Wohin nur mit dem Atommüll? Irrwitzige Ideen dafür gab es schon. In der arktischen Eis versenken, mit Raketen ins Weltall schießen, in den Atlantik kippen. Letzteres wurde sogar bis in die 1980er-Jahre hinein gemacht, vor allem von Briten, Amerikanern und Franzosen. Oder ab damit nach Sibirien – auch dieser Vorschlag war schon mal auf dem Tisch. Auch in Deutschland ist die Idee, die strahlende Altlast aus den deutschen Atomkraftwerken ins Ausland zu schaffen, statt sie hierzulande endzulagern, offenbar nicht totzukriegen. Und dann geht es immer sehr schnell um Russland.

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Schön weit weg mit dem Zeug: Immer mal wieder gab es für den deutschen Atommüll Reisepläne nach Sibirien (Falko Ohlmer)

Schön weit weg mit dem Zeug: Immer mal wieder gab es für den deutschen Atommüll Reisepläne nach Sibirien

(Falko Ohlmer)

Erst kürzlich machte sich der Vorsitzende eines Energieverbandes für eine solche Wende in der Atommüll-Debatte stark. Der hochradioaktive Abfall könne durchaus im Ausland endgelagert werden, meinte der Chef des Zweckverbandes Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), Heinz Seiffert. Begründung: „Ich bin ziemlich sicher, dass es der Politik nicht gelingen wird, in der dicht besiedelten Bundesrepublik einen geologisch geeigneten Standort für ein Endlager durchzusetzen.“ Seifferts Verband ist immerhin Miteigentümer des drittgrößten deutschen Energiekonzerns EnBW, und er selbst sitzt im Aufsichtsrat des Unternehmens.

Ein weiteres Argument des Energiemanagers, der im Hauptberuf CDU-Landrat des Alb-Donau-Kreises ist: Derzeit nutze Deutschland zum Teil auch Atomstrom aus dem Ausland. Da sei es doch „nicht unlogisch, auch unseren Atommüll dort hinzubringen“. Es gebe „auch in diesem Bereich einen Weltmarkt“.

Das Wort „Russland“ nahm der Verbandschef nicht in den Mund. Dass es Kennern der Atomszene bei dem Seiffert-Vorstoß trotzdem sofort in den Sinn kam, kommt nicht von ungefähr.

Ausgerechnet der EnBW-Konzern hatte schon einmal mit Russland über den Export von Atommüll verhandelt. Die Atommanager sondierten bereits 2006, ob Abfälle aus dem AKW-Betrieb und -Abriss in Russland behandelt und gelagert werden könnten. Konkret war von der Option einer „langfristigen Zwischenlagerung von radioaktiven Abfällen und Endlagerung in einem international zugänglichen Lager“ die Rede. Das sollte Geld sparen. Es gebe „Kostenunterschiede, die sich aus den unterschiedlichen Regulierungsvorschriften“ in Deutschland und Russland ergäben. Zu Deutsch: Die Russen nehmen es mit der Sicherheit nicht ganz so genau. EnBW bekam sogar ein konkretes Angebot aus Moskau.

Zu dieser Zusammenarbeit mit den Russen, über die zumindest in Grundzügen auch die Bundesregierung informiert war, kam es dann allerdings nicht. Der geplante Deal wäre politisch hoch brisant gewesen, denn das deutsche Atomgesetz schließt den Export von Atommüll aus. Er blieb denn auch lange geheim. Erst 2013 wurde er durch Recherchen der Süddeutschen Zeitung aufgedeckt.

Denn in Deutschland läuft die Endlagersuche zäh

Grundsätzlich wäre der Export von deutschem Atomabfall ins Ausland für die hiesigen Stromkonzerne eine attraktive Option. Die Endlagersuche in Deutschland läuft nämlich mehr als zäh – und ist sehr teuer. Der Salzstock Gorleben wurde seit 1977 auf seine Eignung untersucht, ist aber bis heute hoch umstritten. Gekostet hat die Erkundung bereits rund 1,6 Milliarden Euro. Der Bundestag beschloss dann 2013 im Konsens von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, eine neue Endlagersuche zu starten. Die Kosten dafür, geschätzte zwei Milliarden Euro, sollen die Energiekonzerne tragen, wogegen sie sich bisher allerdings sperren.

Dass Moskau zu einem solchen Atommüll-Deal bereit wäre, gilt als sicher. Russische Gesetze würden den Import der strahlenden Fracht ermöglichen, und lukrativ für Moskau wäre er auch. Bereits seit Mitte der 1990er-Jahre hat Russland große Mengen Atommaterial aus Deutschland importiert. Es handelt sich um rund 30.000 Tonnen sogenanntes abgereichertes Uran, das bei dem Unternehmen Urenco im westfälischen Gronau anfällt.

Das deutsch-britisch-niederländische Unternehmen stellt angereichertes Uran her, das dank eines erhöhten Anteils des leicht spaltbaren Uranisotops 235 gut als Atombrennstoff genutzt werden kann. Urenco konnte das dabei als Reststoff anfallende abgereicherte Uran exportieren, da es nicht als Müll, sondern als „Wertstoff“ deklariert wurde. Das abgereicherte Uran findet üblicherweise kaum mehr Verwendung; einsetzbar ist es in Brutreaktoren zur Herstellung von Plutonium oder für uranhaltige panzerbrechende Munition. Russische Umweltschützer sprechen von einem „illegalen Atommüll-Export“.

Ende 2014 hat eine Aktivistin aus Jekaterinburg deswegen bei der Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen gegen Urenco beantragt. Die Umweltschützer argumentieren, an den drei Lagerorten des Urenco-Materials in Sibirien und im Ural sei von einer Wiederverwertung nichts zu erkennen. Zum Teil lagere es dort einfach unter freiem Himmel in Fässern. Deswegen müsse der Export nach Russland neu bewertet werden. Ihre Heimat dürfe nicht die „Atommüllkippe Deutschlands“ werden, sagte Olga Podosenova von der Umweltgruppe Ecodefense, „der Export war völlig unverantwortlich.“

„Deutscher Atommüll ist ein Deutsches Problem“

Das zeigt, wie heikel das Thema Atomexport ist. OEW-Chef Seiffert bekam nach seinem Vorstoß, ein Endlager im Ausland zu finden, denn auch gleich heftigen Gegenwind zu spüren. In Baden-Württembergs grün geführtem Umwelt- und Energieministerium hieß es: „Es ist abwegig, darüber nachzudenken, den Müll um die halbe Welt zu schicken und zu glauben, damit das Problem lösen zu können.“ Deutschland trage für den in seinen Atomkraftwerken produzierten Atomabfall eine Verantwortung, die sich nicht delegieren lasse. „Der „einzig gangbare und erfolgversprechende Weg“ sei der Neustart der Atomendlagersuche in Deutschland.

Auch die Opposition in Baden-Württemberg pflichtete dem grundsätzlich bei. CDU-Fraktionschef Peter Hauk sagte, die Lösung müsse „innerhalb Deutschlands“ gesucht werden. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke betonte: „Deutscher Atommüll ist ein deutsches Problem.“ Erst wenn hierzulande kein geeigneter Standort gefunden werde, solle über eine Lösung im Ausland nachgedacht werden. Beobachter erwarten, dass es wie in Gorleben zu heftigen Protesten kommen wird, wenn in den nächsten Jahren neue mögliche Standorte für ein Endlager in Deutschland benannt werden. Nicht ausgeschlossen, dass irgendwann die Option Ausland doch wieder interessant wird.

Joachim Wille ist freier Autor mit Schwerpunkt Umwelt-, Energie- und Klimapolitik. Er schreibt unter anderem für die „Frankfurter Rundschau“, den „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Bild der Wissenschaft“, klimaretter.info und Fachmagazine.