Irgendwie ging das alles ziemlich schnell. Jahrelang waren Käufer von Öko-Lebensmitteln als vollbärtige Körnerfresser verschrien; weltfremde Zausel, die nur eine unglückliche Fügung des Schicksals von einem Leben als Waldschrat abgehalten hatte. Dann startete »Bio« plötzlich durch. General Motors reichte auf der Internationalen Automobilausstellung Bio-Häppchen zur Präsentation seiner »Öko«-Autos, die »Bild«-Zeitung brachte eine Serie über die Segnungen des Bio-Essens, Prominente wie Peter Maffay bis Bernd das Brot predigten den Umstieg auf Bio- Essen – und jetzt soll alles schon wieder vorbei sein? Auf einmal läuft ein wahrer Medien-Kreuzzug gegen Bio: gesünder seien Bio-Lebensmittel nicht, heißt es, die Bio-Branche habe genauso viele Skandale wie die konventionelle Lebensmittelindustrie und überhaupt: Alles Lüge, um den treudoofen Bio-Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Da drängen sich doch Fragen auf, Fragen wie: Was genau ist Bio eigentlich? Ist Bio wirklich besser? Und: Kann (oder soll) Bio die Welt ernähren?
Was genau ist Bio eigentlich?
Ganz simpel idealisiert könnte man sagen: Bio ist Natur. Unbelastetes Obst oder Gemüse, Fleisch von Tieren, die nur fressen, was die Weide hergibt, keine mineralischen Stickstoffdünger, keine Hühner- oder Schweinefleischfabriken, nur Sonne, Regen, Mist und die kundige bäuerliche Hand. Seit 1991 sind die Begriffe »Bio« und »Öko« für Lebensmittel gesetzlich geschützt. Die Europäische Ökoverordnung besagt, dass alles Bio ist, was zu mindestens 95 Prozent aus ökologischer Herstellung stammt. Also bei Tieren das Futter, bei Obst und Gemüse der weitgehende Verzicht auf künstliche Anbauhilfen und chemischen Pflanzenschutz. Dazu kommen millimetergenaue Vorschriftenüber Stallfläche, Einstreuanreicherung und Betriebsgrößen.
Doch für viele ist Bio mehr als striktes Regelwerk. Sie leben mit »Bio« ihre Idee von der Welt und unserem Platz darin, sie pflegen – als Bauern, Verarbeiter, Konsumenten – eine Mission. Anbauverbände wie demeter, Bioland oder Naturland haben sich wesentlich strengere Regeln auferlegt als das EU-Bio-Siegel verlangt. Dabei geht es neben artgerechter Tierhaltung, sozialen Arbeitsbedingungen und dem Verzicht auf Agrarchemie vor allem um geschlossene Betriebskreisläufe: Das Futter der Tiere sollte nach Möglichkeit vom Hof stammen, die Felder mit dem gedüngt werden, was hinterher rauskommt. Halbes Bio gibt es bei diesen Anbauverbänden nicht, auch keine Kompromisse beim Futter, das beim EU-Siegel auch konventionell angebautes Soja aus Brasilien sein darf. Bei sogenannten Mischbetrieben erlaubt die EU konventionellen Bauern eine kleine Bio-Ecke neben der Normalproduktion. Bei demeter, Bioland & Co geht nur ganz oder gar nicht.
Ist Bio wirklich besser?
Deutsche kaufen Bio-Lebensmittel,weil sie sich einen gesundheitlichenMehrwert versprechen, haben Umfragen ergeben. Dazu kommen Motive wie Tierschutz, Umweltbewusstsein oder Genuss. Das immer wiederkehrende Argument der Bio-Kritiker lautet: Bis heute gäbe es keine zuverlässige Studie, die nachweist, dass es gesünder ist, sich von Bio-Lebensmitteln zu ernähren. So eine Studie dürfte es auch in den nächsten hundert Jahren kaum geben. Ein wissenschaftlich unbestreitbarer Nachweis dieser Art ließe sich nur erzielen, wenn zwei hinreichend große Gruppen von Menschen mit exakt denselben körperlichen Voraussetzungen sich über Jahre hinweg unter medizinischer Kontrolle ausschliesslich Bio oder (zum Vergleich) ausschließlich konventionell ernähren würden. Echte Vergleichbarkeit bietet dagegen eher der Blick auf das, was in den Lebensmitteln drin ist.
Konventionell erzeugte Lebensmittel dürfen über 300 verschiedene Zusatzstoffe mit teils zweifelhaften Wirkungen für unseren Organismus enthalten – Füllstoffe, Farbstoffe, Konservierungsmittel, Geschmacksverstärker. Seit Jahren steigt die Zahl ernährungsbedingter Krankheiten in Deutschland dramatisch. Für Bio-Lebensmittel sind nach EU-Ökonorm 47 mögliche Zusatzstoffe erlaubt, beim »Super-Bio« der deutschen Anbauverbände nur rund zwanzig.
Für die Überlegenheit ökologisch erzeugter Lebensmittel sprechen zahlreiche Untersuchungen. Eine Zehnjahresstudie der University of California wies in Bio-Tomaten einen doppelt so hohen Anteil von Pflanzenfarbstoffen nach, die den Blutdruck senken und Krebsrisiken mindern können. Niederländische Forscher stellten fest, dass die Babys von Müttern, die Bio-Milch trinken, ein deutlich verringertes Allergierisiko tragen. Das Gleiche gilt für Asthma und Neurodermitis bei Kindern, die Bio-Lebensmittel essen. Bio-Milch weist einen doppelt so hohen Vitamin- E-Gehalt auf, mehr als zweimal so viele essenzielle Omega-3-Fettsäuren sowie 75 Prozent mehr Beta-Carotin als die Alternative aus der Melkfabrik, haben dänische Wissenschaftler errechnet.
Bio-Kopfsalat aus dem Freilandanbau enthält erheblich weniger Nitrat als konventionell angebauter, dafür – wie anderes Bio-Gemüse auch – einen um zehn bis 50 Prozent höheren Gehalt an Vitaminen und sekundären Stoffwechselprodukten. Bio-Rindfleisch enthält weniger Wasser, mehr Omega-3-Fettsäuren, mehr Eisen, BVitamine und Zink. »Bio ist besser«, erklärt Maria Roth vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart, die seit Jahren Bio-Produkte untersucht. Dass sich vereinzelt Bio-Waren aus China oder der Türkei als konventionell angebaut erweisen, habe mehr mit der kriminellen Energie einiger Lebensmittelhändler als mit mangelnden Kontrollen zu tun. »Wir finden selten
was.« Und wenn, scheinen die Selbstreinigungsmechanismen zu greifen. So haben sich die großen Produzenten von Bio-Geflügel gerade erst darauf verständigt, die unangekündigten Kontrollen für ihre Betriebe zu intensivieren, nachdem herauskam, dass der größte deutsche Bio-Puten-Anbieter Berthold Franzsander, seine Tiere unerlaubterweise mit konventionellem Futter versorgt hatte.
Aber es geht nicht nur um Nährwerte und Gesundheit. Bio ist auch eine ethische und soziale Frage. Jährlich entstehen in der ökologischen Landwirtschaft laut Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V. 20.000 neue Arbeitsplätze. Die Tiere haben, vor allem bei den Höfen der Öko-Anbauverbände, mehr Auslauf als in der konventionellen Fleischfabrik. Milch, die nicht das Bio-Siegel trägt, stammt oft von Kühen, die ihr ganzes Leben lang nie das Tageslicht sehen. Konventionell erzeugtes Schweinefleisch kommt häufig von künstlich gemästeten Tieren, die beim Schlachten noch ihre Milchzähne im Maul haben.
Doch auch die Tierhaltung der Ökos ist nicht frei von Problemen. Parasitenbefall und damit verbundene Probleme mit der Leber sind bei einigen hochempfindlichen Schweinerassen aufgetreten, die die Umstellung auf ein natürlicheres Umfeld nicht verkraftet haben. Die Betriebseinheiten in der ökologischen Landwirtschaft werden tendenziell immer größer. Legehühnerarmeen von mehr als 30.000 Hennen (allerdings auf mehrere Ställe verteilt) sind auch in der Bio-Branche beinahe schon die Regel. Als problematisch für die Böden wird der Einsatz des Schwermetalls Kupfer gesehen, das auch die Bio-Bauern zur Schädlingsbekämpfung etwa beim Kartoffelanbau verwenden. Bei demeter ist der Einsatz reglementiert, und auch bei anderen Bio-Anbauverbänden liegt die erlaubte Menge deutlich unter der konventionellen Landwirtschaft. Rund 56.000 Produkte tragen heute das deutsche Bio-Gütesiegel. Doch wie »Bio« ist zum Beispiel ein Bio-Citrus-Ananas-Getränk, das ohne einen Tropfen Ananas oder Zitrone hergestellt wird? (Sondern mit natürlichen, aromatisierenden Bakterienund Pilzkulturen.) Fazit: Bio ist aus vielen Gründen besser, aber nicht immer so gut, wie Bio sein könnte.
Kann Bio die Welt ernähren?
In hoch entwickelten Ländern brauchen Bio-Höfe für die gleiche Ernte ein Drittel mehr Anbaufläche. »Wir müssten die Wälder abholzen, um die Menschen ernähren zu können«, zitiert die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« den Gießener Agrar- Ökonom Michael Schmitz. Doch Agrarwissenschaftler, die die Wirtschaftlichkeit des Ökolandbaus weltweit untersucht haben, gelangen zu erstaunlichen Ergebnissen. Eine gerade erschienene Studie der Deutschen Bank besagt, dass der Ökolandbau gerade in Afrika dem konventionellen an Produktivität mindestens ebenbürtig und an Kosten weit überlegen ist. Externe Kosten für die Beseitigung von Schäden durch Erosion, Wasserverbrauch, den Erhalt von Arten etc. liegen wesentlich niedriger. Gleichzeitig holt der Ökolandbau wesentlich mehr aus den Böden heraus, weil er sie vor Übersäuerung und Erosion schützt. Nach einer Vergleichsstudie der University of Essex liegt der Ertrag nach der Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft mittelfristig um bis zu 80 Prozent höher.
Bis heute ist in Entwicklungsländern kein Fall nachgewiesen, bei dem der Umstieg auf ökologische Landwirtschaft die Ernteerträge und die Lebensbedingungen der Bauern und ihrer Familien verschlechtert hätte. Im Gegenteil: Die Preise für synthetischen Dünger und Saatgut sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. In Indien haben sich die Preise für Düngemittel in wenigen Jahren vervierfacht, die für Saatgut sind für einige Sorten um 300 Prozent gestiegen.
Und dann ist da ja noch der Klimaschutz: Laut der Welternährungsorganisation FAO trägt die Fleischproduktion 18 Prozent zum globalen Ausstoß von Treibhausgasen bei – mehr als der Autoverkehr. Jährlich werden 90 Millionen Tonnen Erdöl oder Erdgas zu Stickstoffdünger verarbeitet, der in der konventionellen Landwirtschaft zum Großeinsatz kommt. Das entspricht einer CO²- Emission von 250 Millionen Tonnen – die Komplettbilanz von 25 Millionen Deutschen. Dank der Bauern, die auf Öko-Landbau umgestellt haben, landen jährlich knapp 230 Tonnen Düngemittel sowie zwei Tonnen Pflanzenschutzmittel weniger auf deutschen Feldern. Gleichzeitig »arbeiten« die Öko-Böden aktiv für den Klimaschutz. Die humusreichen Böden binden bis zu 15 Prozent mehr Kohlenstoff und speichern Wasser besser. Das Bio-Futter in der Ökofleischzucht verursacht deutlich weniger klimaschädliche Methangase. Bei gleichen Erträgen kommen Bio-Höfe mit 30 Prozent weniger Energie aus, hat eine Untersuchung aus den USA ergeben. Alles in allem, so schätzt Professor Ulrich Köpke von der Universität Bonn, beläuft sich das generelle Einsparpotenzial für CO²- Emissionen durch den Umstieg auf ökologische Landwirtschaft auf bis zu 50 Prozent.
Bleibt ein letztes »entscheidendes« Argument, das Bio-Kritiker immer wieder ins Feld führen: Bio ist zu teuer. Tatsächlich kosten Öko-Möhren oder -Kartoffeln nur noch geringfügig mehr als konventionell erzeugte. Bei Molkereiprodukten liegt der Preisunterschied zwischen 15 und 25 Prozent. Stark ins Gewicht fallen die hohen Preise für Bio-Fleisch. Mit Grund. Tiere auf ökologisch bewirtschafteten Höfen leben mindestens doppelt so lange wie ihre traurigen Artgenossen in der Fleischfabrik. Entsprechend höher ist der Aufwand für Pflege und Futter. Dazu kommt, dass ein Bio-Rind beim Schlachten deutlich weniger Fleisch bringt, weil es nicht künstlich hochgepäppelt wird. Ökologische
Landwirtschaft ist arbeitsintensiv. Im Schnitt wird ein Drittel mehr Personal benötigt. Da man Unkraut oder Schädlinge nicht einfach mit der Chemiekeule bekämpft, braucht man viel Handarbeit und Zeit. Die Kontrollen der Öko-Zertifizierer sind teuer, erfordern einen hohen bürokratischen Aufwand und müssen von den Bio-Bauern selbst bezahlt werden.
Was bei den günstigen Preisen für konventionell erzeugte Lebensmittel oft vergessen wird, sind die indirekten Kosten. Wir finanzieren die Folgen der konventionellen Landwirtschaft – ruinierte Böden, verseuchte Grundwässer, zerstörte Ökosysteme, hohe Subventionen für Agrarfabriken – mit unseren Steuern, ohne dass sie auf den Preisschildern im Supermarkt auftauchen.
Fred Grimm (43) ist Experte für Öko-Themen. Er schreibt eine Kolumne in »Schrot & Korn« und für das Magazin »Emma«. Außerdem hat er das Buch »Shopping hilft die Welt verbessern« geschrieben – eine Anleitung zum sinnvolleren Einkaufen.