Auch in der Hölle spielen sie Fußball. Und das gar nicht schlecht. Die Hölle, das ist der Kongo, der dortige Bürgerkrieg, in dem fast vier Millionen Menschen getötet wurden. Aus dem Kongo hat Chadrac viel Kraft mit nach Deutschland gebracht, dabei ist er erst zehn Jahre alt. Nur zielen muss er noch besser. Die Bälle krachen gegen die Wand der Turnhalle, gegen den Pfosten und gegen die Verteidiger, aber sie gehen nicht ins Tor. Chadrac hat das Fußballspielen im Kongo gelernt, vor einem Jahr ist seine Familie geflohen, heute ist er zum zweiten Mal beim Training von "buntkicktgut", der interkulturellen Münchner Straßenfußball-Liga. Seine Mutter sitzt am Spielfeldrand, winkt ihm zu und strahlt über das ganze Gesicht. "Man erliegt dem Charme der Kinder ganz schnell", sagt Rüdiger Heid, der Leiter von "buntkicktgut". Hier nennen ihn alle "Rudi", besser gesagt "RUUUDI!". So laut und so quengelig rufen die Kinder im Fünf-Sekunden-Abstand seinen Namen. Es ist Mittwochnachmittag. In einer Turnhalle in Giesing, einem der weniger schicken Stadtviertel Münchens, laufen zwölf Kinder einem Ball hinterher, noch mal so viele und einige Mütter und Väter schauen ihnen zu. Am Spielfeldrand sitzt Heid und versucht, vieles gleichzeitig zu tun.

Er will die Geschichte von "buntkicktgut" erzählen, nebenbei muss er die elektronische Anzeigentafel bedienen und einem Spieler Trost wegen eines aufgeschürften Fingers spenden. Ein Mädchen bittet ihn um eine S-Bahnfahrkarte und der kleine Junge namens Fahrrad stellt immer gleich drei Fragen auf einmal. Fahrrad heißt eigentlich Farhad, "aber nenn mich einfach Fahrrad, das ist leichter", sagt er. Farhad ist in Afghanistan geboren, "nein, halt, in Pakistan, glaube ich". Er ist neun Jahre alt und genauso vorlaut wie wuselig, man mag ihn sofort. Farhad hat keine Aufenthaltsgenehmigung, er ist nur geduldet, solange Afghanistan so unsicher ist. "Ich bin bald im Fernsehen, cool was?", sagt Farhad. Das ZDF dreht eine Dokumentation über das Projekt, das bereits vom Bundespräsidenten ausgezeichnet wurde.

Ende 1995 hat Rüdiger Heid in einer Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil Sendling eine Fußballmannschaft gegründet. Er war dort Sozialarbeiter und "Fußball war das Einzige, was alle kannten". Erst spielten sie nur auf einer Wiese, etwas später gegen Jungs aus einer anderen Asylbewerberunterkunft. Im Sommer 1996 veranstaltete Heid mit Kollegen ein erstes Turnier der Flüchtlingsheime. Eigentlich sollte der Fußball nur ein Zeitvertreib sein, "daraus wurde ein Integrationsprojekt und zunehmend auch eine Gewalt- und Kriminalitätsprävention". 2005 hat "buntkicktgut" 1200 Ligaspiele von 85 Mannschaften in München organisiert, mit Spielern zwischen sechs bis 21 Jahren, Jungs und Mädchen. An diesem Nachmittag spielen Kinder aus Bosnien, Afghanistan und dem Kongo zusammen, der Stürmer, der nie den Ball abgibt, kommt aus China. "Etwa 60 Prozent der Kinder haben einen Flüchtlingshintergrund", sagt Heid. "buntkicktgut" ist eine Erfolgsgeschichte - aber kein Märchen. "Rudi, was war mit der Schlägerei letzte Woche?", fragt ein Mädchen. Ein gegnerischer Spieler wurde im Bus auf dem Heimweg verprügelt, "der hatte eine richtige Beule am Kopf", hat sie gehört. "Darüber reden wir mit allen Beteiligten am Montag, beim Ligarat", sagt Heid ruhig. Früher gab es oft Raufereien auf dem Platz. "Jugendbeamte der Polizei haben uns eine Zeit lang nur die ,Schlägerliga’ genannt", erinnert sich Heid. Aber sie haben das Problem in den Griff bekommen, mit Gesprächen und Geduld. "buntkicktgut" kann den Kindern nur eine Freizeitbeschäftigung bieten, was sie abseits des Fußballfeldes machen, entscheiden sie selbst. "15, 16 Jahre ist das problematischste Alter", sagt Heid. Vor der Pubertät ist der Fußball das Größte, danach gibt es auch Partys, Alkohol, Musik. Heid erzählt von einem albanischen Jungen, der von Anfang an bei "bunt- kicktgut" dabei war, mit 17 Jahren fing er an mit Drogen, heute konzentriert er sich wieder auf den Fußball, er ist ein Vorbild für die Kleineren.

Unter Münchner Politikern gilt "buntkicktgut" als das beste Integrationsprojekt der Stadt, in Hamburg und Dortmund gibt es schon ähnliche Initiativen. Der gute Ruf hilft, Spendengelder zu bekommen: Die Stadt, das Innenministerium, sogar die EU unterstützen sie. "buntkicktgut" hat sich verändert, seit 1997 die Liga entstand: Die großen Flüchtlingswellen des Jugoslawienkrieges sind vorbei, es spielen nun auch viele Kinder aus Einwandererfamilien mit, aus Tagesstätten, von Jugendzentren und anderen sozialen Einrichtungen. Während der WM 2006 organisiert "buntkicktgut" die

International Streetfootball League in München, mit Mannschaften aus der ganzen Welt. Es wäre schön, wenn Chadrac, der kleine Junge aus dem Kongo, dann mitspielen würde. Auf die Frage, was er den ganzen Tag macht, wenn er nicht bei "buntkicktgut" Fußball spielt, antwortet er: "Nichts."

Fotos: Olaf Unverzart