Neulich sollte ich einen Radiospot sprechen, weil mein Stottern ganz gut passen könnte, um die Aufmerksamkeit der Hörer zu bekommen. Doch daraus wurde nichts, weil ich nicht wirklich stottere, sondern eher um Worte ringe. Ich wiederhole nicht einzelne Silben, manche kommen gar nicht erst aus mir heraus. Das macht sich schlecht im Radio, weil oft gar nichts zu hören ist. Ein Fernsehspot wäre besser: Die Zuschauer könnten meine Mundwinkel zucken sehen und wie der Kampf mit bestimmten Presslauten mein Gesicht verzerrt. Sie bekämen eine Ahnung davon, warum mich mein Kumpel Alfons „Zitterlippe“ nennt. Man kann meinen Sprachfehler besser sehen als hören. Kein Wunder, wenn die Menschen am Telefon manchmal auflegen, weil sie denken, die Leitung sei tot.
Häufig spreche ich aber auch flüssig. Es gelingt mir öfter, die Blockaden zu umgehen, indem ich die unaussprechlichen Wörter austausche, verändere oder Füllwörter einfüge. Manchmal hilft es auch, meine Stimme zu verstellen oder zu berlinern. Das funktioniert natürlich nicht so gut bei Fremdsprachen, weil mein Wortschatz da viel kleiner ist. Jedenfalls spreche ich nicht geradeheraus, eher verbogen, verwickelt. Das Wort liegt mir nicht auf der Zunge, es klemmt im Hals. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht ziemlich unhöflich wirke, wenn ich auf einmal mittendrin schweige.
Ich kenne gar keinen richtigen Stotterer. Dafür begegnen mir oft andere Stockende, meistens Jungs wie ich, darunter viele mit kreativen Berufen. Ob ich an der Schule oft gehänselt wurde? Eigentlich nicht. Weil ich andere Sachen gut konnte und darum respektiert wurde. Ich war in der Hochbegabtenförderung und habe beim Sport viele Wettkämpfe absolviert. Ich kenne niemanden, der den Auslöser oder Grund für sein Stocken kennt, das meist im Kindergartenalter beginnt. Ich war vier Jahre alt, aber ein einschneidendes Erlebnis gab es damals nicht in meinem Leben. Zumindest keins, von dem ich wüsste. Die Wissenschaft bezeichnete das als idiopathisch – also ohne fassbare Ursache. Letztlich erscheint mir die Wissenschaft ahnungs- und ratlos. Als Kind haben mir die verschiedenen Therapieansätze wenig geholfen, ich fand sie manchmal ziemlich nervig.
Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber ich habe ein Gefühl dafür bekommen. So hängt mein Redefluss sehr von meiner Stimmung ab. Mein stockendes Sprechen ist mir unangenehm, ich habe Angst davor. Doch je größer die Scham, desto stockender spreche ich. Es ist eine Art sich selbst erfüllender Prophezeiung, ein Teufelskreis auch. Mein Sprachfehler hat viel mit Selbstbewusstsein und Selbstwert zu tun. Vor Freunden fällt es mir leicht, die große Klappe zu haben, vor allem nach einer vollbrachten Leistung. Diesen Stolz kennt wohl jeder, genauso wie die Unruhe oder Anspannung, durch die man kleinlaut wird. Anerkennung und Akzeptanz sind also die besten Garanten dafür, dass ich flüssig spreche. Wahrscheinlich stört mich mein Stocken sowieso mehr als manchen meiner Gesprächspartner, die schon aus Höflichkeit oft Geduld mit mir haben. Dabei fühle ich mich am besten, wenn sie mir dann doch ins Wort fallen. Denn das heißt ja, dass sie mir gut zugehört haben.