Warum nicht wählen ziemlich arm ist – sagt einer, der gern wählt
Klar sollte sich jeder mehr einmischen als nur wählen zu gehen. Aber wer nicht einmal das tut, der kann gleich als Einsiedler im Wald verschwinden. Denn durch unsere Wahl entscheiden wir mit darüber, wie unser Leben in der Gesellschaft aussehen soll. Es gibt doch bei jeder Wahl ein Thema, das einen angeht. Und jeder hat eine Meinung, vielleicht nicht zu allen Themen, aber zu einem oder zwei ganz bestimmt. Für mich persönlich ist Bildung das wichtigste Thema, da ich mit dem Schul- und Unisystem überhaupt nicht zufrieden bin. Mit meiner Stimme habe ich Anteil daran, welche Gesetze verabschiedet werden. In unserem Grundgesetz steht ja: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Deswegen sollte zumindest der überwiegende Teil dieses Volkes abstimmen. Wer nicht wählen geht, darf sich über die Politik nicht beschweren.
Es gibt viele, die eine Wahl für überflüssig halten, weil die Parteiprogramme angeblich alle gleich sind. Die Parteien haben sich in den letzten Jahren angenähert, das stimmt. Aber im Detail gibt es schon wesentliche Unterschiede. Beim Thema Schule zum Beispiel in der Frage, ob Schüler länger gemeinsam lernen sollen und das System grundlegend verändert wird. Das sind keine Kleinigkeiten. Und da können einige Parteien meine Interessen besser vertreten als andere.
Ich habe zuletzt oft mit Leuten gesprochen, die ihre Meinung über Politiker nur aus den Medien haben. Man sollte sich doch zumindest die Mühe machen, genauer hinzuschauen, die Parteiprogramme lesen. Aber vielen fällt erst kurz vor knapp ein, dass Wahlen anstehen. Sie erkennen auch nicht das Ausmaß, in dem Politik über ihr Leben bestimmt.
Mir ist klar geworden: Die Partei oder die Koalition, der ich meine Stimme gebe, wird nicht alles umsetzen, was sie jetzt ankündigt. Deswegen kann ich die Menschen verstehen, die sich über Politiker beklagen und sagen, dass die Politik ihre Versprechen nicht einhält. Man sollte damit rechnen, dass man in dem einen oder anderen Punkt enttäuscht wird. Trotzdem will ich mitentscheiden. Wir haben doch kürzlich bei den Landtagswahlen in Niedersachsen gesehen: Nur ein paar Hundert Stimmen können den Unterschied ausmachen.
Okan Bellikli, 21, studiert in Freiburg Politikwissenschaft und schreibt für das Blog Junge-Wahlbeobachter.de
Warum wählen nicht reicht – von einem, der nicht wählen geht
Eine alte Frau sagte einmal zu mir, was sie an den Wahlen merkwürdig finde, sei, dass man seine Stimme abgeben müsse. Sie würde ihre Stimme lieber behalten. Das geht mir genauso: Ich möchte nicht nur jemanden wählen, der für meine Anliegen eintritt, sondern lieber direkt mitbestimmen. Jemandem nur ein Mandat zu erteilen ist für mich eine Art Kontrollverlust. Ich gehe auch deshalb nicht wählen, weil ich keinen Politiker abwählen kann, wenn er seine Versprechen bricht.
Zum ersten Mal habe ich bei der Europawahl 1999 gewählt, da war ich 18. Bei der darauffolgenden Bundestagswahl war ich schon nicht mehr dabei. Seitdem habe ich mich viel mit dem demokratischen System und Alternativen dazu beschäftigt. Denn ich bin sehr an politischen Prozessen und Entscheidungen interessiert. Die Politik in meiner Stadt beobachte ich kritisch und versuche hin und wieder, öffentlich zu machen, was mir gegen den Strich geht, und Diskussionen anzuregen. Zum Beispiel mithilfe der Lokalpresse. Ich bin nicht frustriert oder verdrossen, ich glaube nur, dass Parlamente und Parteien die Menschen nicht richtig vertreten können.
Unabhängig davon, wie gut oder schlecht die Politik ist: Die Vorgänge in den Parlamenten und anderen Organen sind oft abstrakt, autoritär und leblos. Eine Auseinandersetzung mit der Realität findet in der hiesigen Politik nicht statt. Was in irgendwelchen abgehobenen Gremien passiert, macht mein Leben und die Gesellschaft nicht besser. In meinen Grundsätzen sehe ich mich als Anarchisten. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Unordnung stiften will. Es bedeutet, dass ich für eine Politik der Selbstbestimmung eintrete. Demokratie funktioniert aus meiner Sicht nur als Basisdemokratie, in der Menschen über alle gesellschaftlichen Angelegenheiten abstimmen können. Statt die Macht einem Parlament zu geben, treffen sie selbst Entscheidungen, mit denen alle leben können. Es wäre schön, die Verantwortung auf viele Menschen in der Gesellschaft zu verteilen und dadurch die Kontrolle zu behalten.
Ich weiß, dass vieles davon Utopie ist und ich durch meinen akademischen Hintergrund eher an Theorien gewöhnt bin. Aber zumindest im Lokalen kann das funktionieren. Und ich bin sicher, dass sehr viele Menschen Lust hätten, sich stärker einzubringen. Viele Wähler glauben, dass es damit getan ist, bei der Wahl ihre Stimme abzugeben. Sie glauben, dass die Politik alles regelt – wie ein Dienstleister. Und viele geben ihre Stimme bewusst dem kleineren Übel. Diesen Kompromiss einzugehen, darauf habe ich keine Lust.
Benjamin Frank, 32, aus Meerbusch hat kürzlich sein Studium als Diplom-Pädagoge beendet