Sinnlose Symbolpolitik! Es gibt viel bessere Lösungen als Verbote.
von Kristina Antonia Schäfer
Woran merkt man, dass ein angeblich wegweisender Schritt wirklich wegweisend ist? Nicht daran, dass der Widerstand ausbleibt, so viel ist klar. Wenn niemand aufbegehrt, handelt es sich wohl doch nur um einen zögerlichen Tapser.
Das Plastikverbot ist so ein Fall. Es will Kleinigkeiten wie Strohhalme oder Wattestäbchen aus Kunststoff verbannen. Als der Plan voriges Jahr bekannt wurde, gab es kaum fundamentale Kritik. Selbst einige Plastikhersteller zeigten Verständnis für den Vorstoß, der ihnen eigentlich den Angstschweiß auf die Stirn hätte treiben sollen. Genau das tat und tut er eben nicht. Der Plan ist: nichts weiter als Symbolpolitik.
Strohhalme und Co. machen nicht mal ein Prozent des europäischen Plastiks aus
Die Europäer erzeugen jedes Jahr 25 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle. Doch selbst wenn das neue Verbot streng umgesetzt würde, könnte das kaum etwas ändern, denn Strohhalme und Co. machen nicht einmal ein Prozent des europäischen Plastiks aus! Es sind Verpackungen, die für einen Großteil des Müllproblems sorgen, und das immer stärker, je mehr Fertiggerichte oder Mitnehmprodukte die Supermärkte überfluten. 2018 wurden in der EU allein für Essen und Getränke mehr als eine Billion Verpackungen genutzt. Wollte die Politik wirklich etwas gegen die Plastikflut tun, müsste sie also bei der Verpackungsbranche anfangen.
Die ganz Radikalen könnten jetzt fordern: Macht es so wie andere Länder! Wer in Ruanda Plastiktüten produziert, handelt oder auch nur nutzt, dem drohen seit rund zehn Jahren hohe Geld- oder Gefängnisstrafen. Auch Kenia hat seit 2017 ein solches Gesetz. Es ist aber gar nicht ausgemacht, dass Verbote unser Plastikproblem – oder genauer gesagt: unser Umweltproblem – lösen können. Viele der Materialien, die Kunststoffe ersetzen sollen, stehen selbst in der Kritik – weil ihre Herstellung die Umwelt stark belastet oder weil sie sogar noch schlechter entsorgt werden können. Plastik kann, zumindest theoretisch, leicht wiederverwertet werden. Für vermeintlich ökologische Alternativen wie etwa die beliebten Bambusmischstoffe gilt das nicht.
Statt eines Plastikverbots brauchen wir eine Recycling-Revolution!
Was also ist die Lösung? Es geht nicht darum, Plastik komplett zu verbannen. Es sollte vielmehr darum gehen, es effizient zu nutzen, um einen echten Recyclingkreislauf aufzubauen. Aktuell werden nämlich in der EU weniger als ein Drittel der Kunststoffabfälle überhaupt für das Recycling gesammelt. Die Recyclingquoten variieren dann von Land zu Land.
Der Kreislauf könnte auf mehreren Ebenen angeschoben werden. Für Verbraucher könnte Recycling attraktiver werden, wenn das Pfandsystem von Einwegflaschen auf andere Plastikprodukte ausgeweitet wird. Gleichzeitig könnten Hersteller verpflichtet werden, ihr Plastik so zu produzieren, dass es optimal wiederverwertbar ist. Helfen würde auch ein gesetzlicher „Mindestrecyclinganteil“, also wie viel Prozent des neuen Plastiks aus Altplastik hergestellt sein müssen. Im Moment sind es in der EU nur sechs Prozent.
Was wir brauchen, ist eine Recycle-Revolution! Der Umstieg wäre nicht einfach, so viel ist klar. Er würde ganze Industrien dazu zwingen, ihre Produktionen zu überdenken, und für viel Widerstand sorgen – wahrscheinlich sogar mehr als ein einfaches Verbot. Mit anderen Worten: Es wäre der wegweisende Schritt, den wir jetzt brauchen.
Kristina Antonia Schäfer arbeitet als Redakteurin für Finanzen und Politik bei WirtschaftsWoche Online.
Einwegplastik verbieten: Das ist nur der Anfang!
von Alina Schadwinkel
Plastik mag oft praktisch sein, doch ehrlich gesagt: Unser Umgang mit ihm ist eine Schande. Jeder Strohhalm, den wir in die Caipirinha stecken, und jeder Plastikteller beim Grillen im Park sollte uns erinnern – an den Müllberg aus Plastik, den wir produzieren, und an die rund zehn Millionen Tonnen Plastik, die jedes Jahr rund um den Globus in den Ozeanen landen.
Das ist nicht nur widerlich, weil es die Umwelt verschmutzt. Plastikteile und Mikroplastik gefährden zudem Tiere und Menschen. Machen wir uns nichts vor: Winzige Kunststoffpartikel enden auch in unseren Lungen und auf unseren Tellern. Welche Auswirkungen das auf die Gesundheit hat, ist bisher unbekannt.
Das Verbot geht die Quelle des Übels an: unser Verhalten
Wie grandios, dass einige Wegwerfprodukte aus Plastik ab 2021 in Europa verboten sind. Europaweit steht damit offiziell fest: Wir haben ein Müllproblem, das außer Kontrolle ist. Ein unbekümmerter Umgang mit Plastik ist nicht länger zu dulden. Wenn in 30 Jahren nicht mehr Plastikteile als Fische in den Meeren schwimmen sollen, muss sich etwas ändern – und zwar so schnell wie möglich. Ein Wegwerfplastik-Verbot ist ein guter Anfang, weil es nicht nur die Flut eindämmen, sondern die Quelle des Übels angehen soll: unser Verhalten. Die Menschheit produziert mehr Plastik, als gut für den Planeten ist, und anstatt die Menge zu reduzieren, kommen jedes Jahr rund 350 Millionen Tonnen Kunststoffe hinzu.
Die Skeptiker*innen mögen nun nörgeln und sagen, dass der EU-Beschluss auf unzähligen Kompromissen basiert und deshalb wirkungslos ist. Doch im Gegenteil: Es gilt, die Richtlinie als historisches Signal und Chance zum Wandel anzuerkennen. Sie liefert die europaweite Basis für künftig zusätzliche, noch strengere Regeln, die die Chance bieten, unser Verhalten grundsätzlich zu ändern.
Die Staaten können die Richtlinie viel strenger umsetzen
Und eine weitere Chance bietet die Richtlinie: Bis Mitte 2021 haben die EU-Staaten Zeit, sie in nationales Recht zu gießen. Damit hat jede Regierung die Möglichkeit, mehr Maßnahmen schneller umzusetzen, als auf EU-Ebene beschlussfähig war – hier haben die Mitgliedstaaten großen Spielraum. Ein Beispiel: Bis Ende dieses Jahrzehnts müssen 90 Prozent der Kunststoffflaschen getrennt gesammelt werden und 30 Prozent von ihnen aus Recyclingkunststoff bestehen. Das sind Mindestvereinbarungen der EU. Deutschland sollte die EU-Richtlinie viel strenger umsetzen: mit kürzeren Fristen, höheren Recyclingquoten oder noch mehr Verboten. Zum Beispiel, dass deutscher Müll nicht mehr nach Südostasien verschifft werden darf.
Es ist zu erwarten, dass große Teile der Bevölkerung solche Eingriffe in ihren Alltag sogar unterstützen werden. Viele Deutsche machen sich Sorgen um die Umwelt, wollen sie schützen und sind bereit, etwas zu ändern. Das zeigt nicht zuletzt der Zulauf zur Fridays-for-Future-Bewegung. Doch etwas ändern zu wollen und es tatsächlich zu tun, ist dann doch ein Unterschied. Die eigenen Gewohnheiten sind oft träge und resistent: Am Morgen nach der WG-Party Dutzende Teller spülen? Dann doch lieber Plastikgeschirr in den großen Müllsack kippen.
Das Plastikproblem ist zu groß, als dass Politiker*innen noch darauf hoffen sollten, dass jede*r seinen Alltag selbst reguliert. Manchmal braucht es deshalb einen zusätzlichen Anstoß von außen. Das Verbot der EU ist ein solcher Impuls.
Alina Schadwinkel ist Wissenschaftsjournalistin und leitet die Redaktion von spektrum.de.
Collagen: Renke Brandt