Die Revolution ereignete sich an einem milden Sommernachmittag in einem unscheinbaren Schuppen in Schottland. Am 5. Juli 1996 kam hier – mit Kopf und Vorderbeinen voran – ein Schaf zur Welt, das anders als alle anderen Schafe war. Der Tierphysiologe Ian Wilmut hatte es mithilfe einer Euterzelle der Mutter erschaffen. Er nannte es Dolly, in Anspielung auf die vollbusige Countrysängerin Dolly Parton. Dolly war das erste geklonte Säugetier der Erde – ein wissenschaftlicher Star. Die Geschichte dieses Schafs, das Besucher als äußerst zahm und liebenswert beschrieben haben, ist seither um die Welt gegangen.
Obwohl Dolly längst gestorben und das Klonen von Tieren alltäglich geworden ist, dauert der Meinungsstreit zum Thema Gentechnik bis heute an. Denn natürlich geht es in der Debatte nicht nur um ein Schaf, sondern auch um die Frage, ob man irgendwann auch Menschen klonen wird. Werden dann Klonarmeen gegeneinander kämpfen, Organ-ersatzlager ohne Gehirn und Seele in Laboren dahinvege-tieren und Klonsklaven für eine blonde, blauäugige Herrscherrasse arbeiten?
„Das Klonen birgt langfristig die Gefahr, dass die Einheit der Menschheit auseinanderbricht“, sagt Gernot Böhme. Der Philosoph, der früher als Professor an der Technischen Universität Darmstadt lehrte, beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen der Gentechnik für den Menschen. Ihre Erfindung ist aus seiner Sicht so revolutionär, weil sie es ermöglicht, den Ursprung des Menschen zu beeinflussen. „Gott sei Dank haben wir in Deutschland eine Gesetzgebung“, sagt er, „die der Manipulation menschlicher Embryonen Grenzen auferlegt.“ Tatsächlich sind die Auflagen für die Humangentechnik streng. Das Klonen – also die künstliche Herstellung genetischer Kopien – ist bei uns verboten.
Die Präimplantationsdiagnostik (PID), mit der man Embryos genetisch untersuchen kann, bevor man sie in den Mutterleib einsetzt, ebenfalls. Forscher, die mit embryonalen Stammzellen arbeiten wollen, müssen diese Zellen im Ausland kaufen und darauf achten, dass diese vor einem bestimmten Stichtag entstanden sind. Wissenschaftler wie Oliver Brüstle, seit vielen Jahren in der Stammzellenforschung tätig, beklagen sich über solche Einschränkungen, weil sie befürchten, dass deutsche Wissenschaftler dadurch den Anschluss an die internationale Forschung verlieren. Wer sich wie Gernot Böhme für strenge Gesetze einsetzt, bezieht sich gern auf die Menschenwürde. Sie ist der oberste Wert unseres Grundgesetzes und wurde erstmals in der Zeit der Aufklärung in einem philosophischen Konzept ausformuliert. Damals entstand die Idee der Menschenrechte, um den Einzelnen gegen Folter oder andere Eingriffe des Staates zu schützen. Der Begriff Menschenwürde schützt vor allem die, die sich gegen solche Eingriffe am allerwenigsten wehren können: Kinder, Behinderte, Arme oder Angehörige von Minderheiten.
Die Frage, ob auch ein menschlicher Embryo Menschenwürde genießt, bejaht Gernot Böhme genauso wie die katholische Kirche. Für sie hat der Mensch als Krone der Schöpfung Anspruch auf jeden möglichen Schutz. Da ein Mensch entsteht, sobald Eizelle und Samen miteinander verschmelzen, muss ein menschlicher Embryo wie ein erwachsener Mensch geschützt werden. Die Menschenwürde ist demnach ein absoluter Wert.
Für Philosophen wie Dieter Birnbacher ist die Menschenwürde dagegen ein Begriff, den man abstufen kann. Birnbacher ist Professor für Philosophie in Düsseldorf und gehört einer Denkrichtung an, die Utilitarismus heißt. Ein Utilitarist bemisst eine Handlung danach, welchen Schaden und welchen Nutzen sie bringt. Er wägt beide Seiten ab und entscheidet dann, was in der Summe besser ist. Der Nutzen, den die Menschen durch die Forschung an embryonalen Stammzellen haben, ist für Birnbacher größer als der Schaden, der dadurch entsteht, dass Embryonen im Frühstadium für Forschungszwecke sterben.
Ein Embryo hat aus Birnbachers Sicht nicht die gleiche Würde wie ein erwachsener Mensch: „Ein wenige Tage alter Embryo hat viele Dinge nicht, die einen Menschen auszeichnen: Er hat keine Gefühle, empfindet keinen Schmerz und hat kein Bewusstsein. Wenn wir für ihn genau die gleiche Menschenwürde wie für einen geborenen Menschen beanspruchen, verwenden wir den Begriff so weit, dass wir seine Bedeutung unterhöhlen.“ Als bloßen Zellhaufen sieht Birnbacher den Embryo jedoch auch nicht: „Ein Embryo verdient unsere Pietät – genauso wie eine menschliche Leiche.“
Wann beginnt das menschliche Leben? Ist es absolut schützenswert oder nicht? Und wenn ja, wieso? Wer über Gentechnik nachdenkt, stößt auf die Frage nach dem Wesen des Menschen überhaupt. Das ist auch der Grund dafür, warum Befürworter und Gegner über das Thema so leidenschaftlich streiten. Die Diskussion geht quer durch die Parteien. Es gibt Christ- und Sozialdemokraten, die für oder gegen die Humangentechnik sind. Nur die kleineren Parteien haben eindeutigere Positionen: Die Grünen sind für, die Liberalen gegen strenge Gesetze. Letztere, weil sie Nachteile für Forschung und Wirtschaft befürchten. Auch darum geht es in diesem Streit: um Märkte und Standortpolitik.
Der amerikanische Forscher Craig Venter hat das früh verstanden. Das Unternehmen Celera Genomics, das er vor zehn Jahren gründete, entschlüsselte 2001 das menschliche Genom. Venter arbeitet mit Pharmafirmen zusammen, die die Gene erforschen, um neue Medikamente zu entwickeln. Als Venter jedoch einen Teil der gefundenen Gene patentieren ließ, ging ein Aufschrei durch die Öffentlichkeit: Kann man ein allgemeines Gut, wie ein Gen es ist, patentieren? Venter verteidigte sich: Nur mit Patenten würden sich seine Forschungskosten rechnen – nicht sofort, aber vielleicht in der Zukunft.
Ein Verfahren, das heute schon in den Ver-einigten Staaten, Belgien oder Spanien angewendet wird, ist die Präimplantationsdiagnostik. Mit dieser Technik testet man das Genom eines Embryos auf Erbkrankheiten, bevor es in den Mutterleib eingesetzt wird. Trägt ein Embryo ein Gen, das eine Krankheit verursacht, wird er einfach weggeworfen. Die Mutter muss den Embryo weder abtreiben noch ein krankes Kind zur Welt bringen. Für Philosophen wie Birnbacher ist die Antwort eindeutig: Die PID sollte man auf jeden Fall einsetzen, um Erbkrankheiten auszuschließen. Das Verfahren wird aber nicht nur in diesem Fall angewandt. So ging vor acht Jahren die Geschichte von Molly Nash aus dem US-Bundesstaat Colorado um die Welt. Das sechsjährige Mädchen litt an einer angeborenen Blutarmut und benötigte das Knochenmark eines nahen Verwandten, um zu überleben. Da weder die Eltern noch Verwandte als Spender infrage kamen, zeugten die Eltern mithilfe der PID einen Sohn namens Adam, der Molly Knochenmark spenden sollte. Molly wurde durch die Spende ihres Bruders wieder gesund.
„Was ist denn, wenn Adam Nash kein Knochenmark mehr spenden will?“, fragt Thomas Zoglauer, außerplanmäßiger Professor an der Technischen Universität Cottbus. „Werden seine Eltern ihm dann sagen, dass er nur deswegen gezeugt wurde?“ Zoglauer ist nicht nur wegen des Wohls des Kindes skeptisch. Er sieht in diesem Fall einen Schritt in Richtung Eugenik – der Lehre von der Erbgesundheit, bei der es darum geht, den Gen-bestand eines bestimmten Volkes zu verbessern. Dieser Begriff weckt in Deutschland schlimme Erinnerungen. Die Nationalsozia-listen haben im Namen der Eugenik Juden ermordet und Behinderte sterilisiert. Diese Praxis ist einer der Gründe dafür, weshalb die PID in Deutschland verboten ist. Natürlich ist der Wunsch, einem kranken Mädchen zu helfen, verständlich, Zoglauer sieht jedoch einen möglichen Präzedenzfall, durch den die PID später auch in anderen, weniger eindeutigen Fällen angewendet werden könnte. Er gibt zu bedenken, dass sich im Laufe der Geschichte immer ändert, was Menschen als Krankheit verstehen. Bis in die Sechzigerjahre hinein galten zum Beispiel Schwule noch als krank.
Ärzte aus Ländern, in denen die PID erlaubt ist, erzählen von Paaren, die sich die Eigenschaften ihrer Kinder am liebsten im Katalog aussuchen würden. Aus den USA weiß man, dass der Samen weißer Spender beliebter ist als der schwarzer. Zwergwüchsige haben gern zwergwüchsige und Taubstumme gern taubstumme Kinder. Hier bestimmt die Nachfrage die Merkmale, welche die Kinder später haben sollen. Es handelt sich um Eugenik von unten, bei der nicht ein Staat, sondern die Verbraucher den Genbestand nach ihren Vorstellungen ändern.
Noch weitreichender wären die Folgen, wenn man das Klonen von Menschen erlauben würde. Man unterscheidet zwei Arten: das therapeutische Klonen, bei dem man den Embryo früh zerstört und seine Zellen für die Forschung nutzt, und das reproduktive Klonen, bei dem der Klon in den Mutterleib eingesetzt wird. Mit diesem Verfahren könnte man nicht nur das Genom der Menschheit, sondern die Gene jedes einzelnen Menschen gezielt beeinflussen. Die Technik ist heute noch längst nicht ausgereift – Ian Wilmut benötigte 277 Versuche, bis es ihm gelang, Dolly zu klonen.
Weder Zoglauer noch Böhme befürworten das Klonen von Menschen, aber es gibt auch seriöse Wissenschaftler, die dieses Verfahren gutheißen. Vor einigen Jahren veröffentlichte Ulrich Otto Mueller, Professor für medizinische Soziologie und Sozialmedizin in Marburg, einen Artikel, in dem er sich für das Klonen aussprach. „Wir könnten damit Männern, die ihre Hoden bei einem Unfall verloren haben, helfen“, sagt Mueller. Die Hoffnung, einer Gruppe von Patienten zu dienen, rechtfertigt es in seinen Augen, die Technik nicht grundsätzlich zu verbieten. Zoglauer und Böhme lehnen das Klonen dagegen ab, weil es die Würde des Klonkindes einschränken würde. Ein Klonkind wäre nicht zufällig von der Natur, sondern gezielt von einem Menschen geschaffen worden. Mueller sieht darin kein Problem. „Wenn wir einen Partner auswählen, mit dem wir Kinder kriegen wollen, achten wir doch auch darauf, dass er unseren Vorstellungen entspricht. Und durch die Erziehung prägen Eltern ihre Kinder doch auch.“ Zoglauer hält diesen Vergleich jedoch nicht für stimmig. „Gegen seine Erziehung kann sich ein Kind wehren und tut das ja auch in der Pubertät“, sagt er, „unsere Gene aber können wir nicht verändern. Wir müssen mit ihnen ein Leben lang zurechtkommen.“
Ob es jemals wirklich dazu kommt, dass ein menschlicher Klon geboren wird, bleibt abzuwarten. Zwar gibt es Forscher, die behaupten, bereits Menschen geklont zu haben, aber Mueller nimmt sie nicht ernst. „Das sind doch Scharlatane“, sagt er. Der südkoreanische Forscher Hwang Woo Suk, der 2004 behauptet hatte, mithilfe eines Zellkerntransfers einen geklonten menschlichen Embryo geschaffen zu haben, flog später als Betrüger auf. Vielleicht ist das der Gang der Forschung: „Auch bei der ersten Herztransplantation haben sich die Leute gefragt, ob der Patient durch den Eingriff seine Seele verlieren würde – heute ist diese Operation normal“, sagt Mueller.
„Gott sei Dank ist mittlerweile etwas mehr Gelassenheit eingetreten“, sagt auch Gernot Böhme, doch der Philosoph will sich seinen kritischen Blick auf die Gentechnik bewahren. Er wirbt dafür, sich mehr Zeit zu nehmen und die Folgen der neuen Techniken zu durchdenken: „Sonst tun wir möglicherweise heute Dinge, die wir in zwanzig oder dreißig Jahren als pervers ansehen werden.“