Warum sind die USA das großartigste Land der Welt? „Wegen der New York Jets“. Will McAvoy, einer der bekanntesten Nachrichtensprecher des Landes, ist gelangweilt und zynisch, und so verhält er sich auch bei der Diskussionsrunde in einer Universität. Alles, was er dazu beizutragen hat, sind nichtssagende Einzeiler.
Nein, hakt der Moderator nach, dieses Mal will er eine richtige Antwort auf die Frage einer jungen Studentin. Und nun lässt McAvoy plötzlich eine Predigt auf das Publikum niedergehen, warum die USA schon lange nicht mehr das großartigste Land der Welt seien, es aber wieder sein könnten. Und er, Will McAvoy (Jeff Daniels) will künftig wieder seinen Teil dazu beitragen. Das ist der Beginn der Serie „The Newsroom“.
Die Serie, 2012 gestartet und 2014 beendet, arbeitet sich über drei Staffeln an der Frage ab, ob das Erzeugen von Nachrichten nicht wenigstens noch ein kleines bisschen dem Allgemeinwohl und öffentlichen Interesse dienen sollte. Oder nichts weiter ist als eine Geldquelle für Konzerninhaber. Geht es nur noch um Klicks, Einschaltquoten und Auflagen oder auch noch um eine demokratische Volksbildung?
„Newsroom“-Erfinder und Drehbuchautor Aaron Sorkin hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Wie schon in „The West Wing“, seiner Serie über die Arbeit eines US-Präsidenten, macht er seine Protagonisten zu seinem demokratischen Sprachrohr: „There is nothing that’s more important in democracy than a well-informed electorate“, sagt die weibliche Hauptfigur MacKenzie McHale (Emily Mortimer). „That’s why I produce the news.“
McHale ist nebenbei Will McAvoys Ex-Geliebte, seine größte Schwachstelle – und die ausführende Produzentin seiner Nachrichtensendung „Newsnight“. Sie wieder ins Boot zu holen ist ein kluger Schachzug von McAvoys Chef Charly Skinner, um „die vierte Gewalt zurückzuerobern“. Das klappt, wie bei Journalisten üblich, weil er McAvoy bei seiner Eitelkeit packt: „Die Leute lieben dich, weil du niemandem auf die Füße trittst.“
McAvoy wendet sich also an seine Zuschauer mit einer Entschuldigung und einem Versprechen: Er habe unwichtige Geschichten zugunsten der Quote gebracht – von nun an wolle das „Newsnight“-Team die Zuschauer wieder über echte Skandale informieren und nicht einfach jede neue Sau mit durchs Dorf treiben. Klar, dass das nicht einfach wird, und so sehen wir staffelübergreifend rechtschaffene, sehr intelligente Journalisten im Kampf gegen die Herrschaft von Klatsch, Tratsch und Voyeurismus und für die gute Recherche.
Folgerichtig befindet sich McAvoy immer wieder im Quoten- und Rechtfertigungsdruck der Geschäftsführung gegenüber. Etwa wenn er sich weigert, im Rattenrennen der Medien um Sensationen mitzumachen und den Tod einer angeschossenen Politikerin zu melden: „Die Ärzte erklären sie für tot, nicht wir.“ Und, ja: Die Frau überlebt, und „Newsnight“-Sender ACN ist damit der einzige, der die Falschmeldung nicht verbreitet hat.
Natürlich handelt es sich hier um eine idealisierte, überhöhte Redaktion, wie Sorkin sie sich wünscht, ebenso wie der Präsident Jed Bartlet aus „The West Wing“ der feuchte Traum eines jeden US-Demokraten ist und eine verantwortungsvolle Politik verkörpert. Mit dem Unterschied, dass sich die Arbeit in „The Newsroom“ um tatsächliche Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit dreht wie das Leck der Bohrinsel „Deepwater Horizon“, die Kriege in Afghanistan und Syrien, Edward Snowden oder die Bombenanschläge beim Boston-Marathon. Das hat zur Konsequenz, dass die Zuschauer bereits klüger sind als die Protagonisten.
In der dritten Staffel von „The Newsroom“, die im Januar auf Deutsch ausgestrahlt wurde, sehen wir Will McAvoy schließlich vor Gericht. Er will die Quelle innerhalb des US-Geheimdienstes nicht preisgeben, die seinem Sender Informationen über den Tod von 38 Unschuldigen im imaginären Land Kundu zukommen ließ. Journalistenethos, für das er sogar ins Gefängnis gehen würde. Allerdings nicht, ohne vorher dem Richter noch einen dieser kleinen Schlaumeier-Monologe zu halten, für die sein Erfinder und Drehbuchschreiber Aaron Sorkin so bekannt ist; über die Bill of Rights, die Pressefreiheit und den Espionage Act, der diese einzuschränken vermag.
Dabei sympathisiert McAvoy sogar mit der Anklage: Es sollte heutzutage nicht so einfach sein, die Freiheit der USA zu gefährden, indem ein einzelner Whistleblower Dokumente im Internet veröffentlicht oder verschlüsselt einer Zeitung zukommen lässt, findet er. Die Szene vor Gericht verdichtet die beiden Hauptthemen der letzten Staffel von „The Newsroom“: die Bedrohung eines „guten Journalismus“ durch das Internet und die Frage, wie ein US-Fernsehsender mit geheimen Dokumenten umzugehen hat und ob er sich deren Veröffentlichung überhaupt leisten kann. Denn es stehen Glaubwürdigkeit und Finanzierung des Senders auf dem Spiel und somit Interessen einander gegenüber.
Die Vision des neuen Eigentümers von ACN, dass der Journalismus im 21. Jahrhundert aus einem Konglomerat von Redakteuren, Bürgerjournalismus, Blogs und Social Media besteht, treibt der integren Journalisten-Elitetruppe stellvertretend für Aaron Sorkin den Angstschweiß auf die Stirn. Dabei kann niemand gewinnen, Des- und Fehlinformation sind der Preis der digitalen Revolution – und mit dieser düsteren Vision lässt Aaron Sorkin uns allein. Der Ausgang dieser Geschichte wird in der Realität geschrieben.