Worum geht’s?
Seinen 18. Geburtstag verbringt Gyllen mit der Familie in einem Ferienresort in Marokko. Nach einem Streit mit seiner Mutter entschließt sich der Engländer, den Camper-Van seines Stiefvaters zu klauen und damit nach Frankreich zu seinem leiblichen Vater zu fahren. Doch schon nach ein paar Kilometern merkt er, dass er mit dem Wagen kaum fahren kann. Als ihm der Kongolese William am Straßenrand begegnet und hilft, bietet ihm Gyllen an, gemeinsam die Strecke nach Frankreich zurückzulegen. Denn auch William will von Marokko nach Europa, um dort seinen verschollenen Bruder zu finden, von dem er zuletzt aus Calais ein Lebenszeichen erhalten hat.
Was soll uns das zeigen?
Es geht um zwei grundverschiedene Jungs, die durch Europa reisen, über Fußball sprechen und kiffen. Fast beiläufig wird dabei das ganze Drama um Flucht und Vertreibung anhand eines Einzelschicksals erzählt – inklusive Schlepperbanden, Grenzkontrollen, traumatischen Erfahrungen, Hilfsorganisationen und einer Flucht mit dem Boot. Zum anderen spielt der Film mit Stereotypen und Vorurteilen. Warum William so gut Englisch spreche, fragt ihn Gyllen. Na, weil er so viele amerikanische Serien gucke, antwortet dieser. In Wahrheit hat William aber auf einer christlichen Schule im Kongo perfekt Englisch gelernt, und er schaut weder Serien noch Fußball und möchte auch nicht nach Europa flüchten, sondern nur seinen Bruder finden. Im Gegensatz zu Gyllen ist dieser Trip für William kein Abenteuer, kein Aufbegehren gegen die Eltern und auch keine Selbstfindung, sondern eine gefährliche Reise in eine Welt, in der er nicht willkommen ist.
Wie wird’s erzählt?
Als Mischung aus Coming-of-Age- und Roadmovie. Der Weg nach Calais steckt voller Widrigkeiten, lustigen und aufregenden Momenten und Begegnungen. Vor allem aber ist er für Gyllen und William ein Trip zu sich selbst. Regisseur Sebastian Schipper erzählt die Reise der beiden formal weit weniger radikal als noch in seinem letzten Film „Victoria“, der für Furore sorgte, da Schipper ihn in einer einzigen Einstellung drehte. Die leuchtenden Bilder und der Soundtrack sind aber ebenso mitreißend.
Stärkste Szene
William und Gyllen sitzen sich im Camper gegenüber. Draußen ist es dunkel, nur ein Deckenlicht fällt auf die Gesichter der beiden. Sie spielen ein Spiel. Dabei sehen sie sich an, werfen sich spontan Begriffe zu und checken ihre Vorurteile und Klischees: Einer schließt die Augen und öffnet sie nur kurz, wenn der andere ein Wort sagt. „Fußballspieler“: Gyllen öffnet die Augen und sieht William: „Missbrauchsopfer“: William schaut Gyllen an: „Straßenhändler“ … „Rassist“ … „ Kindersoldat“ …
Hat mich berührt
Nachdem Gyllen vom frühen Tod seines Bruders Lawrence erzählt hat, fragt ihn William: „What was the nicest thing Lawrence ever said to you?“ Gyllen denkt nach und sagt: „You made my day.“ In der letzten Szene sehen wir die beiden Freunde – mittlerweile nicht mehr zusammen auf ihrem Roadtrip – telefonieren. „Roads“ endet mit den Worten: „You made my day.“
FYI
Die Aktivisten der Hilfsorganisationen im Film sind keine Schauspieler, sondern echte Helfer, die ihren Alltag in Calais real nachspielen. Sie kommen aus ganz Europa, verteilen Essen, warme Kleidung und Schlafsäcke.
Ideal für …
… eine Sommernacht im Freiluftkino, wenn es nicht nur leicht und heiter sein soll. Als Vorbereitung für den Interrail-Urlaub. Und als kritischer Check für die eigenen Vorurteile.
Noch viel mehr zu Sebastian Schippers etwas anderem Roadmovie gibt es im Kinofenster der bpb. Zum Beispiel ein Interview mit den beiden Hauptdarstellern Fionn Whitehead und Stéphane Bak.
Foto: Studiocanal GmbH