Wenn ein Staat wirklich sauer ist auf einen anderen Staat, dann kann er protestieren. Großbritannien hat kürzlich gezeigt, wie das geht: Es hat den libyschen Botschafter und seine Mitarbeiter einfach aus dem Land geworfen. Die britische Regierung hat Gaddafis Botschafter zur Persona non grata und auch jeden seiner Diplomaten zur unerwünschten Person erklärt. Es blieben ihnen dann nur noch ein paar Tage, um ihre Kisten zu packen und One-way-Tickets nach Tripolis zu buchen.
Keiner dieser Libyer hatte etwas Unerlaubtes getan. Aber die Regierung des Diktators Gaddafi, der sie dienten, führte gegen die Aufständischen im eigenen Land Krieg. Dagegen hatte der britische Staat protestiert. Er wollte das Gaddafi-Regime und somit seine Gesandten nicht mehr akzeptieren. London erkannte stattdessen den Übergangsrat der Rebellen als rechtmäßigen Vertreter Libyens an. Durch derlei Aberkennung wie auch Anerkennung können Staaten ihren Protest ausdrücken.
Deutschland wollte nicht ganz so weit gehen. Es wies den libyschen Botschafter nicht aus, Außenminister Guido Westerwelle bestellte ihn in Berlin ins Auswärtige Amt ein. Er bekam dort von einem deutschen Diplomaten gleichen Ranges einen Brief überreicht, eine sogenannte Verbalnote, in der Deutschland seine Sorge über das Verhalten der Gaddafis ausdrückte. Auch der syrische Botschafter wurde ins Berliner Außenministerium zitiert und zwar mehrfach, weil sein Herrscher daheim die Demonstranten niederknüppeln ließ. Auch für ihn gab es Protestworte zur Weiterleitung an seine Regierung. Und wie immer, wenn ein Land gegen irgendetwas protestiert, wurde das auch diesmal öffentlich verkündet. Das soll zeigen: Wir kümmern uns, wir machen Druck.
Doch wie dieser Druck aufgebaut wird, ist international nicht geregelt. Das viel zitierte Völkerrecht ist nämlich kein Gesetzbuch, sondern lediglich ein Überbegriff für alle einzelnen überstaatlichen Vereinbarungen – bis hin zur Charta der Vereinten Nationen. Darin gibt es den formalen Protest zwar als Mittel. Aber jeder Staat kann selbst entscheiden, ob und wie scharf oder milde er protestieren will. Es gibt keine allgemeingültige Eskalationsleiter, die ein Staat mit wachsender Empörung Stufe um Stufe hochklettern könnte. Traditionell beginnt der Protest jedoch auf der Ebene der Botschaften. Es gibt aber nicht einmal da Regeln, ob nun schriftlich oder mündlich protestiert wird. So kann es schon Protest sein, wenn der deutsche Botschafter in Minsk oder Moskau einen russischen Menschenrechtler empfängt.
Woher nehmen sich Staaten das Recht, überhaupt gegen andere zu protestieren? Sie dürfen das dem Völkerrecht nach, wenn sie die Menschenrechte oder den Frieden gefährdet sehen. Und Staaten können immer protestieren, wenn sie sich direkt bedroht fühlen; wenn ihr Volk angegriffen oder die Grenze verletzt wurde. Als Truppen des Warschauer Pakts 1968 den sogenannten Prager Frühling niederwalzten, war die Protestnote die einzige, verzweifelte Gegenwehr: „Die Regierung der Tschechoslowakei protestiert auf das Entschiedenste gegen diesen Akt.“ Mehr konnte sie nicht tun. Über 20 Jahre später, im Wendejahr 1989, protestierte die Bundesrepublik Deutschland gegen die Tschechoslowakei. Tausende DDR-Bürger suchten Zuflucht in der bundesdeutschen Botschaft in Prag. Tschechische Polizisten versuchten sie aufzuhalten: „Deutsche Staatsangehörige am Betreten der Botschaft zu hindern ist für die Bundesregierung inakzeptabel“, hieß es in der Bonner Protestnote. Sie zeigte Wirkung: Außenminister Genscher konnte den Tausenden Botschaftsflüchtlingen später vom Botschaftsbalkon aus verkünden, „dass ihre Ausreise genehmigt ist“.
Als 1961 die Mauer gebaut wurde, hieß es in einer amerikanischen Protestnote an Moskau: „Die Regierung der Vereinigten Staaten protestiert feierlich gegen die Maßnahmen, für die sie die sowjetische Regierung verantwortlich macht. Die Regierung der Vereinigten Staaten erwartet, dass die sowjetische Regierung diesen illegalen Maßnahmen ein Ende setzt.“ Schwächer hätte ein Protest nicht klingen können, während ein Teil eines Volkes eingemauert wurde. Die USA hatten tatsächlich nur pro forma protestiert. Sie zogen es vor, den Frieden mit der Sowjetunion zu wahren.
Das heftigste Protestmittel ist der Krieg
Als wie stark ein Protest empfunden wird, hängt immer von den Beziehungen zwischen den jeweiligen Ländern ab. So hat der König von Saudi-Arabien kürzlich im arabischen Fernsehen gesagt: „Was in Syrien stattfi ndet, ist inakzeptabel.“ Er rief seine Nachbarregierung dazu auf, „die Todesmaschinerie zu stoppen und das Blutvergießen zu beenden“. Ähnliches hatten europäische Politiker längst gesagt, doch wenn der mächtigste Monarch Arabiens zu den direkten Nachbarn so spricht, gilt sein Protest als viel schärfer.
Um mit dem Protest hinterher nicht allein in der Pfl icht zu stehen, starken Worten auch Taten folgen zu lassen, protestieren Staaten gern gemeinsam. Das nennt man dann Protest auf multilateraler Ebene. Auf Gipfeltreff en zu ganz anderen Th emen geben Staaten zuweilen eine gemeinsame Erklärung ab gegen Vorgänge in einem anderen Land, die ihnen nicht passen. So hat die Arabische Liga Libyen und Syrien ermahnt. Die EU hat das auf ihren letzten Gipfeltreff en auch getan. Selbst auf Wirtschaft sgipfeln wird protestiert, etwa gegen die Weigerung Irans, Atominspekteure ins Land zu lassen. Dann wird sogar gedroht: Wenn ihr unseren Protest nicht ernst nehmt, werden wir Sanktionen aussprechen und mit euch nicht mehr handeln! Im Rahmen der Vereinten Nationen, etwa im Menschenrechtsrat, kann Protest zur Sprache gebracht werden in Statements und eigens einberufenen Sitzungen. Sind sich alle einig in ihrem Protest, kann auch eine Resolution der UN-Generalversammlung verabschiedet werden. Zeigt auch dieser Protest im Namen der ganzen Welt keine Wirkung gegen ein Land, dann kann das heft igste staatliche Protestmittel die Folge sein: Krieg.