Dass er der Sohn ziemlich reicher Eltern ist, dass er in seinem Leben nie wird arbeiten müssen, dass er im Gegenteil irgendwann Hunderte Millionen Dollar erben wird – diese ziemlich entscheidenden Neuigkeiten erfuhr Jamie Johnson mit zehn Jahren. Es war nicht sein Vater, der ihm davon erzählte, wie man vielleicht annehmen sollte, es war ein Mitschüler – und das Dumme war: Er erzählte es nicht nur Jamie, sondern der ganzen Klasse. Im Grunde genommen erzählte er es auch gar nicht, er las einfach einen Artikel aus dem »Forbes«-Magazin vor, das regelmäßig eine Liste der 400 reichsten Amerikaner veröffentlicht, und in dieser Liste steht Jamies Familienname ziemlich weit vorn. Man kann sagen, dass Jamies Leben nach diesem Tag ein anderes war. Ein komplizierteres.
In Windeseile wusste nämlich die ganze Schule, dass Jamie der Sprössling des Johnson&Johnson-Clans ist, eines Konzerns, der vom Tampon über Kontaktlinsen bis zum Shampoo so ziemlich alles verkauft, was sich weltweit in den Badezimmern befindet. Im Jahr 2008 setzte die Firma mit knapp 120.000 Mitarbeitern weltweit 64 Milliarden Dollar um – in Deutschland mit Marken wie Penaten, o.b. oder bebe. Gegründet wurde die Firma 1886 von Jamies Urgroßvater, der zunächst Verbandszeug für die Army herstellte und es nach dem verheerenden Erdbeben in San Francisco im Jahr 1906 umsonst an die Verletzten verteilen ließ. Ein großer Wohltäter also, aber auch ein harter Hund, was die Familie anging. Er glaubte nämlich, dass sich Geschäft und Verwandtschaft nicht vertragen, weshalb er quasi der letzte Johnson war, der im Unternehmen arbeitete.
So wurde schon Jamies Großvater durch das reiche Erbe zur Beschäftigungslosigkeit verdammt. Statt zu arbeiten kaufte er sich ein großes Segelschiff, reiste um die Welt, heiratete, bekam Kinder, darunter Jamies Vater, der wiederum nichts zu tun hatte und Maler wurde. Keiner, der sonderlich erfolgreich wäre, aber finanziell ist das ja egal. Als Jamie ihn fragte, was er denn machen solle, riet ihm sein Vater, alte Landkarten zu sammeln – als Beruf. In Deutschland wäre das vielleicht gar nicht so schlimm, dass ein reicher Erbe nicht arbeitet, bei den Amerikanern aber – mit ihrer Vorliebe für Selfmademen – macht es einen komischen Eindruck. So wie man daran glaubt, dass es im Grunde jeder vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann, glaubt man auch daran, dass jede Million mit harter Arbeit verdient sein muss. »Das führt dazu, dass im amerikanischen Diskurs Erbschaften und Familiendynastien zunächst als etwas wahrgenommen werden, das problematisch ist«, sagt der Soziologe Jens Beckert von der Universität Köln, der die gesellschaftlichen Auswirkungen des Erbens untersucht hat. »Weil damit etablierte Gesellschaftsstrukturen der Reichtumsverteilung von Generation zu Generation verfestigt werden
Das normative Prinzip, das sich in Amerika in Erbschaftsdiskursen durchsetzt, besagt: Jedes Gesellschaftsmitglied soll die gleichen Startchancen haben. Erbschaften hebeln diesen Grundsatz aus, weil man nichts für das Glück der reichen Geburt getan hat.« Mit anderen Worten: Das bloße Erben von Geld gilt in Amerika nicht nur als ziemlich unverdientes Schicksal, sondern sogar als volkswirtschaftlich kontraproduktiv.
In den USA gilt Erben anders als bei uns als eher unverdientes Glück
»Ich hatte das Ausmaß des Reichtums meiner Familie nicht verstanden «, sagt Jamie Johnson, »über so etwas wurde bei uns zu Hause nicht gesprochen.« Er aber wollte reden, nicht nur mit seinen Eltern, auch mit anderen Kindern reicher Eltern, nachdem er sich nur in seinem Freundeskreis umsehen musste, der voll davon war: Söhne und Töchter, die auf Edelinternate gingen, die jede Gegend der Welt bereist hatten, Rennpferde besaßen und in Kinderzimmern mit Blick auf den Central Park groß geworden waren. Und von denen die meisten nicht sonderlich glücklich wirkten. Jamie wollte, dass seine Freunde über ihr Leben reden – vor der Kamera. Also drehte er einen Dokumentarfilm über sie: »Born Rich« wurde vom US-Fernsehsender HBO ausgestrahlt und für mehrere Auszeichnungen nominiert. Wie ist es, wenn man mit dem Rolls-Royce von der Schule abgeholt wird? Wenn einem der Vater mit 14 erzählt, dass der Familie die New Yorker Central Station gehört und zum 18. Geburtstag einen Stapel Papiere auf den Tisch legt, aus denen hervorgeht, dass man sich alles kaufen kann. Den meisten von Jamies Freunden ist anzumerken, wie schwer es für sie ist, auf diese Fragen Antworten zu geben. Sie haben Angst davor, als faule Schnösel zu gelten, die ihr Erbe sinnlos verprassen und die Wut derer auf sich ziehen, die weniger haben. »Als man in der Schule erfuhr, wer ich war, hat man mich erstmal rumgeschubst, und als ich völlig fertig nach Hause kam, hat das mein Vater nicht mal gemerkt«, erzählt Josiah Hornblower aus der Vanderbilt- Familie, denen früher die Eisenbahn in den USA gehörte. S. I. Newhouse IV wiederum, dessen Vater ein wahres Zeitschriftenimperium gehört (Vanity Fair, GQ, New Yorker), erinnert sich, wie er die Kinder beneidete, die in den Sommerferien ihr eigenes Geld verdienten. »Geld hält die Kinder von Entdeckungen ab«, sagt ein anderer Berufs-Sohn im Film – andere berichten von Drogen, die sie gegen die Langeweile ihres Lebens nahmen.
Vielleicht umtrieb das auch Dash Snow, dessen Familie einst mit Ausrüstungen für Erdölbohrungen reich wurde, und der schon früh zuhause wegrannte und auf der Straße lebte. Als Künstler verteilte er schließlich seinen Samen auf Zeitungen und zeigte sich am liebsten mit Totenköpfen und Stinkefinger. Mit seiner radikalen Attitüde gefiel er ironischerweise dem Grossbürgertum umso besser: Das Wall Street Journal jedenfalls sprach 2006 eine Investitionsempfehlung für seine Werke aus. Viel Zeit blieb ihm da nicht mehr. Mit 27 starb Dash in diesem Juli an einer Überdosis Heroin. »Er hatte auch ein sehr schwieriges Leben zu bewältigen. Die Drogen stellten für ihn normalerweise eine Art da, mit seinem Leben fertigzuwerden«, sagt ein enger Vertrauter. Jamie Johnson hat mit Drogen nichts am Hut. Es scheint, als habe er mit der Filmerei etwas Besseres gefunden, um seinem Leben als Erbe einen Sinn zu geben. Nach »Born Rich« machte er mit »The One Percent« einen Film über die Ungerechtigkeit, dass in den USA einem Prozent der Bevölkerung 40 Prozent des Vermögens gehört. »Ich habe zwar keine eindeutigen Antworten auf alle meine Fragen gefunden, aber gemerkt, wie wichtig es ist, Fragen zu stellen«, sagt er. Klingt auf jeden Fall spannender als das Sammeln alter Landkarten.