicht mit einem absoluten Kontrollverlust einhergehen muss. Die Festzelte sind sozusagen Räume für den kontrollierten Kontrollverlust, denn die Leute finden anschließend wieder in die Normalität zurück.

Andere wachen aber im Krankenhaus und nicht in der Normalität auf. Ist das Komatrinken ein Problem oder nur ein Zerrbild der Medien?

Natürlich ist es ein Problem, wenn die Jugendlichen in manchen Kneipen für einen gewissen Betrag ohne Ende trinken können. Aber mit diesen Kategorisierungen – die Jugendlichen würden immer mehr trinken, könnten nicht mit Alkohol umgehen – kommt man nicht weiter. Man muss den jungen Menschen auch einen gewissen Freiraum geben, mal ein bisschen über die Stränge zu schlagen. Sonst sagen sie: „Okay, jetzt habe ich schon eine Grenze überschritten, jetzt kann ich gleich weitertrinken.“

Warum sind Alkohol und Zigaretten, an deren Folgen deutschlandweit im Jahr Zehntausende sterben, erlaubt und Marihuana nicht?

Alkohol und Tabak haben durch die Steuern natürlich einen ökonomischen Nutzen, der in der Politik auch eine Rolle spielt. Bei illegalen Drogen gibt es außerdem mittlerweile eine jahrzehntelange Erzählung, nach der sie etwas Verbotenes und Schlechtes sind. Das hat sich ins kulturelle Gedächtnis eingegraben. Dabei sollte der staatliche Umgang mit Drogen an klaren empirischen Erkenntnissen orientiert sein. Und wenn man nun einmal weiß, dass die Kriminalisierung kontraproduktive Effekte hat, dann sollte man damit entsprechend vorsichtig sein.

Gegen Drogen wird weltweit gekämpft, etwa in Kolumbien gegen den Kokaanbau und in Afghanistan gegen den Opiumanbau. Man stelle sich vor, eine Koalition aus islamischen Nationen würde Deutschland besetzen und als erstes die Hopfenfelder in Bayern niederbrennen …

Ein sehr schönes Beispiel. Es ist unglaublich, wie viel Schaden in diesem „Krieg gegen Drogen“ auf vielen Ebenen angerichtet wird. Das geht los mit dem Drogenkonsumenten, der verunreinigte Substanzen bekommt, weil es keine Kontrolle gibt – bis hin zu unerwünschten Dingen wie der organisierten Kriminalität. So lange diese Gewinne existieren, ist es offensichtlich, dass es Leute gibt, die das Zeug anbauen. Erstaunlich, wie lange man daran festhält, wo doch die Kontraproduktivität gerade hier sehr deutlich ist.

Was halten Sie denn von Konsumräumen, in denen kontrolliert Drogen konsumiert werden können?

Das ist eine Quasi-Liberalisierung, die keinen echten Fortschritt bringt, weil die Leute schon verelendet sein müssen, um Zugang zu einem solchen Konsumraum zu haben. Die Frage, woher diese Verelendung rührt, wird dabei nicht beantwortet.

Sie sind Mitglied im Schildower Kreis, in dem Wissenschaftler vernetzt sind, die sich gegen die Prohibition aussprechen. Was müsste passieren, damit sich diese Haltung durchsetzt?

Es geht immer nur um Bedrohungsszenarien. Nach dem Motto: Achtung, es gibt eine neue Welle, die Jugendlichen sind gefährdet, wir müssen rigide vorgehen und das verbieten. Wenn es eine neue Substanz ist, werden einfach die Anhänge zum Betäubungsmittelgesetz geändert. Wenn man da ernsthaft Änderungen herbeiführen will, muss man erst einmal mit einer Wand der Indifferenz oder anders gelagerten Interessen rechnen. Da gibt es eine starke Dämonisierung.

Besoffen, bekifft, verpeilt, verstrahlt und druff

Unter www.drugcom.de kann man einen Test machen, ob man seinen Drogenkonsum im Griff hat. Dort findet man auch Adressen, wo man sich helfen lassen kann. Drugcom.de ist ein Projekt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die sich mit Aufklärung und Vorbeugung befasst. Neben Alkohol, Zigaretten und illegalen Rauschmitteln klärt sie auch über Suchtverhalten bei Computerspielen auf.