Der Krieg in Syrien hat schon sehr viel Leid und deshalb viele Schauergeschichten hervorgebracht. Etwa jene über massenhafte Hinrichtungen im Militärgefängnis Sednaya nahe der Hauptstadt Damaskus. Dort bringe das Regime von Baschar al-Assad systematisch und ohne rechtsstaatliche Verfahren Menschen um, berichtete im Februar 2017 die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ (AI) und stützte sich auf umfangreiche Zeugenaussagen. Zahlreiche Medien griffen den Bericht von AI auf, beispielsweise das ZDF. In einem Beitrag der Nachrichtensendung „heute“ hieß es neben vielen weiteren Einzelheiten, die Morde würden laut AI meistens nachts passieren.

Auch der russische Auslandssender RT Deutsch beschäftigte sich mit dem Fall Sednaya – und vor allem mit der Berichterstattung deutscher Medien über ihn. In der Sendung „451 Grad“ („451º“) führte Moderator Reza Abadi aus: „Also, das verstehe ich jetzt nicht. Assads Schergen, wie seine Gefolgsleute ja gern genannt werden, schmeißen gemäß zahlreicher Medienberichte Streubomben und Giftgas bei helllichtem Tag auf die eigene Bevölkerung. Aber ausgerechnet in einem Militärgefängnis, das wie ein Bunker aufgebaut ist, achten sie darauf, dass es nachts und in aller Heimlichkeit passiert?“

Abadi bezichtigte in dem Beitrag weiterhin durchaus alle Seiten der Brutalität, also auch Assad. Er kritisierte aber schlussendlich „die absolut einseitige Berichterstattung“, die nur den Präsidenten und seine Verbündeten dämonisieren würde. Assads wichtigster Verbündeter ist Russland. Und die wichtigste Waffe von RT Deutsch ist der Zweifel.

Zunächst einmal der Zweifel daran, dass deutsche Medien wahrhaftig und neu tral berichten – und damit auch Zweifel an der Berechtigung jener moralisch erhabenen Position, die der Westen oft gegenüber autokratischen und demokratiefeindlichen Regierungen einnimmt.

Ein kleines Detail, wie in dem Fall Sednaya die unlogisch anmutende, vom ZDF genannte bevorzugte Tatzeit, wird benutzt, um die Glaubwürdigkeit des gesamten Berichts zu unterminieren. Und damit schlussendlich die gesamte Haltung des Westens im Syrienkrieg.

RT Deutsch sendet hierzulande auf der eigenen Website und auf You Tube – und ist der deutsche Ableger des russischen Auslandssenders RT. Bis 2009 funkte der noch unter dem Namen Russia Today. RT gehört zum Medienunternehmen „Russland heute“, das die Sicht der russischen Regierung auf das Weltgeschehen präsentiert. Außer auf Deutsch wird auch auf Arabisch, Spanisch, Französisch und vor allem auf Englisch ausgestrahlt. Im Informationskrieg kämpft RT damit für Russland an vorderster Front.

193 Millionen Euro – nach eigenen Angaben – russisches Steuergeld hat der Kreml 2015 in RT gesteckt. Es ist schwierig zu messen, welche Wirkung mit diesem hohen Aufwand erreicht wird. Die vom Sender selbst kolportierte Zahl, wonach RT weltweit 664 Millionen Menschen erreiche, gilt unter Experten als überhöht, sie beschreibt wohl eher die technisch maximal mögliche Reichweite. RT Deutsch jedenfalls hat bei YouTube über 100.000 Abonnenten. Alle internationalen YouTube-Kanäle von RT zusammen hatten nach deren Angabe bis Jahresanfang 2017 vier Milliarden Aufrufe erreicht.

„451“ ist ein Medienmagazin und seit Ende 2016 das wichtigste deutschsprachige Format von RT. Wenn Moderator Abadi nicht gerade ZDF-Beiträge auf vermeintlich unlogische Aussagen abtastet, lässt er sein Studio schon einmal dank Special Effects in einer „Polenböller“-Explosion hochgehen, moderiert mit leuchtenden Atomfässern im Hintergrund, lässt das Wort „Dauerkremlsendung“ über seinem Kopf einblenden, quatscht lässig mit dem Kameramann oder kündigt Ru briken wie „Das Geschwätz von gestern“ an. Vorbei scheinen die Zeiten, als der 2014 gestartete deutsche Ableger von RT bierernst und zugleich wenig professionell agierte.

Für Abadi hat es diese Zeiten so auch nie gegeben. „Ich sehe es nicht als unsere Aufgabe, die Sicht der russischen Regierung wiederzugeben“, erklärt der 34-Jährige in der RT-Deutsch-Redaktion in Berlin-Adlershof. Abadi hat ein markantes Gesicht, einen modischen Bart, er trägt weiße Sneaker, schwarze Jeans – versucht sich inhaltlich aber eher an Zwischentönen. „Wir sind ein medienkritisches Magazin, das komplizierte Sachverhalte unterhaltsam wiedergibt“, erklärt er in energiegeladenem, leicht aufgekratztem Ton. „Wir sind eine Bereicherung für die demokratische Medienlandschaft.“

Über seinen Werdegang will Abadi ebenso wenig ausführlich reden wie über seine politischen Ansichten. Das diene zum einen dem Selbstschutz, und zum anderen möchte er nicht „in Schubladen gesteckt werden“. Im Gespräch mit ihm kommt aber heraus, dass er seine Karriere bei den Öffentlich-Rechtlichen begonnen hat, einen familiären Hintergrund in Vorderasien hat – und dass er die neurechten Bewegungen und Parteien nicht besonders mag. Wie er das mit der grundsätzlichen Linie seines Senders verbindet, der schon mal ein knapp 40-minütiges Interview mit der AfD-Frontfrau Frauke Petry sendet, das ohne kritische Fragen auskommt? „Ich habe meine Ansichten und stehe nicht stellvertretend für den ganzen Sender“, erklärt Abadi.

Ganz anders klingt es schon, wenn Chefredakteurin Margarita Simonjan über RT spricht. „Wenn Russland Krieg führt, ziehen wir mit in die Schlacht“, lautet eines ihrer bekannten Zitate. Als eine Art Er weckungserlebnis beschreibt die Chefredakteurin in Gesprächen und Interviews den Krieg zwischen Russland und Georgien 2008. Damals hätten die meisten westlichen Medien Russland als den Aggressor hingestellt, obwohl Georgien zuerst geschossen habe. Dies sei zwar später auch von einer Kommission der EU bestätigt worden, aber da wäre es schon zu spät gewesen, erklärt Simonjan. Das stimmt zwar, aber derselbe EU-Bericht wirft Russland grobe Provokationen vor. Wie so oft bei RT wird ein Ausschnitt der Wahrheit präsentiert, der die eigene Position stützen soll. Und das, wo man doch gern anderen Medien vorwirft, stets das Wichtigste wegzulassen.

Bei einem Besuch in der Redaktion von RT Deutsch wähnt man sich in einem Berliner Start-up, wo eine internationale Hipster-Schar lässig auf hochwertigen Tastaturen herumtippt. Am Empfang liegt als einzige Zeitung die sehr linke „Junge Welt“. Es klingt glaubhaft, wenn Online-Chef Florian Warweg erklärt, viele Mitarbeiter hätten ebenso wie er einen „linksliberalen Hintergrund“. Warweg – Brille, Locken, blaues Hemd – spricht leise und mit Bedacht, er wirkt auch nicht wie einer, der gedanklich zu faul ist, sich mit seinem Arbeitgeber auseinanderzusetzen. „Meine Freunde fragen schon mal: Was, du arbeitest für Russia Today?“

Den von außen so ins Auge fallenden Widerspruch zwischen den Zielen von RT und seinen eigenen Ansichten sieht Warweg als nicht so gravierend an. „Es gibt keine Ansagen aus Moskau und auch keine festgelegte Stoßrichtung. Was es gibt, ist ein gewisser kritischer Mindset.“ Angesprochen auf das Interview mit Frauke Petry, das auch in Analysen als Beweis für die RT-Agenda herhält, sagt Warweg: „Ich hätte mir in dem Fall auch kritischere Fragen gewünscht.“ Seinen Arbeitgeber sieht er falsch beurteilt, selbst im sogenannten Fall Lisa. Das deutsch-russische 13-jährige Mädchen aus Berlin-Marzahn wurde im Januar 2016 zum Politikum, als es nach einem kurzzeitigen Verschwinden zu Protokoll gab, „Südländer“ hätten es entführt und vergewaltigt. Viele Russlanddeutsche gingen danach auf die Straße und demonstrierten gegen angeblich kriminelle Flüchtlinge und Migranten aus muslimischen Ländern. Dabei wurde die explosive Stimmung vom russischen Staatsfernsehen angefacht. Schließlich stellte sich heraus, dass sich das Mädchen die Vorwürfe ausgedacht hatte, doch da war es schon zu diplomatischen Spannungen zwischen Berlin und Moskau gekommen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte den deutschen Behörden sogar Vertuschung vorgeworfen.

„Wir haben uns gerade einmal in drei Artikeln mit dem Fall beschäftigt und sind überhaupt erst spät in die Berichterstattung eingestiegen“, erklärt dazu RT-Online-Chef Warweg. Der Vorwurf, RT habe das Thema in die Welt gesetzt und wochenlang hochgehalten, halte folglich „keinem ernsthaften Faktencheck stand.“

Wer den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen überprüft, wird feststellen, dass sie stimmen. Allerdings ist eine Stoßrichtung auf der Website sowie in den Sendungen doch unverkennbar. Die von der russischen Regierung verbreitete Erzählung eines von Flüchtlingen und moralischem Zerfall bedrohten Europas wird dort auch von RT Deutsch genährt.

Wie sich die Zukunft des Kreml- Sprachrohrs entwickelt, wird in Moskau entschieden, allein schon, weil die Regierung das Budget für den Sender beschließt. Die Büros in Adlershof jedenfalls nehmen bislang nur einen kleinen Teil des lagerhallenartigen Gebäudes ein, in dem RT Deutsch untergebracht ist. „Das wurde gekauft, als es große Expansionspläne gab“, erklärt Florian Warweg beim Rundgang durch den weitläufigen Komplex. Was mit diesen Plänen ist, weiß er auch nicht. Der Platz für mehr Informationskrieger ist jedenfalls schon einmal vorhanden.

Krieg um Informationen

Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern mit russischen oder russischstämmigen Minderheiten, versucht Russland mit Medien Einfluss zu nehmen. In den baltischen Staaten sorgt man sich, dass die Propaganda des Kreml die dortigen russisch (-sprachigen) Bevölkerungsteile gegen die Regierungen aufbringen könnte. Auch im Osten der Ukraine, wo russische Truppen und von Russland unterstützte Milizen – ähnlich wie zuvor auf der Krim – für eine Abspaltung eines Landesteils kämpfen, wird die Bevölkerung durch das russische Staatsfernsehen sehr einseitig informiert. Die westlichen Sicherheitsdienste sorgen sich wiederum vor russischen Hackerangriffen gegen Parteien und Politiker. Das prominenteste Opfer war womöglich die im US-Präsidentschaftswahlkampf unterlegene Hillary Clinton, aus deren Parteispitze interne E-Mails an die Öffentlichkeit gelangten. Auch der neue französische Präsident Emmanuel Macron soll ausspioniert worden sein. „Pawn Storm“, auch bekannt als „Cozy Bear“, „Fancy Bear“ oder „APT 28“ sowie „APT 29“ – die Angreifer tragen viele Namen, doch stets sollen dahinter Hacker stecken, die im Auftrag der russischen Regierung handeln. Auch BND-Chef Bruno Kahl warnt immer wieder vor Datendieben aus Russland.