Pro: Sharing is caring
Es ist gar nicht so lange her, da galt die Share Economy als rosiges Zukunftsversprechen. Vor zwei, drei Jahren war sie der ganz große Mediendarling. Da verging keine Woche, ohne dass nicht über eine neue App oder eine neue Plattform berichtet und eine Generationsanalyse gleich mitgeliefert wurde. Wenn einer sich über die App „Why own it?“ einen Bohrer auslieh, hieß es gleich: Die Millennials, die machten sich nichts mehr aus Besitz. Ihnen seien andere Dinge wichtiger. Das Teilen etwa.
Auto, Wohnung, Bohrmaschine, Hund, Handyladekabel, Spielzeug, Klamotten: musste man nicht mehr haben, konnte man ausleihen. Das Internet machte es ja so einfach. Konsum schien plötzlich so 20. Jahrhundert. Teilen war das neue Kaufen – nur nachhaltiger, fairer, gemeinschaftlicher. Sharing is caring.
Die Vorteile liegen ja auf der Hand, wie das meistbemühte Beispiel zum Thema – das Auto – zeigt, ein Schlüsselprodukt des industriellen Kapitalismus: Das steht ohnehin 92 Prozent seiner Lebenszeit nur ungenutzt rum (in den USA jedenfalls). Ergo: Unsere Gesellschaft braucht viel weniger davon. Und wenn weniger Autos gebaut werden, werden auch weniger Rohstoffe verbraucht und weniger Abgase ausgestoßen. Denn wer ein Auto teilt, ändern sein Mobilitätsverhalten. Er fährt etwa 30 Prozent weniger und nimmt häufiger jemanden mit. Der Verkehr wird erträglicher, es könnte sogar ausreichend Parkplätze in den Innenstädten geben. Günstiger für den Nutzer ist es obendrein. Tolle Sache also, wenn man nicht gerade Autofabrikant ist (die investieren natürlich auch längst in Carsharing, siehe etwa BMW mit DriveNow).
Gute Idee bekommt schlechte Presse
So richtig und wichtig die Idee der Share Economy nach wie vor ist, die euphorische Stimmung ist gekippt. Erst heillos verklärt, wird die Share Economy nun gnadenlos verteufelt. Hier entstehe kein postmaterielles Utopia, sondern eine neue Spielart des Turbokapitalismus – und obendrein eine totale Kommerzialisierung des sozialen Lebens, so der Tenor. Plötzlich spricht man nur noch über die Nachteile. Da haben manche Unternehmen dieses immens schnell wachsenden Sektors ihr Übriges dazu getan. Etwa als bekannt wurde, dass Uber, der Mitfahrdienst, der die Taxibranche das Fürchten lehrt, die Daten seiner Nutzer ziemlich fleißig sammelt und nach fragwürdigen Kriterien auswertet. Etwa um zu erfahren, wie oft die Uber-Nutzer mutmaßlich zu „one night stands“ unterwegs waren. Airbnb, gestartet als Plattform zur privaten Vermietung von Wohnraum, wird mittlerweile vielfach von professionellen Anbietern genutzt, die die Mietpreise in den Innenstädten in die Höhe treiben. Wellen schlug auch eine E-Mail des Chefs des Musikverlags Sony/ATV. Der beschwerte sich, dass für Pharrell Williams’ Song „Happy“, der im ersten Quartal 2014 43 Millionen Mal beim Internetradio Pandora gestreamt wurde, Royalties von gerade mal 2.700 US-Dollar gezahlt wurden. Dieser Umsatz muss dann auch noch zwischen Komponist und Label aufgeteilt werden. Sicher, man muss sich um Pharrell Williams’ Auskommen keine Sorgen machen, aber durchaus um all die weniger erfolgreichen Musiker, die ihre Songs bei Spotify & Co. anbieten. Kauft ja kaum noch wer ihre Platten. Weil alle streamen.
All das wirft natürlich wichtige Fragen auf: Wie steht es um Verbraucherschutz, Datensicherheit und Verteilungsgerechtigkeit? Und vor allem: Was für eine Gesellschaft entsteht, wenn alle teilen, statt zu kaufen? Wird jeder Einzelne zu einer Art Ego-Fabrik, die nur noch nach Tauschwerten funktioniert? Und sind wir dann multinationalen Konzernen und ihren kryptischen Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeliefert?
Eine Demokratisierung der Wirtschaft
Wohl kaum. Immerhin kann jeder selbst entscheiden, ob er denn nun mitmacht in diesem neuen Wirtschaftskreislauf. Ich möchte meine Wohnung nicht vermieten, wenn ich selbst in den Urlaub fahre? Fein. Tue ich es eben nicht. Entweder ich lasse die Wohnung leer. Oder ich gebe sie jemandem kostenlos – etwa über Couchsurfing (ebenfalls ein Share-Economy-Unternehmen). Der gießt dann vielleicht auch die Blumen und leert den Briefkasten, wenn man ihn darum bittet. Und die Bohrmaschine kann ich ja immer noch beim Nachbarn leihen. So wie das Generationen vorher gemacht haben. Ohne Geld.
Uber, Airbnb und all die milliardenschweren Firmen mögen das Bild verzerren, aber das Erstarken der Share Economy führt erst mal zu einer Demokratisierung der Wirtschaft. Das ausgegebene Geld der „Nutzer“ landet hier nämlich größtenteils nicht bei den Großkonzernen, sondern den Mitmenschen. Uber soll 20 bis 30 Prozent Vermittlungsgebühr pro Fahrt nehmen, Airbnb von den Gastgebern drei Prozent und zusätzlich von den Gästen zwischen sechs und zwölf Prozent.
Und was ist überhaupt so schlimm daran, sein WG-Zimmer mal zu vermieten? Man verdient ein bisschen Geld, und mit ein bisschen Glück lernt man jemand Nettes kennen, der sonst in einem Hostel übernachten würde. Dort müsste er bestimmt mehr zahlen und hätte keine soziale Anbindung. Eigentlich für beide Seiten ein guter Deal.
Kleinteiliger, kollaborativer und selbstbestimmter
Natürlich kann man enttäuscht sein, dass die Share Economy keine Insel im Kapitalismus ist, keine Alternative zu den herrschenden Bedingungen. Aber das war auch reichlich naiv gedacht. Zugang statt Besitz, die Kernformel der Share Economy, heißt ja auch nicht, dass man dafür nicht bezahlen müsste. Wahrscheinlich wäre „Rental“ ohnehin der treffendere Begriff für diese neue Art des Wirtschaftens. Und das Wort „Economy“ macht gleich klar: Auch hier gibt es einen Marktplatz, auf dem Anbieter auf Nachfrage reagieren. Nur dass sie ihr Angebot eben verleihen statt verkaufen. Dafür kann praktisch jeder zum Akteur werden. Und das schafft Möglichkeiten.
Teilen ist heute ein rasant wachsender Wirtschaftszweig, und es müsste schon einiges passieren, damit dieses Wachstum in den nächsten Jahrzehnten doch wieder erlahmt. Man muss ja nicht so weit gehen wie der Berufsvisionär und Digitalromantiker Jeremy Rifkin, der in seinem Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ gleich das gesamte System des Kapitalismus am Ende sieht. Rifkin imaginiert eine goldene Zukunft: Die Wirtschaft wird kleinteiliger, kollaborativer und selbstbestimmter. Sie bringt Bauern mit Konsumenten zusammen – mit solidarischer Landwirtschaft, Wissenschaftler mit Patienten – durch ein patientengeführtes Gesundheitswesen, sie lässt eine Peer-to-Peer-Ökonomie des Vertrauens entstehen. Gerade in den Großstädten, wo häufig Anonymität herrscht, rückt man enger zusammen. Und mit dieser gerechteren, menschlicheren, nachhaltigeren globalen Wirtschaft retten wir dann auch noch die Biosphäre. Darunter macht es Rifkin nicht.
Wenn auch nur ein Bruchteil davon eintritt: Es wären nicht die schlechtesten Aussichten. Zumal wir gar keine Alternative haben. Bei dem Tempo, in dem unser derzeitiges Wirtschaftssystem neue Güter auf den Markt spuckt, stoßen wir bald an unsere ökologischen Grenzen. Sehr bald.
Felix Denk ist Kulturredakteur bei fluter.de. Er teilt sich mit seinen Nachbarn aktuell die Waschmaschine, denn ihre ist kaputt. Dafür übernehmen sie abends mal das Babyphone, wenn er ausgehen will.
Illustration: Renke Brandt
Contra: Kommerzialisierung total?
Seit einigen Jahren ist die Share Economy dabei, unser Verhältnis zu Gütern radikal in Frage zu stellen. Der Fahr- und Limousinendienst Uber oder Airbnb, ein gigantischer Marktplatz für private Unterkünfte, sind die bekanntesten Vertreter der Share Economy. Es gibt aber eine Vielzahl weiterer Start-ups und Unternehmen, die aus dem Teilen von Gütern Profit schlagen. Skillshare beispielsweise, eine Plattform, auf der jeder ohne Vorerfahrung tätig werden und sein Wissen an andere Nutzer weitergeben kann. VizEat, eine Art Airbnb der Gastronomie, bei dem Nutzer bei fremden Menschen zu Hause essen können. Oder Pley, ein Service, der Lego-Sets für Kinder verleiht.
Laut dem Share-Economy-Experten Jeremiah Owyang gibt es mittlerweile 17 Share-Economy-Dienste, die mindestens eine Milliarde US-Dollar wert sind. Diese beschäftigen 60.000 Mitarbeiter und haben bereits Funding in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar erhalten. Uber, mittlerweile in über 300 Städten in 63 Ländern aktiv, gilt als das wertvollste Unternehmen in diesem Markt: Die aktuelle Bewertung soll satte 62,5 Milliarden US-Dollar betragen.
Sharing is caring
Der hohe Vernetzungsgrad digitaler Gesellschaften und Technologien ermöglicht Geschäftsmodelle für Tätigkeiten und Dienste, die bisher meist nur lokal, privat oder in seit Jahrzehnten professionalisierten Branchen organisiert waren: die lokale Fahrgemeinschaft oder Übernachtungen bei Freunden oder Bekannten, die Buchung von professionellen Fahrdiensten oder Hotelübernachtungen. Dienste der Share Economy schieben sich jetzt quasi zwischen diese beiden klassischen Formen des Gütertausches und schaffen eine neue Form der Dienstleistung: Das, was viele Menschen ohnehin schon haben oder tun, können sie plötzlich in den weltweiten Gütertausch einbinden und verwerten: die eigene Wohnung, die gekochten Mahlzeiten, das Auto.
Zugegeben: Aus einer vereinfachten Perspektive ist die gemeinsame Nutzung von Gütern angesichts der Grenzen des ökonomischen Wachstums, der begrenzten Ressourcen und eines notwendig gewordenen nachhaltigen Konsumverhaltens durchaus fortschrittlich. So hat es etwa durchaus Sinn, wenn sich drei Parteien ein Auto teilen, anstatt drei Fahrzeuge in den ohnehin schon überlasteten Stadtverkehr zu schicken.
Wenn Freundschaftsdienste plötzlich Geld kosten
Was ökonomisch und ökologisch also durchaus Vorteile verspricht, bringt auf der sozialen Ebene diverse Implikationen mit sich. Wenn soziale Praktiken, die zuvor nicht der ökonomischen Effizienzlogik unterlagen, plötzlich dem Diktat der Gewinnmaximierung folgen, ergeben sich folgenreiche Konsequenzen für das soziale Miteinander. Der Kulturphilosoph Byung-Chul Han spricht in einem Essay in der „Süddeutschen Zeitung“ etwa von einer Totalkapitalisierung der Gemeinschaft: „Es ist keine zweckfreie Freundlichkeit mehr möglich. In einer Gesellschaft wechselseitiger Bewertung wird auch die Freundlichkeit kommerzialisiert. Man wird freundlich, um bessere Bewertungen zu erhalten.“
Was bedeutet das konkret? Im Extremfall ist das freie WG-Zimmer, das über Airbnb angeboten wird, dann kein Raum mehr für spontane Besucher, sondern ein Ort, der zu Geld gemacht werden kann. Das Verhältnis zwischen Gastgeber und Gast reduziert sich in dieser Logik auf das zwischen Vermieter und Mieter, welches ein rein funktionales ist.
Wenn Freundlichkeit nur gespielt ist, um eine Fünf-Sterne-Bewertung zu erhalten, wenn Freundschaftsdienste plötzlich Geld kosten, wenn also zuvor unökonomische soziale Praktiken monetarisiert werden, dann fungiert der verheißungsvolle Begriff der Share Economy nur als Propaganda einer neuen Form des Kapitalismus, die auf die Kommerzialisierung der privaten Lebenswelt der Menschen abzielt. Der Sozialpsychologe Harald Welzer spricht von einer „Umformatierung des Sozialen“ und macht in digitalen Gesellschaften sogar Strukturähnlichkeiten zu totalitären Gesellschaften aus.
Die Privatsphäre als Aufzuchtstation der Persönlichkeit
Denn wenn immer mehr zuvor nicht ökonomische Lebensbereiche unter das Diktum einer kommerziellen Logik fallen, dann wird gleichzeitig der Bereich, der ausschließlich privat ist und ganz bewusst eben keiner Verwertungslogik folgt, immer kleiner. Die Privatsphäre ist aber für die Entstehung und Entwicklung der individuellen Persönlichkeit fundamental. Der Literat Ernst-Wilhelm Händler beschreibt sie treffend als das Gewächshaus für die Aufzucht der Persönlichkeit: „Zu diesem Prozess gehört auch eine gewisse Opakheit, die Anfänge des Individuellen sind oft stümperhaft und wenig anziehend.“
Die Privatsphäre ist der geschützte Bereich, in dem sich individuelle Entfaltung vollzieht, Fehler möglich und Geheimnisse erlaubt sind. Eine Gesellschaft ohne Privatsphäre ist eine totalitäre. Das Private ist der Lebensbereich, den Diktaturen und totalitäre Regime schnellstmöglich abzuschaffen versuchen – denn nur ohne sie ist eine totale Herrschaft möglich.
Diese „verdammte“ Ambivalenz
Sascha Lobo hat mal geschrieben: „Die nervigste, aber vielleicht auch wichtigste Eigenschaft des digital vernetzten 21. Jahrhunderts ist diese verdammte, klebrige Ambivalenz, ein ständiges Sowohl-als-auch.“ Diese Ambivalenz lässt sich auch auf die Diskussion um die Share Economy übertragen: Ja, das Teilen von Gütern ist von der Idee her äußerst positiv zu bewerten. Wenn die digital organisierte Güterteilung aber dazu führt, dass sich eine ökonomische Verwertungslogik in immer weitere Lebensbereiche drängt, dann führt dies zwangsläufig zu einer Veränderung unseres sozialen Lebens. Die Katze beißt sich also nicht nur in den eigenen Schwanz – sie frisst sich quasi selbst auf. Oder wie es Byung-Chul Han mit Blick auf die Systemfrage übersetzt: „Der Kapitalismus vollendet sich in dem Moment, in dem er den Kommunismus als Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware, das ist das Ende der Revolution.“
Luca Caracciolo ist Redaktionsleiter des t3n-Magazins. In seiner Kolumne Luca Analytics beschäftigt er sich regelmäßig mit Themen der Netzwirtschaft. Auf Twitter ist er unter dem Alias @papierjunge zu finden.