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Schwöre

Vincent wird erst von Ali und Tarek verprügelt, dann freundet er sich mit ihnen an. Der Roman „Pink Elephant“ von Luca Kieser erzählt von Zugehörigkeit, Alltagsrassismus und Selbstbräuner

  • 5 Min.
Pink Elephant

Worum geht’s?

Vincent, 14, wächst wohlbehütet auf, doch sein Leben scheint etwas langweilig und nicht cool genug zu sein. Der Vater ist Arzt, die Mutter so etwas wie eine persönliche Assistentin eines Landtagsabgeordneten. Vincents Familie fährt SUV, wohnt in einem Einfamilienhaus in der Nähe von Stuttgart. Es ist das Jahr 2006, der Sommer der Fußball-WM in Deutschland, die den Roman wie ein Grundrauschen durchzieht. Eines Tages kommt es zwischen Vincent, seinem Kumpel Tobi und den Gleichaltrigen Ali und Tarek zu einer Rangelei. Blöde Sprüche, Provokationen – dann eine Kopfnuss, Vincent hört nicht auf zu bluten. Ali ist noch nicht strafmündig, Tarek wird angezeigt (vermutlich von Vincents Eltern, wie sich später andeutet). Doch parallel freundet Vincent sich mit den beiden an – weil alle nach einem Täter-Opfer-Ausgleich merken, dass sie sich doch ganz cool finden. Als Ali nach einem Sprung aus dem Fenster im Koma liegt, wird Vincent klar: Das Leben seiner neuen Freunde unterscheidet sich von seinem noch viel mehr, als er dachte. Trotz allem möchte er unbedingt zu ihrem dazugehören.

Worum geht’s eigentlich?

Im Zentrum des Romans steht eine ungleiche Freundschaft. Der in einem weißen, bürgerlichen Milieu aufwachsende Vincent verbringt plötzlich Zeit mit Tarek, dessen Familie aus Syrien stammt, und Ali, dessen Mutter Palästinenserin ist. Die beiden wohnen im selben Hochhaus auf der anderen Seite des Tals, im vierten und fünfzehnten Stock. Die Teenager rauchen Zigaretten und Shisha, trinken Wodka mit Pfirsich-Eistee, verzocken Geld in Spielautomaten. Eine nicht ganz ungewöhnliche Jugend im Jahr 2006. Und doch erhält Vincent durch seine neuen Freunde Einblicke in eine Welt, die ihm zuvor verborgen war. Es bleibt allerdings ein einseitiger Austausch, denn Ali und Tarek sind nie bei Vincent zu Besuch. Anders als Vincent scheinen die beiden sich nicht nach einem anderen Leben zu sehnen.

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Pink Elephant
„Pink Elephant“ von Luca Kieser erscheint am 28. August im Blessing-Verlag.

„Pink Elephant“ behandelt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den drei und die Frage, wer eigentlich wo dazugehört. Vincent ist für seine neuen Kumpels „so weiß, man sieht ihn nicht in der Sonne“. Er will Arabisch lernen, und sein Versuch, seinen neuen Freunden durch Selbstbräuner zu ähneln, geht natürlich schief. In Vincents Verhalten vermischen sich Naivität, Bewunderung und kulturelle Aneignung. Ali wiederum – der eigentlich Alex heißt – ist für Tarek „Mayonnaise“, weil sein Vater aus Deutschland stammt. Ali und Tarek erleben immer wieder Alltagsrassismus. Die Figuren ohne Migrationsgeschichte nehmen das entweder wie selbstverständlich hin oder üben ihn selbst aus, etwa Vincents Eltern. Sein Kumpel Tobi würde sogar gerne davon profitieren. Wenn Aussage gegen Aussage stehe, glaube man schon ihnen, so die Hoffnung. Eine Einschätzung, die zutrifft, wie sich später zeigt. Vincent soll der Schulleiterin sagen, wer von beiden – Ali oder Tarek – angefangen habe mit dem Streit. Dass es auch Vincent gewesen sein könnte, kommt ihr offenbar nicht in den Sinn.

Wie wird es erzählt?

Der Autor Luca Kieser verzichtet in seinem zweiten Roman auf eine Chronologie. Stattdessen erzählt er die Geschichte auf zwei Zeitebenen – vor sowie nach Alis Sprung aus dem Fenster –, die teilweise sehr plötzlich innerhalb desselben Kapitels wechseln. Sich zu orientieren fällt da manchmal schwer. Es hat aber auch seinen Reiz, weil sich das Wissen als Leser*innen und das Wissen der Figuren nicht immer decken – so wird erst relativ spät klar, warum genau Ali aus dem Fenster springt.

Luca Kieser zweifelte, so erzählt er es in einem Verlagsinterview, lange daran, ob er als weißer Schriftsteller diese Geschichte überhaupt schreiben kann, darf – und sollte. Auch weil der Roman Beleidigungen und rassistische Zuschreibungen reproduziert. Zwei Personen waren schließlich für ein Sensitivity Reading verantwortlich, haben den Text also aus Betroffenensicht auf Stereotype und Diskriminierung geprüft. Manchmal, an Stellen, an denen es gar nicht um potenziell Rassistisches geht, wirkt die Sprache allerdings etwas unnatürlich: Im Krankenhaus zum Beispiel verlangt Tarek, der eben noch wie so häufig einen Satz mit „ich schwöre“ beendet hat, nach „einem Arzt oder einer Ärztin“. Ein Teenie, der im Jahr 2006 gendert, wirkt dann doch überkorrekt und unrealistisch.

Gut zu wissen

„Pink Elephant“, das sind pinke Zigaretten mit Vanillegeschmack, die Vincent aus Versehen kauft. Für den Autor Luca Kieser ist das unmögliche Tier ein „Bild für das, was Vincent tut, wenn er versucht, durch äußere Merkmale Zugehörigkeit zu erlangen“.

Lohnt sich das?

Luca Kieser fängt sowohl die Lebensrealität von Vincent, Ali und Tarek als auch die Zeit der Handlung wunderbar ein. Da werden heimlich nachts Pornos geschaut, Playsi gezockt und mit Aldi Talk SMS geschrieben. Die Sympathieverteilung gerät dabei aber stellenweise zu schablonenhaft: Die nichtmigrantischen Deutschen sind ausnahmslos mindestens unterschwellig rassistisch. Die Migrantisierten sind nicht nur sympathischer, sondern auch durchweg Opfer des Systems. Etwas mehr Balance hätte den Roman noch authentischer gemacht.

Titelbild: Ekkehart Bussenius – Kreuels/laif

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.