fluter: Frau Prinz, die DFB-Frauen sind Weltmeister, mehr als 630000 Frauen in Deutschland spielen Fußball, im vergangenen Jahr haben sich etwa 20 Prozent mehr Mädchenmannschaften gegründet als noch 2004. Sind Fußballerinnen eine Selbstverständlichkeit geworden?
Birgit Prinz: Auf alle Fälle. In meinen Augen sind wir nicht mehr exotisch. Frauenfußball ist eigentlich nichts Besonderes mehr, zumindest nicht in Deutschland.
Trotzdem schotten Sie sich zurzeit ziemlich ab, nachdem das Interesse an Ihnen seit Ihrer dritten Wahl zur Weltfußballerin Ende 2005 noch einmal enorm angestiegen ist.
Viele interessieren sich für mich, weil sie mich aus den Medien kennen. Auch wenn ich es wollte: Ich kann das nicht mehr ändern, obwohl es ja noch etliche andere gute Fußballerinnen gibt in Deutschland. Aber das ist in anderen Sportarten ja auch so, dass sich die Öffentlichkeit nur auf ganz wenige konzentriert, weil die etwa Titel haben oder bei Großereignissen auffallen. Vielleicht gibt es in Afrika eine super Spielerin, aber keiner bekommt es mit, auch ich nicht, weil niemand über sie berichtet. Als Einzelne ist man durch die Medien etwas Besonderes, aber Frauenfußball an sich ist normal geworden.
Lange Zeit hieß es, Fußball sei kein Sport für Frauen und Fußball spielende Frauen seien nicht schön anzusehen. Gibt es diese Vorbehalte noch?
Ob ja oder nein, ist doch relativ egal. Wenn jemandem Frauenfußball nicht gefällt, habe ich da überhaupt kein Problem damit. Soll er ihn sich eben nicht ansehen. Ich schaue mir ja auch nicht jeden Sport an und mir gefällt auch nicht alles. Ich denke aber, dass man sich etwas angucken sollte, bevor man urteilen kann. Wenn man es sich angesehen hat und immer noch sagt: Das gefällt mir nicht, das ist kein Fußball, wie ich ihn mag – dann ist das eben so.
Inzwischen betreiben Fußballerinnen einen hohen Aufwand, um in Bundesliga oder Nationalmannschaft bestehen zu können. Trotzdem werden nur die wenigsten wie Profis entlohnt. Wird sich das ändern?
Der Frauenfußball entwickelt sich sehr positiv und immer mehr Spielerinnen bekommen die Möglichkeit, ihn professionell zu betreiben. Aber klar ist auch: Man kann kein Geld ausgeben, das man nicht hat. Solange nicht mehr Sponsoren- und Zuschauergelder fließen, solange die Fernsehgelder noch so verteilt sind, wie sie es nun mal sind, so lange wird im Frauenfußball nicht mehr Geld ausgegeben. Das ist wie in der Wirtschaft: Was man nicht hat, kann man nicht ausgeben. Dafür machen wir allerdings das Ganze schon recht gut.
Warum wird nicht mehr Geld in den Frauenfußball gesteckt? Das afghanische Fußballprojekt "Learn & Play" für Frauen und Kinder, für das Sie 2005 die Patenschaft übernommen haben, wird ja wohl nicht aus wirtschaftlichen Gründen unterstützt?
Man kann den deutschen Frauenfußball nicht mit so einem Projekt in Afghanistan vergleichen. Leistungssport hat nichts mit Entwicklungshilfe zu tun. Und dieses Projekt in Afghanistan ist Entwicklungshilfe.
Nachdem also der Frauenfußball hierzulande normal geworden ist, wollen Sie dabei helfen, ihn in anderen Ländern voranzubringen?
Sport an sich ist in Afghanistan keine Normalität, für Frauen erst recht nicht. In Kabul sterben jeden Tag eine Hand voll Menschen, und zwar nicht durch Autounfälle, sondern durch Bomben oder andere Anschläge. Letzten August habe ich das Projekt besucht, um 36 Frauen ihre ersten Trai-nerlizenzen zu überreichen und das erste jährliche Jugendturnier einzuweihen, den Prinz-Cup. Die Menschen dort zu erleben war schon krass. Das Projekt in Kabul ist ja für Jungen und Mädchen, es ist auf ein Miteinander ausgerichtet. Das ist für ein Land, in dem sehr lange die Geschlechter getrennt waren, sehr wichtig: dass die Leute etwas miteinander erleben und sich kennen lernen. Und gerade für die Frauen ist der Sport etwas, was sie endlich dürfen. Etwas, um sich selbst darzustellen. Um auch wichtig zu sein. Um gleiche Rechte zu haben. Aber das Prinzip hinter dem Projekt ist, dass die Kinder in der dazugehörigen Schule eine gute Ausbildung bekommen und eine Zukunft haben. Auch das ist dort nicht so selbstverständlich wie bei uns und das steht für mich und die Organisatoren auch im Mittelpunkt.
Wie viel Einfluss kann Fußball überhaupt auf Meinungsbildung nehmen?
Es ist einfach gut, etwas zu haben, worüber man ins Gespräch kommt. Ich war in Kabul selbst sehr neugierig und habe versucht, mit den Lehrerinnen an der Schule und den Frauen, die in Kabul gerade beim Trainerinnen-Lehrgang waren, zu reden. Ich wollte ja auch verstehen. Wollte wissen, wie sie denken, denn das ist einfach eine ganz andere Kultur. Allein, dass man als Frau dieses Kopftuch tragen muss, ist ja für uns Europäer unheimlich schwer zu verstehen. Es gibt eben vieles, das die Frauen in Afghanistan machen müssen, ohne dass es einen richtigen Grund dafür gibt. Es gibt einfach Vorschriften, die die Gesellschaft und die Familie ihnen machen. Fußball zu spielen ist etwas, das ihnen hilft, aus diesem Rahmen herauszutreten.
Ist es richtig, einen Sport zu so einem politischen Ansatz zu nutzen, oder kann Sport so einen hohen Anspruch in der Gesellschaft gar nicht erfüllen?
Man muss das nicht so politisch sehen. Grundsätzlich sind solche Projekte auf alle Fälle ein guter Ansatz, der auch gelebt werden kann. Im Prinzip ist es aber das, was die Sportvereine hier ja schon jeden Tag leisten. Zumindest in den Großstädten ist es so, dass in vielen Fußballvereinen 60 oder 70 Prozent Ausländer spielen, aus den unterschiedlichsten Nationen. Die Kinder lernen sich über den Sport kennen und sind so in der Lage, über den gemeinsamen Sport Vorurteile abzubauen. Einfach weil man merkt: Hey, der ist ja auch nicht anders als ich. Deswegen finde ich, dass man Sport nicht politisch sehen muss, sondern als Chance begreifen kann, miteinander Dinge zu erleben. Als eine Möglichkeit, gemeinsam Emotionen zu erleben, wodurch es schon mal schwerer fällt, andere auszugrenzen, nur weil man sie nicht kennt.
Vor einigen Jahren noch haben Sie es entschieden abgelehnt, Ihre Bekanntheit zu nutzen. Warum glauben Sie jetzt, als Fußballerin Menschen prägen zu können?
Tatsache ist, dass einen die Leute ohnehin irgendwie wahrnehmen. Und Tatsache ist auch, dass mir die Leute durch meine Bekanntheit mehr zuhören als anderen. Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles mit meinem Namen anfangen zu können, und ich denke inzwischen, das ist eine Chance, die Leute zum Nachdenken anzuregen. Ich will nicht, dass andere meine Meinung übernehmen. Aber ich will sie zum Denken anregen.
Denken Sie denn, als Fußballerin etwas erreichen zu können? Etwa durch die Antirassismus-Kampagne der Fifa, für die Sie sich einsetzen?
Wenn das Thema Rassismus aufkommt, beziehen wir Nationalspielerinnen ganz klar Stellung. Es ist auf einer so öffentlichen Bühne wie dem Sport wichtig, ganz klar zu sagen, dass man gegen Rassismus ist. Dass das im Sport nichts zu suchen hat, dass er überhaupt in der Menschheit nichts zu suchen haben sollte. Ich habe Rassismus selbst zum Glück noch nie erlebt, weder mit der Nationalmannschaft noch in der Bundesliga der Frauen. Aber das zu erwähnen und darauf aufmerksam zu achten ist wichtig.
Glauben Sie, als Fußballerin ein gutes Vorbild zu sein?
Das kann ich nicht beurteilen, da müssen Sie andere fragen. Aber grundsätzlich finde ich es gut, wenn Kinder Vorbilder haben und jemandem nacheifern können. Das hat eine wichtige Funktion, denke ich. Aber es ist nicht so, dass man alles, was Fußballer von sich geben, wie ein Heiligtum behandeln sollte. Es gibt durchaus größere Errungenschaften der Menschheit als Fußballspielen. Und es ist klar, dass in vielen Bereichen vielleicht andere Leute mehr Ahnung von der Sache haben, weil sie spezialisiert darauf sind.
Haben Sie deshalb jetzt an der Universität in Frankfurt noch ein Psychologiestudium angefangen, obwohl Sie bereits eine Ausbildung zur Physiotherapeutin haben? Von Ihren männlichen Nationalmannschaftskollegen würde man so eine Beschäftigung nicht erwarten.
Nur Fußball zu spielen ist mir einfach zu langweilig, ich fühle mich da nicht ausgelastet und zu sehr auf eine Sache fixiert. Außerdem will ich mir Zukunftsperspektiven aufbauen. Das ist etwas, woran männliche Fußballprofis vielleicht nicht so denken müssen. Physiotherapeutin zu sein ist zwar schön, aber ich wollte mir für die Zukunft einfach noch andere Möglichkeiten schaffen. Und ich bin zwar durch die vielen Lehrgänge der Nationalmannschaft und die UEFA-Cup-Spiele mit dem 1. FFC Frankfurt ziemlich eingespannt, aber noch lässt es sich ganz gut einteilen.
Sie sind Weltmeisterin, Europameisterin, UEFA-Cup-Siegerin, mehrmalige Deutsche Meisterin und Pokalsiegerin, haben also sportlich nahezu alles erreicht. Warum spielen Sie immer noch Fußball?
Es macht mir einfach immer noch Spaß. Ich habe Fußball schon immer gespielt, weil er mir Spaß macht, nicht weil ich damit vielleicht etwas erreichen kann. Und den ganzen Trubel rundherum, der zurzeit herrscht, den habe ich mittlerweile gut kanalisiert. Ich habe mich durch meine Fußballkarriere ganz gut kennen gelernt und weiß mittlerweile, was ich will und was ich nicht will. Wenn ich etwas tue, dann möchte ich es immer zu hundert Prozent machen, egal, ob das Fußball ist oder etwas anderes. Wenn das nicht der Fall sein sollte, würde es wohl keinen Spaß mehr machen. Aber auch wenn es mit den Jahren stressiger geworden ist: Ich habe viel erlebt durch den Fußball und das Erleben geht weiter.
Birgit Prinz wurde am 25.10.1977 in Frankfurt am Main geboren, wo sie auch heute lebt. Sie gehört mit einer Körpergröße von 1,79 Metern und einem Gewicht von 76 Kilogramm zu den dynamischsten und durchsetzungsfähigsten Spielerinnen weltweit. Die 28-jährige Nationalstürmerin des deutschen Rekordmeisters 1. FFC Frankfurt ist staatlich geprüfte Physiotherapeutin und studiert Psychologie an der Universität Frankfurt. In der deutschen Nationalmannschaft ist Prinz Spielführerin und Rekordtorschützin. Mit der DFB-Elf gewann die Weltfußballerin der Jahre 2003, 2004 und 2005 die WM 2003, die EM 1995, 1997, 2001 und 2005 sowie die Olympische Bronzemedaille 2000 und 2004. Auf Vereinsebene feierte Birgit Prinz bislang acht DFB-Pokalsiege, sieben Deutsche Meisterschaften, die US-Meisterschaft 2002 mit Carolina Courage und den UEFA-Cup-Titel 2002.
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