Aus einem diffusen Gefühl heraus wollte ich schon immer internationaler Wahlbeobachter werden. Für mich waren das Menschen, die sich friedlich für die Demokratie einsetzen. Über das, was internationale Wahlbeobachter wirklich tun, wusste ich vor meiner ersten Mission in Bulgarien ehrlich gesagt kaum etwas. Auch über Bulgarien wusste ich nur, dass es eines der ärmsten Länder der EU ist. Ein Freund hatte mir mal erzählt, dass dort noch Pferdekutschen herumfahren.
Normalerweise schickt die OSZE, also die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, internationale Wahlbeobachter. Doch auch andere Organisationen haben das Recht dazu: Zum Beispiel unternimmt die EU Wahlbeobachtermissionen in Länder außerhalb des OSZE-Raums.
Bevor es losging, bekamen wir erst einmal einen Stapel an Informationen: Wie sieht das politische System des Landes aus, welche Probleme gibt es momentan, wie schätzt man die aktuelle Lage ein, und wie funktionieren die Wahlen in Bulgarien? Das alles sollte man schon wissen. Vor Ort wurde uns dann von Vertretern der bulgarischen Wahlkommission das Wahlsystem erklärt und erläutert, auf was man genau achten sollte und in welchen Regionen Probleme erwartet wurden.
Zu meiner großen Verwunderung bestand unsere Gruppe nicht nur aus alten, grauhaarigen Männern. Zudem waren fast alle Länder der EU vertreten – von der jungen Frau mit bunten Haaren aus East-London bis zu einer älteren Dame aus Südfrankreich, die im Rollstuhl geschoben werden musste. Vom Arbeitslosen aus England über den pensionierten Hochschulprofessor aus Italien bis zu mir, dem Studenten aus Berlin, waren auch alle sozialen Schichten vertreten. Die 120 Wahlbeobachter, die sich vorher in Sofia getroffen hatten, verteilten sich schließlich mit Bus, Auto oder Flugzeug über das ganze Land. Ich war in Dobritsch, eine Stadt im recht armen Nordosten des Landes.
Als erste Station unseres langen Tages sind wir gegen sieben Uhr morgens zur Öffnung eines Wahllokals gefahren. Jeder Wahlhelfer und jeder Wahlbeobachter bekam ein kleines Schild, um den Wählern zu zeigen, dass man berechtigt war, sich im Wahllokal aufzuhalten. Eins fiel leider sofort auf: Man hatte vergessen, die Wahlurne zu versiegeln. Nach unserem Hinweis wurde das aber nachgeholt.
Was man sonst so macht? Man kann beispielsweise kontrollieren, ob nicht zu viel Andrang herrscht, ob sich unautorisierte Menschen im Wahllokal befinden, ob Wahlzettel schon vorher ausgefüllt sind und ob die Wahlkommission alle erforderlichen Papiere dabeihat. Man kann auf solche Verstöße hinweisen und sie der Wahlkommission in der betreffenden Region melden. Selber einschreiten kann man nicht.
Nach vielen Wahllokalen und unzähligen Kilometern im Auto haben wir uns am frühen Abend auch noch das Auszählen in einem weiteren Wahllokal angeschaut. Leider war dieses in einem Kindergarten untergebracht, so dass wir drei Stunden lang auf etwa 30 Zentimeter hohen Kinderplastikstühlen sitzen mussten.
Insgesamt hatten wir am Ende des Tages etwa 15 Wahllokale kontrolliert. Spätestens nach der dritten Station hatte sich allerdings herumgesprochen, dass wir in der Gegend waren. Das lokale Radio hatte darüber berichtet, und die lokalen Beobachter schienen untereinander auch gut vernetzt zu sein. Anders als in Deutschland, wo nur Wahlhelfer, Wahlbeobachter und Wähler im Wahllokal zugelassen sind, dürfen in Bulgarien auch Parteien Beobachter für alle Wahllokale entsenden, die dann im Zimmer sitzen und ebenfalls schauen, ob alles mit rechten Dingen zugeht.
In allen besuchten Wahllokalen haben die Menschen kooperiert und uns respektiert. Manchmal hat man eine gewisse Anspannung gemerkt. Obwohl wir faktisch keine Handhabe gegen Verstöße hatten, wurden unsere kleinen Beanstandungen meist schnell korrigiert. Ein einziges Mal hat mir ein Mann Prügel angedroht, weil ich angemerkt hatte, dass er kein Namensschild trägt, das ihn als Helfer ausweist. Das glaube ich zumindest, denn leider konnte die Übersetzerin sein Schreien nicht Wort für Wort übersetzen.
Ob man Wahlbetrug durch die Beobachter wirklich bekämpfen kann? Ich bin da skeptisch. Nach der Wahl gab es Hinweise, dass ausgerechnet in unserer Region viele Stimmen gekauft wurden. Auf der anderen Seite hat unsere Präsenz hoffentlich einige unter Druck gesetzt. Und letztlich hat sich die Mission doch gelohnt, wenn nur eine einzige Stimmenfälschung verhindert werden konnte.
Yannick Haan engagiert sich seit mehreren Jahren politisch im Bereich Netzpolitik. Im April letzten Jahres erschien sein Buch „Gesellschaft im digitalen Wandel“