Im Berliner Admiralspalast haben sich die üblichen Verdächtigen versammelt – also alle, die froh sind, wenn es in Laufweite des Regierungsviertels abends noch etwas zu tun und später auch zu essen gibt: Abgeordnete, Journalisten sowie Mitarbeiter irgendeines Lobbyverbands. Diesmal kommen sie vom DZV, dem Deutschen Zigarettenverband. „Genuss braucht Verantwortung“, prangt auf dem am Rande der Bühne aufgespannten Banner, und auch den ausgelegten Werbebroschüren ist diese nebulöse Kernbotschaft zu entnehmen. Doch mehr Zuspruch als das Prospektmaterial finden an diesem Abend die kostenlosen Kippen. Oben auf der Bühne redet der Springer-Journalist Claus Strunz mit dem journalistischen Dampfplauderer Michel Friedman extra nicht übers Rauchen. „Diese Veranstaltungen gehören auch zu unserer neuen Policy“, sagt Verbandssprecher Peter Königsfeld, während er einen gesunden Obstsalat isst. „Parlamentarischen Abende, auf denen immer nur über Zigaretten gesprochen wurde, wird es mit uns nicht geben.“ Königsfeld erscheint zum Interview im hinteren Teil des Café Einstein Unter den Linden, wo täglich die Interessenvertreter der großen Industrieverbände auf Abgeordnete, Staatssekretäre und Ministerialbeamte einwirken. „Wir wollen keine Politik hinter verschlossenen Türen machen“, sagt Königsfeld, der früher bei der „Bild“-Zeitung arbeitete, „wir sind eine kritische Branche, aber in die Schmuddelecke lassen wir uns nicht stellen.“

Königsfeld vertritt die Interessen von fünf großen Tabakunternehmen in Deutschland, die auf einen gemeinsamen Marktanteil von 60 Prozent kommen. Er stellt sein tägliches Wirken ganz in den Dienst der Zigarette, eines Produktes, das die sichere Abkürzung in Richtung Tod bietet. So sehen das zumindest die Kritiker. Die „Antis“, wie Königsfeld sie gelegentlich nennt. Etwa 650.000 Menschen sterben laut einer Veröffentlichung der Europäischen Kommission aus dem Mai dieses Jahres allein in der EU jährlich an den Folgen des Tabakkonsums. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beziffert die Menschen, die in der 53 Staaten umfassenden Europäischen WHO-Region pro Jahr an den Folgen des Tabakkonsums sterben, auf 1,6 Millionen pro Jahr, weltweit rafft das Nikotin pro Jahr mehr als fünf Millionen von den mehr als eine Milliarde Rauchern dahin. „Mich reizt die Herausforderung, für eine Branche zu arbeiten, in der ich den Wind massiv von vorne bekomme“, so Königsfeld, „wo es gilt, im Spannungsfeld von legalen und illegalen Drogen klar Stellung zu beziehen.“

300 bis 400 Menschen sterben in Deutschland pro Tag an den Folgen des Tabakkonsums

Kommen-wir-zur-Sache-mäßig schiebt Peter Königsfeld seinen Obstsalat beiseite. „Zigaretten sind ein kritisches Produkt, das mit Vorsicht zu genießen ist. Und deshalb braucht man Aufklärung, genau wie bei Alkohol, Lotto und Computerspielen. Da übernehmen wir Verantwortung, aber gleichzeitig ist auch klar: Wir sind ein Industrieverband, der ein legales Produkt vertreibt, mit einem klaren wirtschaftlichen Interesse. Noch einmal: Ein legales Produkt braucht auch Spielraum für Wettbewerb.“ „Noch einmal“ sagt Herr Königsfeld oft. Wie jemand, der ständig annehmen muss, dass die Menschen ihn nicht verstehen wollen. Die Branche macht harte Zeiten durch – weltweit. Vorbei die Jahre, als der Zeitgeist und die Tabakbranche noch an einem Strang zogen. In Talkshows waren vor lauter Zigarettenrauch die Talkgäste kaum zu erkennen, und in der Reklame stimmte das süße Cartoon-Kamel von Camel die Kleinsten schon mal röhrend auf die Genüsse des Erwachsenseins ein. Der Zigarettenautomat hing gleich draußen an der Schule. Davon ist nicht viel übrig geblieben: ein bisschen Reklame im Kino, auf Plakaten und an den Verkaufspunkten, die traurig gegen die martialischen Warnhinweise auf den Packungen anwirbt – Bildhinweise mit Raucherbeinen und Krebsgeschwulsten sind schon geplant. „Wir wollen das Rad der Zeit gar nicht zurückdrehen. Aber wir appellieren an den Staat, es dabei jetzt auch zu belassen“, sagt Königsfeld.

Strenge Nichtrauchergesetze gibt es mittlerweile selbst in Ländern wie Irland oder Italien, wo die Menschen früher mit der Kippe an der Fleischtheke standen. Und in Deutschland darf seit Neuestem nicht mal mehr in bayerischen Bierzelten geraucht werden. Griffen im Jahr 2001 noch 27 Prozent der Jungen und 28 Prozent der Mädchen zwischen 12 und 17 zur Kippe, sind es heute nur noch 15 beziehungsweise 16 Prozent. Von 145,1 Milliarden im Jahr 2002 fiel die Zahl der verkauften versteuerten Zigaretten auf 86,6 Milliarden in 2009. Schuldige dafür hat der DZV schon ausgemacht. Auf seiner Website liest man viel vom zunehmenden Zigarettenschmuggel und den steigenden Tabaksteuern. Knapp 13,4 Milliarden Euro hat der Staat im vergangenen Jahr kassiert, und nur zu gern werden neue Löcher im Bundeshaushalt mit weiterem Geld der Raucher gestopft.

86.600.000.000 versteuerte Zigaretten wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft, im Jahr 2002 waren es noch 145,1 Milliarden

Obwohl der Verband viel von Verantwortung spricht, sucht man wissenschaftliche Studien zur Gesundheitsgefährdung durch das Rauchen auf der Website vergeblich: „Das ist auch die Policy des neuen Verbandes“, sagt Königsfeld. „Wir lassen uns nicht auf einen Gutachterstreit ein. Es würde wenig Sinn machen, da ein medizinisches Gutachten hinzustellen, das, grob formuliert, sagt: ‚Rauchen ist nicht schädlich.‘ Egal welches Gutachten wir vorlegen würden, wir bekämen immer vorgehalten, dass wir dieses Gutachten gekauft hätten. Sie können jedes medizinische Gutachten mit einem zweiten aushebeln. Diesen Streit kann keine Seite gewinnen.“ Die 2007 aufgelöste Vorgängerorganisation des DZV, der Verband der Cigarettenindustrie (VdC), ging mit Gutachten weniger zimperlich um. Nach Erkenntnissen des Center for Tobacco Control, Research & Education an der University of California unterdrückte der VdC seit den frühen siebziger Jahren unliebsame Forschungsprojekte. 2006 konnte die Tabaklobby noch einen letzten Coup landen: Sie schleuste einen eigenen Entwurf für ein Nichtraucherschutzgesetz im Originalwortlaut und inklusive Rechtschreibfehlern bis ins Gesetzgebungsverfahren. Damit folgte die deutsche Tabaklobby nur der Gangart ihrer US-amerikanischen Vorbilder: Wie im Rahmen der Zivilklage der US-Regierung gegen die US-Tabakindustrie 2006 aktenkundig wurde, bildeten die Konzerne ein Kartell, das sich der systematischen Verbreitung von Unwahrheiten verschrieben hatte. Deren größte hatten die Tabakbosse noch 1994 im Rahmen der Waxman-Hearings unter Eid beschworen: „Nikotin macht nicht süchtig.“

13.400.000.000 Euro hat der Staat 2009 an der Zigarettensteuer eingenommen

Heute gibt sich der DZV dafür besonders korrekt. „Eine Grüne als Lobbyistin für die Tabakindustrie kann nur gut für das Image sein, werden sich die Manager aus der Tabakindustrie gedacht haben“, so kommentierte die „Taz“ die Ernennung von Marianne Tritz, die früher mal gegen den Castor-Transport protestierte, zur Geschäftsführerin des Verbands. Weder Tritz noch Königsfeld sind Raucher. Ist der böse alte Lobbyismus damit ganz der Soft Power gewichen? Besonders mächtig scheint die Tabaklobby in der Tat nicht mehr zu sein. Dem jüngsten Beschluss zur Steueranhebung hatten Tritz und ihre Mannen jedenfalls nicht viel entgegenzusetzen. „Alles, was wir tun können, ist darauf hinzuweisen, was das Umsetzen der Extremstvorschläge für die Branche bedeuten würde“, sagt Königsfeld. Laut Branchenbeobachtern verschwenden die Tabakmultis an die siechenden Absatzmärkte der Heimat sowieso keine großen Gedanken mehr – und setzen längst auf den zunehmenden Schmacht Lateinamerikas und Asiens.

Was bleibt nichtrauchenden Tabaklobbyisten, die Jugendliche eindringlich vor dem eigenen Produkt warnen, überhaupt noch anzukreiden? Vielleicht, dass sie ihre Warnungen nicht in der offiziellen Kommunikation des Verbandes offen aussprechen? Entsteht nicht der Eindruck von Unbedenklichkeit, wenn man beim DZV überall „Genuss braucht Verantwortung“ liest, aber kein Wort über die Gesundheitsschädlichkeit? Peter Königsfeld rührt in seinem Tee. „Wir wenden uns nur an erwachsene, aufgeklärte Konsumenten“, antwortet er wie gedruckt. „Denen trauen wir zu, das frei zu entscheiden. Wir beide wissen, dass übermäßiger Alkoholkonsum oder zu viel fetthaltiges Essen auch nicht gut für eine ausgewogene Ernährung sind.“ Aber was sagen Sie den immerhin 15 Prozent der Jugendlichen, die das Rauchen eher irrational als symbolische Abkürzung zum Erwachsenwerden sehen? „Da setzen wir auf verantwortungsvolle Eltern, die ihre Kinder über die Gefahren aufklären. Mein Vater war da ganz pragmatisch. Er hat mich probieren lassen, und ich habe dann, auf Deutsch gesagt, gekotzt. Damit war das Thema für mich durch. Unsere Message an Jugendliche ist, gar nicht erst anzufangen.“