In ihrer Schule sind Tom und Damien die Außenseiter. Als im Sportunterricht Mannschaften gewählt werden, muss der Lehrer den beiden Jungen Teams zuweisen, weil niemand sie haben will. Es ist nicht das letzte Mal in André Téchinés Wettbewerbsbeitrag „Quand on a 17 ans“ („Being 17“), dass die natürliche Autorität der Erwachsenen unangetastet bleibt.

Tom und Damien sind Einzelgänger, aber sie kommen auch nicht miteinander klar. Tom unterscheidet sich schon äußerlich von seinen Klassenkameraden: Seine Eltern kamen aus dem Maghreb, nun lebt er mit seinen französischen Adoptiveltern außerhalb einer Kleinstadt in den Bergen auf einem Bauernhof. Doch seine Herkunft ist nicht der Grund für seine Isolation, sie scheint eher wie ein Vorwand, um sich von seinem sozialen Umfeld abzugrenzen. Rassismus spielt von allen Konflikten, von denen Regisseur Téchiné und seine Drehbuchautorin Céline Sciamma (zuletzt mit dem großartigen Mädchengangfilm „Bande de filles“ im Kino zu sehen) in ihrem für kleine Gesten aufmerksamen Jugendfilm erzählen, ohnehin die geringste Rolle. Tom liebt die Berge und würde gerne Tierarzt werden. Aber die Noten reichen nicht aus, auch weil der Schulweg lang ist. Drei Stunden gehen dafür jeden Tag drauf, außerdem muss er nach der Schule noch auf dem Hof der Eltern aushelfen.

Da ist Damien privilegierter aufgewachsen. Seine Mutter Marianne ist eine Art Ärztin ohne Grenzen in dem kleinen Ort, manchmal lässt sie sich sogar in Naturalien bezahlen, der Vater – Helikopterpilot der Luftwaffe – glänzt dagegen durch Abwesenheit. An Kampfeinsätzen beteiligt er sich nicht, er ist aber nah genug dran an den aktuellen politischen Konflikten, dass die Coming-of-Age- und später Coming-out-Geschichte auch in der französischen Bergidylle einen starken Realitätsbezug behält. Die Konflikte, um die sich „Quand on a 17 ans“ im Verlauf von drei Schultrimestern (und vier Jahreszeiten) unmittelbar dreht, sind jedoch kleiner, persönlicher.

Mit jeder Prügelei verschiebt sich das Verhältnis von Kamerad- und Feindschaft

Tom hält Damien für ein verzogenes Muttersöhnchen (Marianne setzt ihn jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit vor der Schule ab), vielleicht findet er das Rimbaud-Gedicht, das Damien im Unterricht vorträgt, auch „schwul“. Die Rivalität der beiden Außenseiter nimmt jedenfalls zunehmend gewalttätige Züge an. Marianne kümmert sich derweil um Toms Mutter, die nach mehreren Fehlgeburten wieder schwanger ist – zunächst nicht ahnend, dass sich ihr Sohn und Tom auf dem Schulhof prügeln.

Man könnte es für eine unrealistische Drehbuchwendung halten, dass Marianne Tom eines Tages anbietet, eine Weile bei den beiden zu wohnen, als die Mutter des Jungen ins Krankenhaus eingeliefert wird. Aber man verwirft solche Vorbehalte schnell, weil es in „Quand on a 17 ans“ um eine andere Form von Realismus geht. Und der hat ganz viel mit der Körperlichkeit des Kinos zu tun und wie (junge) Menschen sich vor der Kamera bewegen und miteinander agieren.

Darin ist „Quand on a 17 ans“ so überzeugend, bewegend und auch verblüffend direkt, dass man Corentin Fila als Tom, Kacey Mottet Klein in der Rolle von Damien und Sandrine Kiberlain als Marianne stundenlang zusehen könnte, wie sie ihre Rollen in diesem unwahrscheinlichen Bündnis immer wieder neu für sich entdecken. Als Marianne etwa die Rivalen zum Armdrücken auffordert. Oder wenn Tom ihr seinen Lieblingsausblick in den Bergen zeigt. Man erkennt Téchinés Gespür für die feinen physischen Nuancen des Kinos auch daran, wie er die Kämpfe zwischen Tom und Damien filmt. Mit jeder Prügelei verschiebt sich das Verhältnis von Kamerad- und Feindschaft, als würde unter den Schlägen noch eine andere Kraft ruhen, der sich die beiden gerade erst bewusst werden.

In einer Szene gesteht Damien seiner Mutter, dass er manchmal heimlich weine, und die entgegnet nur, wie stolz sie sei, dass ihr Sohn so sensibel ist. Schöner kann man auch einen Film nicht beschreiben, der voller Kraft ist, ohne unter ihr zusammenzubrechen, und sich dabei empfänglich zeigt für emotionale Zwischentöne.

„Quand on a 17 ans“, Frankreich 2016; Regie: André Téchiné, Drehbuch: Céline Sciamma, mit Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Corentin Fila, Alexis Loret, 116 Minuten