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„Unser Land ist kein sicheres Pflaster“

Ziemlich sicher ist hingegen, dass Mexiko heute eine neue Präsidentin bekommt – seine erste überhaupt. Was erhoffen sich junge Wählerinnen und Wähler von den zwei Kandidatinnen?

Mexiko, Wahlen

Am Sonntag wählt Mexiko auf mehreren Ebenen, sowohl regional als auch landesweit, und ernennt neben Senat und Abgeordnetenhaus auch seinen neuen Präsidenten – beziehungsweise besser gesagt: seine neue und erste Präsidentin überhaupt. Nachdem das Oppositionsbündnis mit Xóchitl Gálvez eine weibliche konservative Kandidatin ins Rennen geschickt hatte, ernannte auch die regierende Koalition des linksgerichteten Präsidenten Andrés Manuel López Obrador eine Frau als Kandidatin: Claudia Sheinbaum aus seiner Partei Morena. Sie liegt in den Umfragen vorne. Weit abgeschlagen an dritter Stelle kämpft Álvarez Máynez von der Mitte-Links-Partei Movimiento Ciudadano um das Amt.

Die laut Umfragen wichtigsten Themen im Wahlkampf sind Wirtschaft, Korruption und Sicherheit. Letzteres ist für Politikerinnen und Politiker auch ganz persönlich zentral: Die Organisation Laboratorio Electoral, die Daten rund um die Wahlen erhebt, gibt an, dass mindestens 70 Menschen im Zusammenhang mit den aktuellen Wahlen ermordet worden sind, davon 33 Kandidaten. Hunderte für Lokalämter Kandidierende haben ihre Bewerbung zurückgezogen. Wer und was hinter den Morden steckt, lässt sich nicht immer sagen. Sehr oft aber führt die Spur zu Drogenkartellen.

Wir haben junge Wählerinnen und Wähler gefragt, für wen sie sich entscheiden und was sie sich von der neuen Legislaturperiode (sechs Jahre) für sich und ihr Land erhoffen.

Elvira, 20, arbeitet in einer internationalen Bank

Ich weiß, wen ich nicht wählen werde: Sheinbaum. Ich bin kein Fan von sozialistischen oder kommunistischen Systemen, außerdem arbeitet ihre Partei sehr intransparent. In den Umfragen liegt Morena weit vorn, weil die Partei ihren Wahlkampf auf alte, arme und arbeitslose Menschen fokussiert. Viele Menschen, die eigentlich am eigenen Leib erfahren haben, dass die Partei das Blaue vom Himmel lügt, wählen sie trotzdem. Morena verspricht Sachen, die sie nicht erfüllen wird und auch gar nicht kann: Unsere Staatsausgaben werden immer mehr, aber unsere Einnahmen nicht. Ich glaube, wir müssten vor allem Arbeitsplätze schaffen. Stattdessen will Morena einfach die Einkommensteuer erhöhen. Ich bin nicht gegen Steuererhöhungen, aber ich will die Auswirkungen davon sehen – am Straßenbau zum Beispiel oder dass mehr Sicherheit herrscht. Die Regierung arbeitet zu ineffizient, und wir haben viele Schulden, dadurch verlieren wir viel Unterstützung von anderen Ländern. Es ist sehr risikoreich, in Mexiko zu investieren, weil unser Land kein sicheres Pflaster ist.  

Far, 18, Studentin

Dieses Jahr kann ich zum ersten Mal wählen. Ich werde mein Kreuz bei Sheinbaum setzen, weil sie verspricht, Programme für Kinder zu unterstützen, für alleinerziehende Mütter, für alte und arme Menschen. Viele Omas und Opas haben niemanden, der sich um sie kümmert. Es gibt nicht genügend Einrichtungen oder Freiwillige, die das übernehmen können. Ich selbst bin Pfadfinderin, genau wie meine Großmutter, meine Mutter und mein Onkel es waren. Auch mein Bruder ist Pfadfinder. Wir verbringen viel Zeit in der Natur, wir pflegen sie und räumen Müll weg. Aber wir helfen auch armen Leuten.

Ich persönlich wünsche mir vor allem, dass die Straßen sicherer werden. Ich fühle mich nicht immer wohl, wenn ich unterwegs bin. Fahre ich abends von irgendwo nach Hause, meide ich die U-Bahn und steige lieber aufs Rad.  

Liam, 16, Schüler

Noch darf ich ja nicht wählen, aber könnte ich, würde ich wahrscheinlich PAN ankreuzen. Auf jeden Fall nicht die derzeit regierende Morena. Ich mag deren Ideologie nicht und dass sie sich als liberal verkaufen, aber einfach nur opportunistisch sind. Vor ein paar Jahren haben sie richtig viel Geld in eine Benzinraffinerie gesteckt, um schnell Geld zu machen, anstatt mehr in Solarenergie zu investieren. Wir haben auch nur noch wenig Wasser in Mexiko. Ein paar meiner Freunde, die im Süden wohnen, haben zu Hause überhaupt keines mehr. Ein Bus bringt ihnen zweimal pro Woche Wasser, damit sie etwas zu trinken haben, kochen können und sich duschen. Wir haben zwar eine grüne Partei, aber meiner Meinung nach machen die nicht viel. Fridays for Future und überhaupt die ganze grüne Bewegung ist hier viel kleiner als in Deutschland.

In Mexico City gehe ich auf eine deutsche Schule, ein Teil meiner Familie hat deutsche Wurzeln. In der zehnten Klasse gab es die Möglichkeit für einen Schüleraustausch, und so habe ich ein Jahr lang in Deutschland gewohnt. Dort ist mir sofort aufgefallen, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich viel kleiner ist als bei uns. Hier sind fast alle arm – und die Reichen sind unfassbar reich. Ein anderer riesiger Unterschied natürlich: die Sicherheit. Es ist sehr schwer, die Kartelle zu bekämpfen, ohne dass es dadurch nicht noch mehr Gewalt auf der Straße gibt. 

Dillian, 22, studiert Marketing und arbeitet in einer Medienagentur

Ich bin mit keiner der antretenden Kandidatinnen glücklich. Mir kommt es so vor, als würden sie einfach nur eine erwünschte Rolle für die Öffentlichkeit spielen und die tatsächlichen Entscheidungen werden im Hintergrund von einflussreichen Leuten aus ihrer Partei getroffen. Deshalb kann ich nur sagen, wen ich nicht wählen werde.

Die aktuelle Regierung ist Chaos und produziert Chaos. Ich weiß gar nicht mehr, wem ich vertrauen kann, so viel Korruption gibt es. Über viele Bereiche, zum Beispiel die Sicherheit im Land, hat die Regierung die Kontrolle verloren; die Gewalt auf den Straßen wird immer schlimmer. Präsident Amlo versucht gar nicht erst, das Land zu einen. In einer so hohen Position, finde ich, sollte man nicht die ganze Zeit von „die da und wir“ reden. Wir mögen unterschiedliche Parteien wählen oder Klassen angehören, aber wir sind ein Staat und müssen unsere Probleme gemeinsam lösen.

Bei mir zu Hause sprechen wir viel über Politik, ich mag die Art, wie meine Eltern denken, und wähle auch ähnlich wie sie. In meinem Freundeskreis reden wir dagegen kaum über Politik. Nicht, weil es uns nicht interessiert, sondern um Streit zu vermeiden. Wir haben sehr unterschiedliche Hintergründe und deshalb auch recht unterschiedliche Blickwinkel.

Mir persönlich ist das Thema Bildung am wichtigsten. Ich finde, dass viele Lehrende qualifiziert sind, aber nicht genug Unterstützung bekommen, um ihre Ideen umzusetzen. An meiner Universität geht es immer nur um Geld. Natürlich ist Geld wichtig. Aber wenn nicht viel da ist, sollte man es umso weiser investieren. Es sollte darum gehen, die beste Bildung für Menschen anzustreben, Universitäten und Schulen sollten mehr miteinander kommunizieren und sich unterstützen. Die nächsten Generationen müssen befähigt werden, neue Wege zu gehen und Synergien zu bilden.

Kevin, 30, Architekt

Mir ist am wichtigsten, dass ich der Person intuitiv vertrauen kann, die unser Land führt. Claudia Sheinbaum hat in meinen Augen bewiesen, dass sie unser Vertrauen verdient: Sie war mal Bürgermeisterin von Mexico City und hat da wirklich einen guten Job gemacht. Während der Corona-Pandemie hat sie schlau agiert und uns durch diese Zeit gebracht.  

Ich möchte, dass sich Mexiko technisch und in Sachen Infrastruktur weiterentwickelt, schließlich sind wir flächenmäßig ein echt riesiges Land. Früher hatten wir mal ein recht gutes Zugnetz. Amlo (Anm.: Andrés Manuel López Obrador, der aktuelle Präsident) und seine Morena-Partei setzen sich dafür ein, dass dieses Schienennetz wiederhergestellt und auch ausgebaut wird. Auf manchen Strecken haben sie das auch schon umgesetzt, und jetzt kommt man innerhalb kürzester Zeit von A nach B. Davon profitieren nicht nur Einzelpersonen, sondern zum Beispiel auch der Tourismus und die Wirtschaft. Damit der Ausbau weiterhin klappt, müssen aber unsere Beziehungen zu den USA gepflegt werden. Wir importieren und exportieren nämlich viele Materialien, von Stahl bis Beton. Die Firma, für die ich arbeite, hat auch viele Aufträge aus den USA. Ich habe das Gefühl, dass Mexiko grundsätzlich auf einem guten Weg ist. Die LGBT-Community zum Beispiel, zu der ich gehöre, ist in Städten enorm gewachsen, freier und mutiger geworden.

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