Berlin-Mitte. Französische Straße 9–12. Schulklassen, Familien und Touristengruppen pilgern zu diesem Ort, Sightseeing-Busse stoppen. Der Grund ist eine ungewöhnliche Sehenswürdigkeit Die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler, die über dem Hauseingang tickt. In hellrot leuchtenden Ziffern prangert sie die steigende Staatsverschuldung der Bundesrepublik an. Aktueller Stand: 2.050.087.140.104 Euro. Das sind 2,049 Billionen Euro. Der Zuwachs pro Sekunde: 165 Euro. Schulden pro Kopf: mehr als 25.285 Euro. Eine schwäbische Kleinfamilie lässt sich vor der Schuldenuhr fotografieren. Beim Blick auf die roten Zahlen sagt der Vater zum Sohn: „Desch isch eindeutig zu viel.“ Aber ist das wirklich zu viel? Wie muss man diese Zahlen interpretieren?

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Nur eine Momentaufnahme: Die Zuwachs auf der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler pro Sekunde: 165 Euro (Foto: Robert Schlesinger dpa/lbn)

Nur eine Momentaufnahme: Die Zuwachs auf der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler pro Sekunde: 165 Euro

(Foto: Robert Schlesinger dpa/lbn)

Die Daten der Schuldenuhr berechnet der Verein auf Grundlage der öffentlichen Haushalte und des Statistischen Bundesamtes. Der Schuldenzuwachs pro Sekunde wird vor dem Hintergrund der geplanten Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte prognostiziert. Sobald sich Veränderungen bei der Gesamtverschuldung oder der Neuverschuldung ergeben, aktualisiert der Bund der Steuerzahler seine Schuldenuhr manuell. Hinter der Schuldenuhr befindet sich ein kleines Kästchen. Drei- bis viermal im Jahr steigt ein Mitarbeiter eine Leiter hinauf und stellt eine neue Zahl ein.

Zwei Stockwerke höher, ein schlichter Konferenzraum. Hier empfängt mich der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel. Der Bund der Steuerzahler Deutschland e.V. (BdSt) wurde 1949 gegründet. Als seine Ziele nennt der Verein die Verringerung von Bürokratie und Steuerverschwendung sowie den Abbau der Staatsverschuldung. Der Bund ist beim Deutschen Bundestag in der Lobbyliste registriert. Nach eigenen Angaben hat er 250.000 Mitglieder. Ein Großteil davon kommt aus Unternehmen des gewerblichen Mittelstands. Mit am Tisch sitzen die Pressesprecherin Hildegard Filz und der Abteilungsleiter für Haushalts- und Finanzpolitik, Sebastian Panknin. Erste Frage: Warum haben Sie diese Uhr da draußen aufgehängt? „Seit 1970 hat die Bundesregierung kontinuierlich neue Schulden aufgenommen. Neue Schulden waren wie süßes Gift“, sagt Holznagel. „Man konnte Wohltaten verteilen, sehr viele Sozialleistungen wurden über Schulden finanziert. Mit der Schuldenuhr wird dargestellt, welche Verpflichtungen auf uns Steuerzahler zukommen.“

Der drittgrößte Posten im Bundeshaushalt sind mittlerweile Zinsen

Am Konferenztisch erklären die drei vom BdSt die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind gut vorbereitet, auf dem Tisch liegen Bücher, Broschüren und statistische Tabellenauszüge. Die Gesamtverschuldung, argumentieren sie, ergibt sich aus den Schulden von Bund, Ländern und Kommunen. Die Gläubiger sind zum Beispiel Banken, Versicherungen und auch private Personen, 60 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland, 40 Prozent aus dem Inland. Schulden, so stellen die drei heraus, sind volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn sie tatsächlich die Infrastruktur so finanzieren, dass gegenwärtige und zukünftige Generationen davon profitieren. Allerdings, so fügen sie mahnend hinzu, brauche man einen Plan, wann und wie die Schulden zurückzubezahlen sind. „Und diesen Plan“, sagt Reiner Holznagel, „vermisse ich in der Historie der Bundesrepublik Deutschland.“ Darüber hinaus sei der drittgrößte Posten im Bundeshaushalt inzwischen die Bundesschuld. Allein in diesem Jahr, so Holznagel, werden fast neun Prozent des Haushaltes für Zinsen ausgegeben. Die Abgeordneten könnten diesen Posten nicht mehr nach ihrer politischen Gewichtung gestalten, meint er. Und dies sei aus Demokratiegesichtspunkten fatal. 

Jeweils im Herbst veröffentlicht der BdSt das Schwarzbuch „Die öffentliche Verschwendung“. Dort werden die Fehlinvestitionen und Steuerverschwendungen der öffentlichen Hand dargestellt. Kritiker aus dem linken Spektrum und den Gewerkschaften werfen dem BdSt allerdings vor, dass dieser in seinem Schwarzbuch die Fehlinvestitionen zu hoch ansetze, die Staatsschulden dramatisiere und eine möglichst große Steuerlast suggeriere, um einen schlanken Staat und niedrige Steuersätze durchzusetzen. 

Streitpunkt Vermögenssteuer

Ist diese Kritik berechtigt? Wenn man das Staatsvermögen zum Beispiel mit der Staatsverschuldung verrechnen würde – dann hätten wir doch gar keine Schulden mehr, oder? Dies sei eine ökonomische Betrachtung, referiert Holznagel, die zwar in der Bilanz schön aussehe, aber mit der Realität nicht viel zu tun habe. Er sagt: „Versuchen Sie mal, den Bundestag oder das Regierungsviertel zu verkaufen. Wir haben natürlich ein hohes Staatsvermögen, aber vieles davon ist schlicht und einfach nicht veräußerbar.“ 

Dann eben noch eine andere Zahl: Was ist mit dem Nettovermögen der privaten Haushalte? Dieses beträgt momentan mehr als zehn Billionen Euro. Zuwachs pro Sekunde: gute 9.000 Euro. Der Zuwachs der Staatsverschuldung beträgt 165 Euro pro Sekunde. Relativiert das nicht die Schulden? Oder anders gefragt: Müsste neben der Schuldenuhr nicht auch eine Vermögensuhr hängen? Jetzt kommt Holznagel in Fahrt: „Diese Zahlen kann man doch nicht gegeneinander aufrechnen!“ Natürlich könne sich der Staat durch massive Steuererhöhungen entschulden. Aber schon jetzt sei ein Single in Deutschland mit über 50 Prozent durch Steuern und Abgaben auf sein Einkommen belastet. Wo solle das denn noch hinführen, fragt er.

Aber es gibt durchaus politische Kräfte, die diese für den BdSt typischen Einschätzungen ablehnen und als alarmistisch bezeichnen. Linke und Grüne haben den BdSt immer wieder kritisiert, eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung warf dem Verband vor, wegen der vielen Unternehmer und Freiberufler unter seinen Mitgliedern kein repräsentatives Abbild der steuerzahlenden Bevölkerung zu sein.  

Bleibt die Frage nach der Einführung einer Vermögenssteuer. Eine Steuer von einem Prozent auf das Nettovermögen oberhalb eines Freibetrags von 500.000 Euro für einen Familienhaushalt, argumentieren die Befürworter einer Vermögenssteuer (etwa die Linkspartei), würde etwa 20 Milliarden Euro im Jahr einbringen. Damit könnte man einen substanziellen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte leisten, anstatt weiterhin überall zu sparen. Jetzt ist BdSt-Chef Holznagel schon fast empört: „Wir haben doch bereits eine Vermögensbesteuerung in Form einer Grunderwerbssteuer, in Form einer Grundsteuer, in Form vieler anderer Steuern, die wir auf Substanzwerte bezahlen.“ Dies sei nicht der richtige Weg. Die Gewerkschaften, so Holznagel, sagten zum Beispiel, dass wir ein zu reicher Staat seien, dabei aber die Eigentumsfrage vergessen würden. Dieses Geld werde doch erarbeitet und durch Kapitalmärkte generiert, das könne man nicht so einfach in die Bedienung von Schulden umleiten. „Nein“, sagt er mit überzeugter Stimme, „wir brauchen keine Vermögensuhr, sondern einen funktionierenden Staat, der maßvoll mit den Steuereinnahmen seiner Bürger umgeht und die Schuldenlast nicht auf zukünftige Generationen abwälzt.“

Das Gespräch beim Bund der Steuerzahler dauerte 45 Minuten. Laut der Schuldenuhr am Eingang des BdSt stiegen die Schulden der Bundesrepublik währenddessen um 467.100 Euro. 

Die Schuldenuhr

Die erste Schuldenuhr wurde 1989 in New York auf Initiative des Immobilienhändlers Seymour Durst installiert. Als im September 2008 die Staatsverschuldung der USA 14-stellig wurde, reichte die vorgesehene Anzahl der Stellen nicht aus, und es musste das Dollarzeichen in der ersten Position durch eine Ziffer ersetzt werden. Eine deutsche Schuldenuhr gibt es seit 1995. Sie befand sich zunächst in Wiesbaden in der Geschäftsstelle des Bundes der Steuerzahler. Seit dem Umzug am 16. Juni 2004 hängt sie am Eingang der Zentrale in Berlin. Bei einem Stromausfall vor ein paar Jahren zeigte die Uhr kurzfristig lauter Nullen an. Die Uhr hörte auf zu ticken, für ein paar Stunden war die Bundesrepublik sozusagen „schuldenfrei“.

Alem Grabovac lebt als freier Autor und Journalist in Berlin. Momentan hat er keine Schulden, bedauerlicherweise aber auch kein Vermögen. Möglicherweise trägt er deshalb keine Uhr am Handgelenk.

Foto: Robert Schlesinger dpa/lbn