Es ist eine eher unpopuläre Entscheidung der Bundesregierung: 65 Prozent, also fast zwei Drittel der Deutschen, finden es nicht richtig, die Strafverfolgung nach Paragraph 103 Strafgesetzbuch gegen Jan Böhmermann zu erlauben. Das ist das Ergebnis einer Meinungsumfrage im Auftrag der ARD. Doch welche Argumente wurden in der Diskussion über die Entscheidung ausgetauscht? Und wie haben Befürworter und Kritiker humoristisch-kreativ auf sie reagiert?
Auf Twitter zeigten viele User vor allem unter den Hashtags #nichtmeinekanzlerin und #freeboehmi, dass sie die Entscheidung für falsch halten, teilweise spöttisch...
...und teilweise ernsthaft:
Und teilweise auch visuell:
Unterstützer der Entscheidung weisen vor allem auf die Gewaltenteilung hin, welche die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung respektiere:
Viele Journalisten verteidigen die Entscheidung
140 Zeichen auf Twitter bieten allerdings keinen Platz für ausführliche Argumentationen. Die lassen sich dafür aber in zahlreichen Kommentaren deutscher Medien nachlesen. Unter Journalisten gibt es viele Befürworter der Entscheidung, die Strafverfolgung zu erlauben. Christian Bommarius führt in der Berliner Zeitung das gleiche Argument an wie viele der Unterstützer auf Twitter: die Gewaltenteilung. Er schreibt:
„Merkel folgt also dem Gesetz, sie stellt sich nicht darüber. Sie überlässt es den Gerichten, die Grenzen der Meinungsfreiheit zu überprüfen.“
Außerdem lobt er die Ankündigung Angela Merkels, den hier relevanten Paragraph 103, den sogenannten Majestätsbeleidungsparagraphen, abzuschaffen:
„Mit dieser Ankündigung hat die Kanzlerin klargemacht, was sie vom Anliegen Erdoğans eigentlich hält: nichts.“
Auch Heribert Prantl verteidigt die Entscheidung in der Süddeutschen Zeitung als richtig und plädiert für mehr Vertrauen in den Rechtsstaat:
„Die Übergabe der Causa an die Justiz ist kein Kotau vor Erdoğan, sondern der Gang der Dinge in einem Rechtsstaat. Es war und ist ein wenig befremdlich, dass eine ganze Reihe von Künstlern und Schriftstellern gefordert haben, die Kanzlerin solle die Prüfung durch die Justiz verhindern; man kann nicht dem türkischen Präsidenten – berechtigterweise! – die massive Verletzung der Regeln des Rechtsstaats vorwerfen, und selber dem Rechtsstaat die Prüfung einer eher läppischen Sache nicht zutrauen.“
Berthold Kohler argumentiert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung außerdem, dass die Justiz über das Schmähgedicht unabhängiger entscheiden kann als die Bundesregierung:
„In den Händen unabhängiger Richter ist der Fall Böhmermann also gut aufgehoben – viel besser als in den Händen der Politik. Denn die muss bei einer Beurteilung, wie auch dieser Fall zeigt, auf politische Aspekte Rücksicht nehmen: auf außen-, innen- und sogar noch koalitionspolitische.“
Und Daniel Bax, ebenfalls ein Befürworter der Entscheidung, verspricht sich in seinem Kommentar für die taz ein Abkühlen der hitzigen Debatte und einen sachlicheren Blick auf das Schmähgedicht:
„Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, als stünde die Satire hierzulande über dem Grundgesetz und das Urteil des Feuilletons über dem Rechtsstaat. Erstaunlich, wie viele Satire-Experten es in deutschen Redaktionen gibt, die sich bereitfanden, Böhmermann für seine doch recht platten Sottisen als eine Art neuen Jesus zu feiern – als wäre Satire eine neue Form der Kunstreligion, die sich allen irdischen Maßstäben entzieht, und jede Albernheit mit möglichst vielen F-Wörtern und offenkundig rassistischen Anspielungen schon die hohe Kunst.“
Andere Journalisten kritisierten die Entscheidung. Martin Ferber etwa schreibt in der Augsburger Allgemeinen, dass Merkel mit dieser Entscheidung ihren Ruf beschädige:
„Ihr Hinweis, die Politik halte sich aus dem Verfahren heraus und überlasse alles Weitere der unabhängigen Justiz, ist zwar formal richtig. Gleichwohl entsteht der fatale Eindruck, als kusche Merkel vor Erdoğan und scheue den Konflikt mit dem selbsternannten Sultan der Türkei, weil sie ihn dringend für die Lösung der Flüchtlingskrise braucht.“
Torsten Krauel beschreibt in seinem Kommentar für Die Welt die Auswirkungen, die diese Entscheidung auf die Berichterstattung anderer Journalisten haben könnte:
„Putin einen Lügner zu nennen, auch wenn er einer ist, kann nach Merkels Kotau vor Erdoğan jetzt riskant werden. Die Presse wird über Putin oder andere Autokraten zwar weiterhin schreiben, er sei ein Lügner, wenn er einer ist. Aber sie tut das jetzt im Wissen, dass die Bundesregierung womöglich kein Rückgrat zeigt, wenn Putin in einer schwierigen außenpolitischen Gesamtlage Genugtuung verlangt und dem Kanzleramt unter vier oder acht Augen mit schwersten Konsequenzen droht.“
Zu der Entscheidung der Regierung haben sich natürlich auch andere Satiriker und Berufshumoristen geäußert. Oliver Kalkofe etwa veröffentlichte ein viel geteiltes Video, in dem er die Entscheidung der Regierung mit den Worten kommentiert, sie sei zwar nicht der Tod der Satirefreiheit, doch zumindest „ein gewaltiger Tritt in ihre Eier“.
Das NDR-Magazin Extra 3 postete einen Kommentar auf Facebook, der vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen haben dürfte. Ganz unabhängig davon, wie sie die Entscheidung beurteilen:
Collage: Renke Brandt