Wann tauchen die ersten Smileys in Schulaufsätzen auf? Eine spannende Frage für Sprachwissenschaftler Martin Voigt, der seine Doktorarbeit darüber schreibt, wie Mädchen ihre Freundschaften in sozialen Netzwerken inszenieren. Und wie all die Icons und falsch geschriebenen Liebesschwüre unsere Sprache beeinflussen.
fluter: Herr Voigt, erklären Sie mal: Was ist eine ABFFL?
Martin Voigt: Das ist die allerbeste Freundin fürs Leben. Es gibt auch die ABF, ABFF und noch andere Versionen.
Und was ist an der ABF heute anders? Früher haben wir uns doch auch gegenseitig aufs Federmäppchen gekritzelt und sind händchenhaltend über den Schulhof geschlendert.
Früher hatte man als Inszenierungsplattform die Klasse, man saß genau wie heute zusammen auf dem Pausenhof. Neu ist, dass die Muster einer Mädchenfreundschaft selbst eine viel größere Aufmerksamkeit bekommen durch die Thematisierung in öffentlichen Netzwerken.
Für Ihre Untersuchung haben Sie den Typus „Schulmädchen mit bester Freundin“ gebildet. Was muss man sich konkret darunter vorstellen?
Die öffentliche Vergleichbarkeit der Freundschaften auf Plattformen wie SchülerVZ oder Facebook hat ein anderes Bewusstsein für die Freundin gebracht. Die Mädchen haben angefangen, Bilder hochzuladen, auf denen sie mit der Freundin abgebildet sind, sie haben die Freundschaft inszeniert. Das hat eine Emotionalisierung angestoßen. Durch Sprache und Bilder ist in den sozialen Netzwerken eine Normierung entstanden, ein bestimmter Mädchentypus. Einige Mädchen nennen sich in der Berufsbezeichnung auch selbst Schulmädchen oder beste Freundin.
Gibt es denn den ABK nicht, den allerbesten Kumpel?
Jungs machen so etwas auch, aber anders. Die Ursachen liegen in der Freundschaftskonstruktion. Bei Jungen spricht man eher von einer „Side by side“-Freundschaft, einem Schulterschluss: gemeinsam auf eine Herausforderung, ein Problem oder eine Sportart fixiert sein. Jungs thematisieren ihre Beziehung an sich nicht so sehr, das war noch nie so und wird wahrscheinlich auch nie so sein. Allerdings bekommen Jungs natürlich mit, wie die Mädchen drauf sind. Wenn sie flirten, übernehmen sie diese Emotionalität manchmal. Wenn Jungs sich gegenseitig ein Herzchen posten, ist das eher witzig gemeint und auch ein Coolness-Faktor: Ihre soziale Position muss so gefestigt sein, dass sie es sich erlauben können, so zu schreiben.
Die Mädchen wirken in ihren Profilen gar nicht zögerlich oder schüchtern, wie es in dem Alter vielleicht normal wäre.
Die Sozialisationsphase geht relativ fix. Fünfte, sechste Klasse, dann kommt der Laptop ins Kinderzimmer, die beste Freundin ist schon auf Facebook, man legt zusammen den Account an und staunt erst mal, was da alles los ist. Aber dann geht es schnell, am selben Tag werden vielleicht die ersten Profilfotos gemacht, und nach wenigen Tagen ist man voll mit dabei. Bei Facebook nehmen die Teenies keine weltweite Anonymität wahr, sondern die eigene Jahrgangsstufe: die beste Freundin, die größere Clique, die Klasse, die Jahrgangsstufe, dann die Schule, umliegende Schulen – so entstehen ganz schnell 1.000 Freundschaften auf Facebook. Die Schule bei Feueralarm: Alle versammeln sich auf dem Pausenhof, jeder sieht den anderen, es sind wirklich alle da. So ist es auch auf Facebook.
„Soziale Medien sind Bühnen, auf denen Mädchen sich als sozial erfolgreiche Akteurinnen inszenieren“, schreiben Sie. Ist das nicht wahnsinnig anstrengend?
Die Mädchen müssen sich selbst managen. Aber es macht ihnen ja auch Spaß: sich für ein Foto vorher zu schminken, ein neues Oberteil zu kaufen und am besten gleich in der Umkleidekabine zu fotografieren. Das wird nicht unbedingt als Arbeit empfunden. Obwohl auch ein Druck herrscht mitzumachen. In der Schule auf dem Mädchenklo werden vorm Spiegel erst mal Fotos von der Clique gemacht, die landen im Netz und sind somit dokumentiert, man zelebriert und inszeniert das. Man ist, wer man sein will. Und hierbei sind die Freundinnen die wichtigsten Größen im Schulalltag.
Was passiert denn im Netz, wenn ich gar keine ABF im realen Leben habe, in der Klasse eine Außenseiterin bin?
Man kann Schule und Netzwelt nicht mehr unterscheiden, virtuell und real ist für Vielnutzer sozialer Medien ein verwobener Raum. Diese mobile Anbindung via Smartphone ist für sie wie eine Nabelschnur in den Freundeskreis. Es wäre schwierig, wenn man völlig unbeachtet bliebe, wenn keine Bilder geliket werden, keine Kommentare kommen. Es gibt Mädchen, die laden zweimal am Tag ein neues Profilfoto hoch und lassen täglich Statusmeldungen vom Stapel, so stehen sie immer oben in der Neuigkeitenliste. Wenn man das nicht macht, fällt man eben durchs Raster.
Die Gästebucheinträge, die Sie untersucht haben, lesen sich manchmal wie aneinandergereihte Beziehungsphrasen: Ich hab dich so lieb, wir sind immer füreinander da, wir haben schon so viel durchgemacht.
Wenn Sie sich hinsetzen und Ihrer Oma einen Brief schreiben, haben Sie einen bestimmten Schreibduktus im Finger: „Liebe Oma, herzlichen Dank für das Weihnachtsgeschenk.“ Diese Mädchen benutzen ebenfalls ein bestimmtes Vokabular, einen bestimmten Stil. Die Bausätze werden bei Bedarf mit Inhalt gefüllt, manchmal bleibt es aber auch nur beim Gerüst: „Hey Schatz, will dich nicht verlieren, hab dich so unendlich lieb, bin immer für dich da.“ Auch vis-à-vis hat diese Gästebuchkultur bestimmte Muster geprägt. Vor 30 Jahren haben Mädchen auch zusammen gelacht und geweint, aber heute klingt dieses Hochemotionale durch, als wenn sich zwei 80-Jährige schreiben: „Wir haben schon sooo viel zusammen durchgemacht.“
„Ich liebe dich“ ist ja ein sehr starker, emotionaler Satz der deutschen Sprache. Welche Bedeutung hat er denn noch für die Schulmädchen, wenn sie ihn so inflationär gebrauchen?
Das ist die Frage. Es gehört dazu, so große Gefühle alltäglich zu zeigen und somit eine soziale Kompetenz zu erfüllen. Eine SMS hat niemand anderes mitgelesen, es war egal, ob da „hdl“ oder „Bussi“ stand. Aber wenn die Kommunikation öffentlich ist und eine Freundin ihrer Klassenkameradin schreibt „Ich liebe dich“, man selbst schreibt aber nur „hdl“, passt das nicht mehr. „Ich liebe dich“ wird so mit der Zeit natürlich zu einer Höflichkeitsfloskel. Andererseits kann ein tief empfundenes Gefühl durchaus damit verbunden sein – vor dem Hintergrund, wie wichtig so eine beste Freundin ist. Für Erwachsene ist dieses öffentliche Zelebrieren von Gefühlen unglaubwürdig. Man muss aber hinterfragen, wie das alles aus der Perspektive einer 13-Jährigen aussieht. Und andersherum kann man ja auch fragen, ob die Sprache das Fühlen verändert. Dass der tägliche Gebrauch der Sprache beeinflusst, was man glaubt.
Und?
Die Mädchen bemerken ja auch, dass die Sprache, die ihnen zur Verfügung steht, von allen irgendwie auf dieselbe Art und Weise ausgereizt wird. Es kommt zu sprachlichen Spielereien wie: „Ich liebe dich nicht ... Nee, Spaß, ich lieb dich über alles!“ oder: „Ich liebe dich so fucking viel.“ Es kursieren verschiedene Stilblüten des Satzes „Ich liebe dich“, um Eingeschliffenes etwas zu durchbrechen. Seine tiefe Bedeutung, könnte man durch diese Betonungen schließen, ist den Mädchen vielleicht doch sehr wichtig.
„Ich liieb diich soo seha maiin shaadz <33“ – Sätze wie diesen haben Sie zu Tausenden gesammelt. Was lesen Sie darin alles?
Ich habe ganz viele Vermutungen, denen ich auch in Versuchen nachgehe. Zum Beispiel habe ich verschiedenen Mädchen zwischen 17 und 21 Jahren – die waren selbst etwa von 2007 bis 2009 in sozialen Netzwerken sehr aktiv und haben mittlerweile eine ganz gute Distanz dazu – die Aufgabe gestellt, anhand von zwei Schreibweisen für das Wort „Schatz“ bestimmte Typen zu identifizieren: Welcher Typ Mädchen hat eher „Shaadz“, welcher eher „Schaatzii“ geschrieben? Da gab es ganz interessante, deckungsgleiche Ergebnisse: Die auffällige Form, dieses „Shaadz“, das haben halt die „Geddo Bitches“, die „Emo-Tussis“ benutzt, die schon geraucht haben, einen Freund hatten. Das war ein einhelliger, natürlich eher ablehnender Tenor. „Schaatzii“: Das schrieben eher so die Niedlichen, das war normal.
Ihnen haben Lehrer davon berichtet, dass ihre Schüler Abkürzungen aus dem Netz, zum Beispiel „ka“ für „keine Ahnung“ oder „iwie“ für „irgendwie“, in der Klasse beim Sprechen benutzt haben. Haben die Teenies solche sprachlichen Spielereien eigentlich schon verinnerlicht?
Ich habe Zettelchen gefunden, auf denen handschriftlich Tastenzeichen für Emoticons benutzt wurden. Die waren wahrscheinlich aber bewusst platziert, um zu zeigen: Hier knüpfe ich an das an, was wir im Internet schon an emotionaler Bindung aufgebaut haben. Ob sich Sprache insgesamt verändert dadurch, ist schwierig zu sagen. Wenn man E-Mails von heute mit denen vor fünf Jahren vergleicht, sieht man, dass heute auch Geschäftspartner Smileys benutzen. Kommunikative Nähe hält auch im Schriftlichen immer mehr Einzug, der Ton wird lockerer. Irgendein Einfluss ist da, und die erste Generation, die mit den sozialen Netzwerken aufgewachsen ist, prägt diese Entwicklung jetzt. Ich würde gerne mal in Schulaufsätzen schauen, ob an Satzenden manchmal ein Smiley auftaucht.
Können die Jugendlichen ohne Smileys Witz und Ironie schriftlich gar nicht mehr ausdrücken?
Gute Frage. Diese Schulmädchen setzen Smileys ja so flächig ein, dass die einzelne Mimik, die damit eventuell transportiert werden könnte, gar nicht groß wahrgenommen wird. Sie färben den Text allgemein mit einem Lächeln oder Grinsen ein.
Muss man die deutsche Sprache vor Einflüssen aus der Online-Kommunikation beschützen?
Aus einer sprachpflegerischen Perspektive kann man natürlich sagen, dass durch Vereinfachungen und Reduzierungen von grammatischen Konstruktionen Wortvielfalt und ein Ausdruckspotenzial verloren gehen. Aber man muss vielleicht auch nicht überbewerten, was da passiert. Sprache ist ja etwas Lebendiges. Ich mache mir eher Sorgen um die Mädels.
Apropos Sorgen: Sie sehen in den Profilbildern der Mädchen einen Trend zur „kulleräugigen Niedlichkeit“, man sieht Kussmünder, Ansätze von Dekolletés. Müssen Eltern da nicht total besorgt sein?
Das passiert ja alles auf einer sehr unterschwelligen Ebene. Man kann heutzutage keiner 13-Jährigen Facebook verbieten, das wäre, als würde sie einen Tag in der Schule fehlen. Man sollte vielleicht einen Kompromiss finden, dass die Kinder nicht ständig online sind. Darüber reden, welche Art von Fotos und Sprache okay ist. Ob diese extreme Emotionalität wirklich nötig ist. Eine Mutter fragte mich mal: „Wie ernst ist das denn, wenn meine Tochter so oft ,Ich liebe dich‘ an ihre Freundin schreibt? Ist die dann lesbisch?“ Die Mädchen selbst fallen bei so einer Frage natürlich aus allen Wolken.