Man kann sich gar nicht vorstellen, dass Ronald Barnabas Schill, der sich neulich im „Big Brother“-Container auszog, mal der Innensenator von Hamburg war. Damals provozierte er vor allem mit einer konsequenten Angst-Kampagne und brachte das Hamburger Parteiengefüge mächtig durcheinander: Die im Jahr 2000 gegründete und meist als rechtspopulistisch eingestufte Partei Rechtsstaatliche Offensive war ganz auf den für seine harte Gangart bekannten „Richter Gnadenlos“ Schill ausgerichtet. Hamburg war voller Plakate mit seinem Gesicht – dazu der Spruch: „Mit Sicherheit Schill“. Die Kernbotschaft: Alles geht vor die Hunde, doch wir bieten euch das, was sich die anderen Parteien nicht trauen: kompromisslose Sicherheit und Kontrolle in der kriminellen Welt da draußen. Hartes Durchgreifen gegen die Gesetzlosigkeit der Straße. Für Menschen, die eingewandert sind, sah das Programm nicht ganz so viel Sicherheit vor, sondern im Zweifel eher Abschiebungen.
Die Partei hielt sich nur bis 2007, doch die Rhetorik ist immer noch aktuell. Auch zur Europawahl im Mai 2014 waren die Straßen voller Plakate, die mit ähnlichen Ängsten und Feindbildern spielten. „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“, titelte etwa die NPD. „Wir sind nicht das Weltsozialamt“ die AfD. Bilder von gezeichneten Euro-Bomben hatten Konjunktur – als Symbole für die Angst vor Kontrollverlust. Und das nicht nur in Deutschland: Ob die britische rechtspopulistische UKIP, auf deren Europawahl-Plakat der Union Jack bedrohlich verbrennt, die Dänische Volkspartei, der Front National in Frankreich: Die Parteien weit rechts der Mitte haben bei dieser Europawahl mit plakativer Angstmacherei eine Menge Wählerstimmen gesammelt.Einige der Plakate wurden von Gegnern abgerissen, die ganze Republik diskutierte über die Schill-Partei. Aber offenbar traf Schill einen Nerv bei einem Teil der Wählerschaft. Der 11. September 2001 kam und knapp zwei Wochen später die Wahl der Hamburgischen Bürgerschaft, des Landesparlaments im Stadtstaat. Die „Schill-Partei“ erzielte mehr als 19 Prozent der Stimmen.
Um die Angst zu instrumentalisieren, muss sie sich aber auch noch mit einem Gefühl der Ohnmacht verbinden. Schon in den Sechzigerjahren haben die Soziologen Leo Löwenthal und Norbert Gutermann Propagandamaterial untersucht und gefolgert, dass Menschen, die ihre Gruppe bedroht sehen, empfänglich für eine einfache Botschaft werden: Wir zeigen euch einen Ausweg.„Angst ist eine ganz wesentliche Grund-Emotion, von denen es nicht so viele gibt und auf die wir gut ansprechen. Für jeden von uns macht außerdem Zugehörigkeit einen wesentlichen Bestandteil unserer sozialen Identität aus, und die ist genauso wichtig wie Wasser und Brot“, erklärt Andreas Zick, Sozialpsychologie-Professor an der Uni Bielefeld und Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung. „Es geht bei Kampagnen nicht darum, dass wir individuell Angst vor Überfremdung oder wirtschaftlichen Krisen empfinden, sondern sie wirken, wenn die Angst meine Gruppe betrifft.“ „Uns geht es an den Kragen“ ist also viel dramatischer, als zu denken: „Mir geht es an den Kragen.“ Das ist zwar auch schlimm, aber die meisten Menschen glauben daran, immer noch einen Ausweg für sich selbst finden zu können.
Unsichere Zeiten, in denen Parteien und andere solche Kampagnen erdenken, sind normal, meint Frank Decker, Politikprofessor an der Uni Bonn und Experte in Sachen Parteienpopulismus. „Früher hat es ein natürliches Aufstiegsversprechen gegeben, die Kinder hatten einen besseren Beruf als ihre Eltern. Heute haben wir eine Verunsicherung bis weit in die mittleren Schichten; Menschen erleiden einen Abstieg oder fürchten sich davor“, sagt er und meint damit vor allem solche umfassenden Entwicklungen wie die Wirtschaftskrise und die Globalisierung. „Es reicht schon, auf diese Unsicherheit hinzuweisen und sie mit Sicherheitsversprechen zu verknüpfen, um eine Angst erfolgreich für Kampagnen zu nutzen.“Phasen, in denen sich Gruppen bedroht fühlten und auf Angst ansprachen, gab es immer wieder. Nach der Hyperinflation im Jahr 1923, als sich das Geld so schnell entwertete, dass man es lieber im Ofen verheizte, statt es zu sparen, und die Demokratie auch noch nicht so richtig gut funktionierte. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren warnte die SPD vor Verarmung, die CDU vor der Sowjetunion. Die Ölkrisen in den Siebzigern, Umweltkrisen in den Achtzigern, der Kalte Krieg, andere Kriege, Gesellschaftswandel oder natürlich die letzte Weltwirtschaftskrise – alles Stoff für furchterregende Appelle der Parteien. Auf Angst setzten die Grünen in den Achtzigerjahren, als es um Waldsterben und Atomkraft ging, etwa mit dem Foto eines toten Sees und dem Spruch „Jeden Tag stirbt ein Stück Natur! Die Industrie macht Kasse“. Oder ein schwarz-weißes Foto mit einer Kriegsszene, von der Linken unterlegt mit „Nie wieder Krieg!“. Rechtsextreme TV-Spots wie das Filmchen der Republikaner im Wahlkampf um das Berliner Abgeordnetenhaus 1989 treiben das Konzept auf die Spitze: Die Kamera fährt durch eine Wohnsiedlung, vorbei an tristen Häusern und türkischstämmigen Kindern. Im Hintergrund des Spots läuft „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Sabrina Gaisbauer volontiert bei der bpb und ihr wird manchmal auch etwas bange, wenn sie an bestimmten Wahlplakaten vorbeiläuft.
Illustration: Falko Ohlmer
Fotos: die Parteien