John Anderton ist Polizist und er ist auf der Flucht. Er weiß zu viel über die dunklen Machenschaften der Regierung. Ungesehen schlüpft er in ein Einkaufszentrum in einem U-Bahnhof. Anderton will in der Menge untertauchen, aber er hat keine Chance. Von links und rechts identifizieren ihn maschinelle Scanner und aus jedem Bildschirm, an dem er vorbeihuscht, ertönen freundliche Stimmen: "Sie sehen gestresst aus, Mr. Anderton, Sie brauchen Urlaub." Überall füllen sich Plasmabildschirme mit Werbebildern: "Sie könnten jetzt ein Guinness vertragen, Mr. Anderton", ermuntert ihn eine Stimme. Anderton erreicht die U-Bahn, aber auch hier wird jeder gescannt.
Minuten später hat die Behörde ihn lokalisiert. Die Szene mit John Anderton alias Tom Cruise stammt aus dem Spielberg-Film "Minority Report" und spielt im Jahr 2054. Spielberg bezieht sich auf einen bereits existierenden technologischen Hintergrund: die von Handel und Industrie vorangetriebene Entwicklung fernlesbarer Minisender mit dem Namen RFID - Radiofrequenz-Identifikation.
Dahinter verbirgt sich eine Technik, mit der man Etiketten auf Paletten, Kleidung, Ausweisen oder Kundenkarten per Funk lesen kann. Das funktioniert über Distanzen von mehreren Metern, ähnlich wie ein WLAN-Netz, nur auf anderen Frequenzen. RFID ist keine ganz neue Technik. Wir sind ihr früher schon begegnet, im Urlaub, auf der Autobahn in Spanien: Während Papa an der Mautstation in der Schlange stand, fuhren links ein paar Autos durch, die ein anderes Bezahlsystem hatten. Automatisch erkannte die Mautstation das Auto und buchte elektronisch vom Konto ab.
Auch das war bereits RFID. Heute etablieren Handel und Logistik die Minisender als die neue Generation des Barcode, denn es spart Kosten, wenn Regale und Lagertore automatisch wissen, welche Waren reinkommen oder rausgehen. Die Chips sind kleiner geworden, billiger, biegsam und waschbar. Sie kleben unsichtbar unter dem normalen Strichcode und fallen erst auf, wenn man diesen abzieht: Dann wird eine Art metallischer Schaltkreis sichtbar. Schon gehen die Stückzahlen in die Milliarden, in naher Zukunft werden die Minisender beim Endverbraucher ankommen. Der Extra-Markt von Rheinberg, einem Städtchen in der Nähe von Krefeld. In der Beauty-Abteilung stehen reihenweise Shampooflaschen. Albrecht von Truchseß nimmt eine davon in die Hand. Sofort leuchten über dem Regal zwei Flachbildschirme mit Werbung für dieses Shampoo auf: Ein Kunde, der die Flasche in die Hand nimmt, soll sie nun auch kaufen. Truchseß ist Sprecher des Handelskonzerns Metro, der diesen Extra-Markt zum "Future Store", zum Testfeld für neue Technologien, umgebaut hat. Eine davon heißt RFID. Außer auf den Paletten im Lager kleben die Funketiketten hier auch auf einzelnen Produkten, auf Frischkäse und Rasierklingen. Solange ein Minisender noch 30 Cent kostet, lohnt es sich nicht, jeden Joghurtbecher damit zu bekleben, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Chips fünf Cent kosten und die meisten Produkte mit ihnen versehen werden. Bielefeld, im Februar 2004: Mitglieder des "Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD) legen eine Payback-Kundenkarte aus dem Future Store auf ein RFID-Lesegerät.
Zu ihrer Überraschung erscheint eine Identifikationsnummer. Obwohl der Handelskonzern die Funketiketten bald darauf wieder aus den Kundenkarten entfernt, zeigt dies doch, dass die Filmszenen des Regisseurs Spielberg inzwischen zum Greifen nahe gerückt sind. Denn selbstverständlich enthalten die Kundenkarten auch die persön- lichen Daten wie Name, Alter und Adresse. "Mr. Anderton, Sie könnten jetzt ein Guinness vertragen." Vor kurzem haben die Datenschützer den Prototyp ihres "Data Privatizer" vorgestellt, ein Gerät, das RFID-Chips und -Lesegeräte nicht nur lokalisiert, sondern die Etiketten sogar überschreiben kann. Da in naher Zukunft die neue Generation der Reisepässe und sogar die Euro-Banknoten mit RFID-Chips ausgestattet werden sollen, dürfte der Nutzen dieses Guerillafunks jedoch begrenzt sein. Der Informatiker Alois Ferscha vom Linzer "Institut für Pervasive Computing" ist der Überzeugung, dass uns die Kontrolle über die Allgegenwart der Datenströme schon längst entglitten ist. Bereits heute kämen auf einen sichtbaren Computer 160 Prozessoren im unmittelbaren Umfeld, die unsichtbar in Mikrowellen, Digitalkameras, Autos oder in Handys steckten. "Wenn all diese Dinge über Funk miteinander kommunizieren können", sagt Ferscha, "dann sind sie keine Einzelgeräte mehr." Seine Vision: ein Megacomputer als Summe dieser Teile, eine die Welt umspannende Matrix. "Es wäre schön, wenn wir souverän entscheiden könnten - aber ich glaube nicht, dass wir noch 'abschalten' können."