„Nur nachdem du die Frau eines Mudschahed (Dschihad-Kämpfer) geworden bist, wird dir bewusst, warum der Lohn dafür so hoch ist“ – so lautet ein Tweet von Aqsa Mahmood. Dass dies tatsächlich ihr Name ist, dass sie aus dem schottischen Glasgow stammt, dort Medizin studierte und sich wahrscheinlich 2013 den Kämpfern für den sogenannten Islamischen Staat (IS) (hier „Daesh“ genannt) anschloss, all das wurde erst bekannt, nachdem sie über mehrere Jahre unter dem Namen Umm Layth Propaganda für die Terrororganisation gemacht hatte. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass sie mindestens drei junge Britinnen dazu inspiriert hat, ins Bürgerkriegsland Syrien aufzubrechen, um dort Daesh zu unterstützen. Wie viele es tatsächlich sind, lässt sich kaum nachprüfen.

cms-image-000048016.jpg

Der Fotobeweis: Ist ganz nice hier bei Daesh. Mit Bildern wie diesem werben junge Frauen, die sich der Terrororganisation angeschlossen haben, im Netz um andere junge Frauen. (Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Der Fotobeweis: Ist ganz nice hier bei Daesh. Mit Bildern wie diesem werben junge Frauen, die sich der Terrororganisation angeschlossen haben, im Netz um andere junge Frauen.

(Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Doch eines ist aufgrund der geheimdienstlichen Erkenntnisse klar: Aqsa Mahmood ist Teil eines Systems, dessen Ziel es ist, Mädchen und junge Frauen aus dem Westen für Daesh zu rekrutieren. Eine amerikanische Frau namens Huda Muthawny scheint für Mädchen aus den USA zuständig zu sein, eine andere, von der nur der Vorname Bushra bekannt ist, konzentriert sich offenbar auf Italienerinnen. Von Saudi-Arabien aus macht sie Propaganda auf Italienisch. Ihre an die Frauen gerichtete PR zeigt Wirkung: Einrichtungen wie das International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) in London oder der Sicherheitsdienst Soufan schätzen, dass 700 der etwa 4.000 EU-Bürger, die sich Daesh angeschlossen haben, weiblich sind (18 Prozent).

Doch warum folgen so viele junge Frauen dem Ruf in ein Leben voller Entbehrungen und mit wenig Entfaltungsmöglichkeiten unter der strengen Auslegung der Scharia-Gesetze, wie Daesh sie verspricht? Und wie sieht die Realität bei Daesh für sie tatsächlich aus? Es ist schwer, überhaupt einen Eindruck vom dortigen Alltag zu gewinnen. Vor allem mit Hilfe von Online-Diensten wie Twitter, Tumblr, Telegram, LinkedIn und Kik – die viele Frauen westlicher Herkunft verwenden, um miteinander zu kommunizieren – lässt sich erahnen, wie es ihnen dort geht.

cms-image-000048017.jpg

Verhüllte Kriegerinnen mit Knarre und Karre: Diese Collage, die eine Werberin von Daesh auf Twitter gepostet hat, zeichnet ein wenig realitätsgetreues Bild von der Situation der allermeisten Frauen. Mal abgesehen von der Vollverschleierung. (Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Verhüllte Kriegerinnen mit Knarre und Karre: Diese Collage, die eine Werberin von Daesh auf Twitter gepostet hat, zeichnet ein wenig realitätsgetreues Bild von der Situation der allermeisten Frauen. Mal abgesehen von der Vollverschleierung.

(Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Kochtipps fürs Kalifat

Das Londoner ICSR hat die Online-Aktivitäten mehrerer Frauen überprüft, ausgewertet und daraus Dossiers zusammengestellt. Die Forscherinnen Erin Marie Saltman und Melanie Smith zeigen darin auf, dass die Daesh-Frauen komplexe Netzwerke über die verschiedenen Online-Plattformen etabliert haben. Wird ein Konto geschlossen oder gesperrt, taucht kurz darauf ein neues auf. Die Werberinnen wie Aqsa Mahmood oder Huda Muthawny nutzen verschiedene Propagandamittel. Dazu gehören Fotos von Sandstürmen oder gefährlichen Episoden bei der Einreise, die wohl die Abenteuerlust wecken sollen, und verklärende Gedichte, da die Poesie in arabischen Ländern einen hohen Stellenwert hat („Nein! Sagt nicht: Wir brauchen keinen Dschihad. Denn es gibt kein gutes Leben, ohne dass wir unser Blut opfern“, schreibt eine Syrerin, die sich Ahlam al-Nasr nennt, „Träumerin des Sieges“). Und es zählen praktische Empfehlungen dazu, etwa wie man im „Kalifat“ – so nennen die Frauen die Herrschaft von Daesh – leckere Mahlzeiten zubereiten kann und wie sich die komplizierte Einreise nach Syrien bewerkstelligen lässt.

Das alles wird in einer Sprache vermittelt, die auf Teenager abgestimmt ist. Eine Komposition aus Slang, dem einen oder anderen Vers aus dem Koran und vor allem jeder Menge Emoticons. Das wichtigste Lockmittel ist aber die Ideologie. Frauen, die sich den Daesh-Kämpfern anschließen, wird ein sicherer Platz im Paradies und die Teilhabe am Aufbau des Kalifats als einer utopischen Gesellschaft versprochen. Ein frommes Leben, frei von den Zwängen der westlichen Konsumgesellschaft und sogar eine verquere Form der Selbstverwirklichung als Frau.

cms-image-000048018.jpg

Auch dieses martialische Propaganda-Bild führt in die Irre. Die Aufgaben einer Frau bei Daesh sind: Ehefrau und Mutter sein, den Männern „Sesshaftigkeit, Ruhe und Stabilität“ bieten. (Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Auch dieses martialische Propaganda-Bild führt in die Irre. Die Aufgaben einer Frau bei Daesh sind: Ehefrau und Mutter sein, den Männern „Sesshaftigkeit, Ruhe und Stabilität“ bieten.

(Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Die weibliche Variante des Heiligen Kriegs: Heiraten

Diese Selbstverwirklichung besteht aber hauptsächlich darin, Daesh-Kämpfer zu heiraten. Zwar gibt es für einige Frauen auch die Möglichkeit, aktiv am Heiligen Krieg teilzunehmen, indem sie Mitglied der weiblichen Al-Khansaa-Brigade werden. Deren Aufgabe ist es, in den Straßen der Daesh-Hochburgen wie Rakka und Mossul die religiöse Tugendhaftigkeit der Frauen zu bewachen. Vor allem aber geht es darum, dass die Frauen möglichst schnell heiraten und die ihnen zugedachte Rolle als Ehefrau und Mutter erfüllen. Sie sollen sicherstellen, dass die Daesh-Gebiete und das Gedankengut ihrer Bewohner über mehrere Generationen bestehen bleiben. Die Al-Khansaa-Brigade schreibt etwa in einem Manifest, dass sich die Frauen am besten am Heiligen Krieg beteiligen, indem sie ihren Männern „Sesshaftigkeit, Ruhe und Stabilität“ bieten. Dass die Frauen sich manchmal gar nicht mit ihren Männern verständigen können, ist Nebensache. Solche weltlichen Hindernisse seien zu vernachlässigen, wenn es gelte, Allahs Willen zu folgen, schreiben die Werberinnen.

Die Frauen werden nach ihrer Ankunft im Daesh-Gebiet zuerst in einer Art Wohngemeinschaft, der Makar, untergebracht. In der Makar warten sie dann auf die Daesh-Kämpfer, die kommen, um sich ihre Frauen auszusuchen. Einige Frauen behaupten, dass sie frei entscheiden können, ob sie einen Antrag annehmen oder nicht. Ob das der Realität entspricht, ist zweifelhaft. Vielmehr legen die Erkenntnisse der ISCR-Mitarbeiterinnen Saltman und Smith nahe, dass sie den Kämpfern strikt nach deren Status zugeteilt werden. Das deckt sich auch mit den Berichten von Frauen, die aus dem Islamischen Staat geflüchtet sind.

cms-image-000048019.jpg

Die Veränderung gefällt auch vielen Frauen nach einer gewissen Zeit bei Daesh nicht mehr. Doch eine Flucht ist lebensgefährlich. (Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Die Veränderung gefällt auch vielen Frauen nach einer gewissen Zeit bei Daesh nicht mehr. Doch eine Flucht ist lebensgefährlich.

(Foto: via Twitter: @UmmAnwar/@yallahAlJannahh)

Bis dass der Märtyrertod uns scheidet

Das erste „Zugriffsrecht“ haben die Emirs, dann folgen ausländische Kämpfer. Die örtlichen, einfachen Kombattanten stehen am Ende der Kette. Je wichtiger der Ehemann ist, desto größer ist sein Haus und desto mehr besitzt auch seine Frau. Verschwiegen wird, was passiert, wenn der Ehemann stirbt. Zwar gilt es als höchst ehrenhaft und erstrebenswert, Witwe eines Märtyrers zu sein. Aber tritt dieser Fall ein, geht es für die Frauen zurück in den Makar zwecks Wiederheirat. Nur sind sie diesmal keine Jungfrauen mehr und gelten nicht mehr annähernd als so wertvoll wie vor ihrer ersten Zwangsheirat.

Kein Wunder, dass bei vielen Frauen genau an diesem Punkt die Desillusion einsetzt. Einige versuchen dann zu fliehen wie Samra Kesinovic und Sabina Selimovic, die beiden bosnischen Mädchen aus Wien. Ihre Spur hat sich verloren. Samra Kesinovic soll als Bestrafung für ihren Fluchtversuch zu Tode geschlagen worden sein.