Die Jacke aus transparentem Latex glitzert in der Sonne, die durch die großen Atelierfenster scheint. Auf den Ärmeln angebrachte wellenförmige Latexstreifen ragen in die Luft. So muss es wohl aussehen, wenn sich die Sonne kurz unter der wogenden Meeresoberfläche bricht. Es gibt einen Mantel, der mit seinen fein verwebten durchsichtigen Kunststofffasern an eine Qualle erinnert. Ein Top mit Kunstbast hat die Farbe von leuchtenden Korallen. Und an einen Rock sind lauter Stoffröhren genäht, die abstehen wie Muscheln, die an einem Felsen im Meer festgewachsen sind.
All das haben sich die Designerinnen Inna Stein und Caroline Rohner ausgedacht. Nicht als Kostüme für die kleine Meerjungfrau, nein, ihre Entwürfe sollen Menschen auf der Straße tragen. Gern auch in Berlin – denn hier arbeiten und leben die beiden, hier haben sie ihr Label „Steinrohner“ gegründet.
Sie durften Anfang Juli ihre Kollektion auf der Berlin Fashion Week zeigen, weil sie im Januar einen Preis der Modefachmesse Premium gewonnen hatten. Gerade bereiten sie eine Modenschau in der Schweiz vor und geben ihrer Kollektion für Paris den letzten Schliff – der Sommerurlaub fällt aus. Viel Arbeit und vage Aussichten; bisher gibt es nur einen Shop, der ihre Sachen verkauft: in Shanghai. Die Designerinnen wissen, wie schwer es wird. In Berlin findet man genug Beispiele dafür.
Aber wenn Inna Stein und Caroline Rohner über ihre Entwürfe sprechen, sehen sie glücklich und zufrieden aus. Monatelang haben sie in Bibliotheken in dicken Bildbänden nach Motiven für ihre Kollektion gesucht. Diese hängen jetzt zu einer riesigen Collage vereint an einer Wand ihres Kreuzberger Ateliers.
Schon seit dem zweiten Semester stand für sie fest: Wir arbeiten zusammen. Alles diskutieren sie, die eine beginnt mit einem Kleidungsstück, die andere bringt es zu Ende. Zusammen machten sie ihren Bachelor und Master, wurden danach Meisterschülerinnen an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Auch als sie vom Luxusmodehaus Louis Vuitton das Angebot erhielten, sich gemeinsam zu bewerben, die eine als Trendscout, die andere als Zeichnerin, blieben sie dabei: Wir machen unser eigenes Label.
„Wenn wir erst mal fünf Jahre irgendwo gearbeitet hätten, wer weiß, ob wir dann noch den Schwung gehabt hätten“, sagt Caroline Rohner. Jetzt oder nie – so denken jedes Jahr viele Modeabsolventen in Berlin und versuchen es. Was Stein und Rohner bereits ahnten: Keiner hatte auf sie gewartet. Aber sie glauben, dass sie vorbereitet sind. „Viele gründen das eigene Label ohne Konzept und vergessen, dass siebzig Prozent der Arbeit Bürokratie sind“, sagt Inna Stein.
Sie wurden gewarnt: „Vergesst nicht, es ist wahnsinnig“
Auch ihre Professorinnen Clara Leskovar und Doreen Schulz haben sie gewarnt: „Vergesst nicht, es ist wahnsinnig.“ Die kennen sich aus, immerhin haben sie schon seit 2004 ihr eigenes Label c.neeon. Leskovar und Schulz wissen, wie es ist, als Designerinnen zu überleben. Sie gewannen wichtige internationale Preise, verkaufen nach Japan, ihre Mode ist absolut wiedererkennbar. All diese Erfahrungen geben sie nun an ihre Studentinnen und Studenten weiter. Dass sie jetzt nicht nur ihr Label weiterentwickeln, sondern auch als Professorinnen ihr Geld verdienen, ist typisch für Berlin.
Anfangen ist einfach – jedes Jahr findet sich wieder ein Jungdesigner, dem Experten eine goldene Zukunft voraussagen. Er bekommt Modenschauen, Auftritte auf Messen in Berlin und Paris bezahlt und wird mit Presseberichten überschüttet. Und noch bevor nur ein einziges Kleidungsstück im Laden hängt, ist das Internet voll mit schönen Bildern seiner Mode. Dafür wird viel von den Berliner Shootingstars erwartet: Sie sollen ihre Sachen verkaufen, am besten international, und möglichst bald ein richtiges Modeunternehmen mit mehreren Mitarbeitern und nicht nur mit Praktikanten führen.
Das gelingt aber nur in den wenigsten Fällen – wie bei Leyla Piedayesh von Lala Berlin. Sie verkauft ihre Kollektionen weltweit, hat sogar in Kopenhagen einen eigenen Laden und 30 Mitarbeiter in Berlin. Leyla Piedayesh ist nicht nur Designerin, sondern gilt auch als knallharte Geschäftsfrau. „Miss Multitasking“ (FAZ) studierte zunächst Betriebswirtschaft und war für Fernseh- und Musikfirmen tätig, bevor sie die Mode für sich entdeckte.
Etliche Designer arbeiten allerdings, anders als Piedayesh, auch noch Jahre nach der Gründung allein, verkaufen vor allem in ihrem eigenen Geschäft und im Onlineshop. Dabei ist das Modesystem auf Tempo und Wachstum ausgerichtet: Jede Saison sollen Designer viele neue Kleider entwerfen, die sie an immer mehr Menschen verkaufen. Nur so lassen sich die Vorbereitungszeit, der Entwurf, Stoffeinkauf und die Produktion finanzieren – bis die fertigen Kleidungsstücke dann tatsächlich für kurze Zeit zum regulären Preis verkauft werden, bevor sie in den Ausverkauf kommen. Dafür braucht man entweder einen hohen Bankkredit oder einen sehr großzügigen Investor. Das Risiko ist hoch. Es gibt keine Garantie, dass die nächste Kollektion ein Erfolg wird. Und selbst wenn: Wenige Leute kaufen Mode, deren Preis weit über dem Durchschnitt liegt – ganz zu schweigen von den Preisen, zu denen große Ketten ihre Ware verschleudern.
In Berlin wirbt man gerne mit der Designszene der Hauptstadt, ja ganz Deutschland ist stolz auf die Kreativität der Berliner Designer, doch getragen wird ihre Mode eher nicht. Deshalb dringend gesucht: mutige Einkäufer im Handel sowie Kunden, die die Berliner Mode – auch in Berlin! – tragen wollen. Experten predigen, dass man nur über den internationalen Markt sein Geld verdienen kann. Doch wie soll das gehen, wenn es schon auf dem heimischen nicht klappt? Wie sollen die kleinen Modelabels in Zeiten überleben, in denen auch größere Firmen Probleme haben, die immer schneller werdenden Rhythmen und den Werteverfall von Kleidung zu verdauen sowie die Umsätze stabil zu halten?
Ettina Berrios-Negrón gehört zu jenen Berliner Designern, die erkannt haben, dass das System der Modeindustrie nicht einfach auf Berlin zu übertragen ist. Auch sie war noch vor zwei Jahren mit ihrem Label Thone Negrón in Paris auf einer Modemesse. „Es war toll, alle waren begeistert. Die Amerikanerinnen sind ausgerastet, als sie die Kleider sahen, aber geordert haben sie sie nicht.“ Zurück in Berlin, hat sich die 35-Jährige hingesetzt und ausgerechnet, was sie das alles kostet, wenn sie so weitermacht wie bisher: viel zu viel, um überleben zu können.
Also beschloss sie, sich auf ihren Laden zu konzentrieren – und nicht mehr auf Wachstum zu setzen. Jetzt ist Ettina Berrios-Negrón das, was sie immer sein wollte: Gestalterin, die sich in Farben und Formen verliert. Aber sie hat auch gelernt, dass es zum Modegeschäft gehört, Kunden zu gewinnen. Sie legt Statistiken darüber an, wie gut sich eine Bluse verkauft und ob sie dazu ein ärmelloses Top anbieten muss. Sie kalkuliert, bis sie ihre Entwürfe zu einem Preis anbieten kann, den sie für realistisch hält. „Ich persönlich kenne niemanden, der 400 Euro für eine Bluse ausgibt.“ So wie Ettina Berrios-Negrón arbeiten immer mehr Berliner Designer, sie haben sich aus dem Saisonbetrieb verabschiedet, suchen sich Nischen, fertigen wenige, hochwertige Produkte.
Was aus „Steinrohner“ wird, ist ungewiss. Aber ein Blick auf ihre ausdrucksstarke Kollektion genügt: Es ist richtig, dass die beiden Designerinnen es versuchen. Sie arbeiten unermüdlich an ihrem Businessplan, fahren im Oktober nach Paris und hoffen, dass die Einkäufer sie jetzt, nach dem dritten Mal, gut genug kennen, um bei ihnen zu ordern. Eine wichtige Voraussetzung haben sie auf jeden Fall fürs Überleben: ihre eigene Handschrift.
Die Berliner Modeautorin Grit Thönnissen mag das Handwerk. Deshalb hat sie großen Respekt vor Designern, die sich um gute Verarbeitung und neue Formen bemühen.