Die Oase Skoura am Rande der Sahara ist ein idyllischer Ort. Da trottet auf der Hauptstraße ein mit Säcken beladener Esel die Straße entlang, begleitet von einem Mann mit braunem Umhang und Holzstock. Die beiden passieren üppige Palmen, eine kleine Moschee und Häuser aus Lehm, deren Farbe sich kaum von der staubigen Landschaft ringsum unterscheidet: Das ist der Süden Marokkos, wie man ihn aus Reiseprospekten kennt – 1001 Nacht, nur ein paar Flugstunden von Deutschland entfernt.

Doch es gibt auch das andere Marokko: Einen modernen Staat, der es sich zum Ziel gesetzt hat, seinen rapide wachsenden Strombedarf vor allem mit Erneuerbaren Energien zu decken: Mit der Kraft von Wasser und Wind. Und mit der Kraft der Sonne, die hier mancherorts an 350 Tagen im Jahr vom Himmel brennt.

Mitten im Nirgendwo entsteht das größte Solarkraftwerk der Welt

Dieses Marokko zeigt sich nur wenige Autominuten von Esel und Hirte entfernt an einer neu gebauten Straßenkreuzung mitten im Nirgendwo. Mit Solarplatten bestückte LED-Strahler ragen hier in den azurblauen Wüstenhimmel. Sie weisen den Weg zu dem im Bau befindlichen „Noor“-Komplex: einem Sonnenkraftwerk, das nach Fertigstellung aller vier Bauabschnitte am Ende dreißig Quadratkilometer groß sein soll – das entspricht der Fläche von etwa 4200 Fußballfeldern.

Wenn die Anlage in wenigen Jahren fertig ist, wird sie mit einer Leistung von 580 Megawatt die größte der Welt sein und Strom für 1,3 Millionen Marokkaner liefern. Schon jetzt reiht sich in der Nähe der märchenhaften Skoura-Oase auf dem „Noor“-Grundstück Sonnenspiegel an Sonnenspiegel, unterbrochen nur von technischen Anlagen. Über 500.000 Parabolspiegel wurden alleine im ersten Bauabschnitt verbaut, der im Februar ans Netz ging und im Beisein des marokkanischen Königs eröffnet wurde. Zudem ist ein 240 Meter hoher Turm geplant: An dessen Spitze sollen die Reflektionen – und somit die Strahlungsenergie – von tausenden Sonnenspiegeln gebündelt werden. Die absorbierte thermische Energie wird dann über einen Dampfkreislauf an den angeschlossenen Kraftwerksblock weitergegeben. Flüssigsalzspeicher, die einen Teil der tagsüber solarthermisch erzeugten Wärme chemisch speichern können, machen sogar eine Stromproduktion nach Sonnenuntergang möglich.

Strom für 1,3 Millionen Menschen

Das riesige Parabolspiegelfeld ist der im Wüstenboden verankerte Beweis dafür, dass Marokko im großen Stil die Energiewende eingeleitet hat, während diese in reichen Staaten wie Deutschland ins Stocken gerät. Überall in Marokko entstehen derzeit Solaranlagen oder Windparks. Die Pläne des Landes sind ehrgeizig: Bis 2030 soll mehr als die Hälfte der in dem Land erzeugten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Es hat wohl einen guten Grund, dass die UN ihre nächste Konferenz zum Klimawandel in dem Land zwischen Atlantik, Sahara und Mittelmeer abhält.

Bis 2030 soll mehr als die Hälfte der in dem Land erzeugten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen.

Marokkos Metropolen wachsen rasant und Projekte wie etwa ein neues Netz von Hochgeschwindigkeitszugstrecken treiben den Stromverbrauch zusätzlich in die Höhe. Bislang hat das Land zur Stromerzeugung benötigte fossile Rohstoffe wie Kohle vor allem importiert. Diese teure Abhängigkeit soll durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien reduziert werden. Zwar werden auch neue Kohlekraftwerke gebaut. Der marokkanische Energieminister Abdelkader Amara hat während des Klimagipfels in Paris aber angekündigt, Marokko werde beweisen, dass es möglich ist, den Energiebedarf zu großen Teilen mit Erneuerbaren zu decken. Die sinkenden Kosten für Sonnen- und Windenergietechnologie spielen den Plänen des Königreichs dabei in die Hände.

Auch ausländische Investoren haben die Potenziale Marokkos erkannt. So hat Deutschland im Jahr 2015 alleine über die staatliche Bank KfW dort mehr als 1,7 Milliarden Euro investiert. Große Teile davon in Erneuerbare Energien. Und von den 2,2 Milliarden Euro, die der Bau des Noor-Kraftwerks Schätzungen zufolge insgesamt kosten wird, stammen über 800 Millionen aus Deutschland.

„Die EU läuft Gefahr, die Energierevolution zu verpassen”

Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft (AV) hat das Land schon länger im Blick und wittert in puncto Ausbau der Erneuerbaren jetzt dicke Gewinne für deutsche Unternehmen: „Der Erfolg, den wir in diesem Bereich hierzulande mit Forschung und Entwicklung erzielt haben, könnte und sollte jetzt zum Exportschlager für Afrika werden”, so der AV-Vorsitzende Stefan Liebing. Auch andere Länder investieren kräftig. „Auch über die Region hinaus“, so heißt es in einem Bericht der KfW, gelte Marokko als „Vorreiter in Sachen Energiewende“.

Das könnte im Umkehrschluss allerdings heißen, dass Europa dabei ist, die eigene Vorreiterrolle in diesem Bereich einzubüßen. Dieser Meinung ist zumindest Jean-François Fauconnier vom Climate Action Network Europe: „Die EU läuft Gefahr, die Energierevolution zu verpassen und anderen führenden Ökonomien für Jahrzehnte hinterherzuhinken”, sagte er dem Guardian.

Mauretanien und Algerien könnten noch mehr grünen Wüstenstrom produzieren 

Auch Marokkos Nachbarländer Mauretanien und Algerien – die noch deutlich größere Wüstenregionen haben – bauen ihre Kapazitäten aus. Diese Entwicklung könnte auch ein altes Vorhaben aus der Versenkung holen: Desertec. Unter diesem Namen kursiert seit Jahren die Idee, Teile des stromhungrigen Europas mit Wüstenstrom aus Nordafrika zu versorgen. Dafür müssten aber gigantische Stromleitungen und -speicher gebaut werden.

Deshalb, aber auch, weil hierfür die Zusammenarbeit sowohl vieler europäischer Staaten untereinander als auch mit Nordafrika und dem Nahen Osten erforderlich ist, wurde die Idee immer wieder als unrealistisch abgetan. Doch die Zeiten ändern sich, wie das gigantische neue Solarkraftwerk in Nachbarschaft der lauschigen Skoura-Oase zeigt. Laut einem KfW-Bericht sorge „Noor“ dafür, dass der „Traum“ der Versorgung Europas mit grünem Strom aus Nordafrika wieder auflebe. Kritiker fordern allerdings, dass auch „grüner“ Strom lieber dezentral produziert werden sollte, um die Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten.

Titelbild: Kostis Fokas