fluter: Warum hat man den Euro überhaupt eingeführt?

Wolfgang Münchau: Die Idee gibt es schon seit den siebziger Jahren. Damals brach das sogenannte Bretton-Woods-System zusammen, das die Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg stabilisiert und auch das deutsche Wirtschaftswunder in den fünfziger Jahren ermöglicht hatte. Es basierte vor allem auf festen Wechselkursen, dem Dollar als Leitwährung und Kontrollinstanzen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Als sich aber die Volkswirtschaften zunehmend unterschiedlich entwickelten, war das System 1973 am Ende. In der Folge hat sich Europa verstärkt in Richtung Binnenmarkt entwickelt, und es kam zur Idee einer Währungsgemeinschaft – auch, um als geeinter Wirtschaftsraum stärker zu werden und besser konkurrieren zu können. Der Handel untereinander sollte angeregt und starke Schwankungen der einzelnen Währungen vermieden werden. Außerdem gab es nach der Wiedervereinigung den Wunsch, Deutschland stärker in Europa einzubinden, um einen deutschen Sonderweg zu vermeiden. Helmut Kohl hat den Euro als „europäische Medaille der deutschen Wiedervereinigung“ bezeichnet.

War der Euro denn für Deutschland gut?

Deutschland hat immer in Zeiten fester Wechselkurse profitiert. Volkswirtschaftlich betrachtet liegt das an den realen Abwertungen. Das heißt: Die D-Mark oder der Euro waren zwar nominal fest gegen den Dollar, was ja sowohl die Idee des Bretton- Woods-Systems als auch des Euro war, aber in Deutschland waren die Lohnsteigerungen geringer. Dadurch wurde Deutschland jedes Jahr wettbewerbsfähiger, was man ja an den Exportüberschüssen erkennt. Deutschland war der große Nutznießer sowohl des Bretton-Woods-Systems als auch bei der Einführung des Euro.

Warum steckt der Euro immer wieder in der Krise?

Man hat damals nicht verstanden, welche Dynamik hinter einer Wirtschafts- und Währungsunion steckt. Und keiner hat klar gesagt, welche Konsequenzen der Euro für die Wirtschaftspolitik der Länder hat – auch, weil man die Euro-Kritiker beschwichtigen wollte, die um die Unabhängigkeit der einzelnen Länder fürchteten. Kein Land musste bei der Einführung des Euro seine politischen Strukturen anpacken, jeder hat weitergemacht wie vorher. Man hat sich damals auf eine lockere Vereinbarung mit allen EU-Ländern geeinigt, statt mit den Ländern, die den Euro bekamen, verbindliche Abkommen zu schaffen. Man hätte außerdem von Anfang an eine gemeinsame Finanzpolitik auf den Weg bringen müssen, also eine Fiskalunion.

Warum hat es die nicht von Anfang an gegeben?

Sie war politisch nicht gewollt, weil niemand gern Teile seiner Autarkie einbüßt. Da hatte man teilweise Angst, dass plötzlich die Steuerbehörden eines anderen Landes vor der Tür stehen. Also hat man sich eingeredet, dass niemand eine Fiskalunion brauche, weil sich eh alle an die Vorgaben halten werden. Das war ein Trugschluss.

Warum hängt ein geeintes Europa von einer gemeinsamen Währung ab?

Es kann kein geeintes Europa geben, in dem einige Staaten den Euro haben und andere nicht. Auf dieser Lüge baute der Euro auf, und das rächt sich jetzt. Wenn in Zukunft eine dringend notwendige Fiskalunion entwickelt werden sollte, wird man sich von EU-Ländern ohne Euro wie Großbritannien und Schweden entfernen. Kurz gesagt: Was den Euro rettet, wird die EU in der jetzigen Form zerstören. Denn dann stellt sich die Frage, ob die Nicht-Euro-Länder noch länger in einer Gemeinschaft sein wollen, mit der sie weniger zu tun haben.

Zuletzt wurde der sogenannte Rettungsschirm, der Gläubigern von EU-Ländern die Rückzahlungen absichert, um viel Geld erweitert. Was braucht es noch, um in Zukunft Krisen zu vermeiden?

Ich halte diese Maßnahmen für ungenügend, sie können nur Teil einer Lösung sein. Wir benötigen dringend eine Zentralbank, die als Käufer der letzten Instanz auftritt. Das bedeutet: Wenn es eine Institution gibt, die im wirklich großen Stil Staatsanleihen kaufen kann, verleiht das dem Euro die notwendige Stabilität, weil es andere Käufer beruhigt. Die 170 Milliarden Euro, die die Europäische Zentralbank derzeit hält, sind ja nur ein Bruchteil des Bruttoinlandsproduktes des EU-Währungsraumes. Das beeindruckt niemanden. Außerdem sollte es EU-Anleihen geben, also eine Staatsanleihe, mit der die EU-Länder gemeinsam Schulden am Finanzmarkt aufnehmen können. Mit diesen Eurobonds hätten wir den größten und attraktivsten Bondsmarkt der Welt.

Was ist eigentlich dieser Finanzmarkt?

Das ist keine unheimliche Macht, sondern im Grunde besteht der Finanzmarkt aus Menschen, die Renten anlegen oder auch Spareinlagen. Das sind also Anleger, die das Geld ihrer Kunden vermehren wollen. Ich kann mit den Verschwörungstheorien nichts anfangen. Wenn die Anleger das Vertrauen in eine gewisse Politik verlieren, investieren sie nicht mehr. Sinn macht eine Begrenzung der Bankengröße. Die sollten nur so groß sein, dass ihr Bankrott nicht ganze Volkswirtschaften gefährdet.

Es gibt ja neben den Banken Ratingagenturen, die europäische Staaten ab- und aufwerten. Haben die zu viel Macht?

Die Ratingagenturen werten ja auch Amerika ab. Die taugen nicht für Verschwörungstheorien. Das sind ja nicht nur amerikanische Agenturen, an einer davon sind Franzosen beteiligt. Agenturen sind prozyklisch. Wenn es bergab geht, sind die vornan, und deshalb gehen in der Krise, wenn die Schulden hoch sind, auch alle Ratings runter. Das kann man problematisch finden.

Wie kann man in Zukunft die Bevölkerung mehr einbeziehen?

Das wird kompliziert, aber es ist dringend notwendig. Wir brauchen eine effektive demokratische Kontrolle, und da ist das Europäische Parlament nicht ausreichend, weil es nicht nur die Länder vertritt, die den Euro haben, sondern auch die anderen. Man muss einen Weg finden, die nationalen Parlamente formell einzubeziehen. Es gibt Überlegungen, so ähnlich wie in Deutschland mit Bundestag und Bundesrat eine doppelte Kammer zu bilden. Das Europaparlament wäre in diesem Sinne das Unterhaus, und dann gäbe es noch einen Senat, in dem die Haushaltsausschüsse der entsprechenden Nationen vertreten sind. So käme es zu einer direkten Beteiligung der Parlamente. Es kann ja nicht sein, dass sich immer die Regierungschefs in Brüssel treffen, um etwas zu entscheiden, und dann um vier Uhr morgens aushandeln, was für alle verbindlich ist. Das ist keine richtige Demokratie. Das kann man mal machen, aber das ist einer Wirtschaftspolitik für den zweitgrößten Währungsraum der Welt völlig unangemessen.

Was würde denn passieren, wenn man den Euro wieder abschafft?

In Deutschland würde erst einmal der Wechselkurs hochschießen. Dann wären wir zwar reicher, weil alles billiger würde, aber wir würden massenweise Arbeitsplätze verlieren. Denn die würden in andere Länder ausgelagert, die für Firmen aus dem Ausland günstiger sind. Die ganze Wettbewerbsfähigkeit, die wir uns in der Vergangenheit erarbeitet haben, wäre dahin. Die Wirtschaft würde schwächeln, weil die Menschen wegen der hohen Arbeitslosigkeit unsicherer wären und weniger verbrauchen würden. Auch das Signal an die Welt, dass sich Europa nicht einigt, sondern spaltet, wäre fatal.

*Der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Münchau schreibt für die Zeitung „Financal Times“

Eurorettungsschirm

Eurorettungsschirm sagt man zu all den Maßnahmen, die die Euro- Länder in letzter Zeit beschlossen haben, um den Euro stabil zu halten. Enthalten sind die Kredite für Griechenland und die beiden Zungenbrecher „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF)“ und „Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)“. Die EFSF ist nur ein vorläufiger Fonds, aus dem schon Portugal und Irland Geld bekommen haben. Der ESM soll in Zukunft überschuldeten Euro-Ländern Hilfskredite auszahlen, damit ihre Krise nicht auf ganz Europa übergreift. Deutschland ist daran mit Garantieleistungen in Höhe von mindestens 123 Milliarden Euro beteiligt.