Als der norddeutsche Bauer Friedrich Böse in den 1970er Jahren warmes Wasser im Kuhstall brauchte, schraubte er kurzerhand aus alten Lkw-Teilen ein Windrad zusammen, das den abseits gelegenen Kuhstall mit Strom versorgte. 2019 – rund ein halbes Jahrhundert später – drehten sich in Deutschland rund 30.000 Windkraftanlagen. Einige davon sind wahre Giganten von bis zu 160 Metern Höhe.
Rund ein Viertel des Stroms kommt in Deutschland mittlerweile aus Windkraft. Und lange Zeit haben die Windräder Deutschlands Ruf als Vorreiter beim Kampf gegen den Klimawandel befeuert. Sie ließen Kohlekraftwerke als veraltete CO2-Schleudern dastehen und die Atomkraftwerke mit ihrem ungelösten Atommüllproblem wie Relikte aus einer Zeit blinder Technikgläubigkeit. Allerdings gibt es auch mit ihnen ein Umweltproblem, und das wird derzeit immer deutlicher. Weil auch die Windkrafttechnik veraltet und neue Windräder effizienter sind, stellt sich die Frage: Wohin mit den alten Windrädern?
„Ein zweites Leben im Ausland für noch einmal 10 bis 20 Jahre ist im Moment die beste Option“
„Es ist wie bei Atomkraftwerken. Die hat man auch eingeschaltet, ohne über das Recycling nachzudenken, also darüber, was mit dem strahlenden Abfall passieren soll“, sagt der Ressourcenforscher Winfried Bulach vom Öko-Institut Darmstadt. Der Vergleich ist zwar drastisch, denn beim Atommüll handelt es sich um lebensgefährliche Hinterlassenschaften – aber tatsächlich droht ein neuer riesiger Abfallberg aus alten Windkraftanlagen. „Wir rechnen mit einer Menge von 40.000 bis 60.000 Tonnen ausrangierter Anlagen. Das ist keine Kleinigkeit“, so Bulach.
Schon zum Jahreswechsel fielen geschätzte 4.200 Windräder aus der Förderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Das heißt, dass sich der Betrieb für die Besitzer meist nicht mehr lohnt. Derzeit werden viele der ausrangierten Windanlagen nach Ost- und Südeuropa gebracht, wo die in der Branche als „Eisenschweine“ bezeichneten robusten Modelle noch weiter Strom erzeugen können. „Ein zweites Leben im Ausland für noch einmal 10 bis 20 Jahre ist im Moment die beste Option“, sagt Bulach.
Ingeniere steigerten die Leistung der Windräder – nicht ihr Wiederverwertbarkeit
Tatsächlich sieht es so aus, als hätten Ingenieure und Umweltpolitiker in den vergangenen Jahren vor allem die Leistungssteigerung der Windräder im Auge gehabt – und weniger die Möglichkeit zur Wiederverwertung. Dabei ist nicht etwa der Turm des Windrads das Problem; der besteht aus Stahl und Beton. Beides kann relativ einfach wiederverwertet werden. Schwierig wird es dort, wo beim Windrad Hightechmaterialien zum Einsatz kommen – in den bis zu 120 Meter langen Rotorblättern. Weil die selbst Stürmen trotzen müssen, bestehen sie oft aus komplizierten Konstruktionen: innen extrem leichtes Balsaholz, dazu Kohlenstoff und mitunter Glasfasern. Umhüllt und fest verbunden sind diese Bestandteile mit Epoxidharz. Oft sind so viele verschiedene Stoffe verklebt, dass sie nicht mehr voneinander zu trennen sind.
Da es keine bewährten Recyclingwege gibt, landen geschredderte Rotorblätter trotz Verbots nicht selten auf Mülldeponien, manche Hersteller schlugen sogar vor, ausrangierte Anlagen im Meer zu versenken.
Besonders groß sind die Probleme bei Rotorblättern mit Kohlenstofffasern. Sie dürfen nicht in Müllverbrennungsanlagen gelangen, weil die Fasern in der Hitze bersten und die Abgasreinigungsfilter lahmlegen. Fieberhaft suchen Forscher deshalb nach Möglichkeiten, kohlenstofffaserhaltige Rotorblätter wiederzuverwerten – erste Versuche dazu gibt es.
„Man muss ein Windrad von Anfang an so bauen, dass man es hinterher auch gut und rentabel recyceln kann“
Wenn die Rotorblätter keine Kohlenstofffasern, sondern nur Glasfasern enthalten, funktioniere das Recycling schon ganz gut, sagt Philipp Sommer, Recyclingexperte bei der Deutschen Umwelthilfe. Glas basiert nämlich auf Sand – und Sand ist derzeit knapp auf dem Weltmarkt. Aus diesem Grund landen glasfaserhaltige Rotorblattstücke in Zementöfen. Bei 800 Grad Celsius verbrennen Kunststoffe und Holz sofort, übrig bleiben die Glasteilchen. Sie liefern quasi den Sand, den die Fabrikanten sonst teuer einkaufen müssten. „Es ist nicht das werthaltigste Recycling. Aber momentan eine gute Lösung“, so Sommer.
„Man muss ein Windrad von Anfang an so bauen, dass man es hinterher auch gut und rentabel recyceln kann“, fordert Holger Seidlitz, Ingenieur am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Wildau. Die Teile müssten sich mechanisch einfach und möglichst sortenrein voneinander trennen lassen. Statt Kettensägen und brachialen Werkzeugen, mit denen Arbeiter heute die Rotorblätter vor Ort zerkleinern, könnten intelligente Klebstoffe zum Einsatz kommen, die sich mit Hitze leicht lösen lassen.
„Design for recycle“ heißt es, wenn man Güter so fertigt, dass ihnen viele weitere Lebenszyklen offenstehen. Immer wieder hat man dieses Nachhaltigkeitsprinzip sogar bei Umwelttechnologien außer Acht gelassen. „Am Anfang ist viel Dynamik in der Technologieentwicklung. Die verwendeten Materialien ändern sich häufig innerhalb kurzer Zeit, sodass es schwierig ist, schon das Recycling mitzuentwickeln“, er klärt Umweltexperte Sommer das Dilemma. Fehlendes Recycling dürfe daher kein Totschlagargument gegen Umwelttechnologien an sich sein.
Illustration: Frank Höhne