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Klärt uns auf!

Unsere Autorin hat in der zweiten Staffel von „Sex Education“ mehr gelernt als im Sexualkundeunterricht

  • 3 Min.
Sex Education

Eine Horde junger Menschen rennt mit Atemschutzmasken durch die Schule. Eine Geschlechtskrankheit ist ausgebrochen, und durch die Flure schießen Fragen wie: „Hilft es, die Vagina mit Bleichmittel einzureiben?“, „Kann man Chlamydien auch am Auge bekommen?“ Antworten erhalten die Schüler*innen erst bei einer Schulversammlung. Doch wider Erwarten nicht von ihrem Aufklärungslehrer Colin Hendricks, der selbst überfragt und überfordert ist und mit weißem Mundschutz im Publikum sitzt. Es ist Jean, Sexualtherapeutin und Mutter der Hauptfigur Otis, die Licht ins Dunkel bringt. Sie erklärt, dass es sich in der Schule vielmehr um einen Ausbruch von Hysterie handelt als von Chlamydien. Denn durch die Atemluft sind die Bakterien nicht übertragbar.

Verkrampfter Pädagoge vs. die Mutter vom „Sexkid“

Otis und seine Eigentlich-große-Liebe-aber-dann-doch-nur-Freundin Maeve eröffnen auch in der zweiten Staffel wieder ihre „Sexklinik“ in einem verlassenen Schulklo. Hier berät Otis die Mitschüler*innen empathisch zu Sexfragen. Das Wissen dafür hat er von seiner Mutter in langjähriger Aufklärungsarbeit vermittelt bekommen. Das „Sexkid“, wie ihn seine Mitschüler*innen nennen, bekommt nun allerdings Konkurrenz – von niemand Geringerem als seiner eigenen Mutter, die kurzerhand auch eine Sprechstunde in der Schule anbietet. Denn von dem Aufklärungsunterricht ist sie schockiert.

Sex Education: Staffel 2 | Offizieller Trailer | Netflix

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Sex Education läuft beim Streaming-Anbieter Netflix – und vielleicht ja auch bald im Biologieunterricht

Dort fragt zum Beispiel Rahim, der neue französische Austauschschüler mit Topmodel-Antlitz: „Wie sieht es mit homosexuellem Sex aus? Welches Gleitmittel würden Sie für Analsex empfehlen?“ Lehrer Hendricks hat darauf keine Antwort, schaut nur verdutzt. Er verkörpert das Klischee des verkrampften Pädagogen, der sich vor der Schulleitung paradoxerweise als „Master of Sex“ profiliert. Erneut liefert Sexualtherapeutin Jean, die den Unterricht beobachtet, die Antwort: Die Schüler*innen sollten auf wasser- statt ölbasiertes Gleitmittel setzen, da sich Latexkondome sonst auflösen. Für eine funktionierende Aufklärung brauche es die drei T, erklärt Jean in der Serie: „Truth, Talk, Trust (Wahrheit, Reden, Vertrauen)“.

Sexualkunde an deutschen Schulen? Unbefriedigend

 

Eine wie Jean hätte auch ich mir im Unterricht gewünscht. Mein verklemmter Hendricks war Biologielehrer und hieß Herr P. Mit Mäuschengesicht und -stimme sollte er 30 Achtklässler*innen sexuell aufklären. Wir Mädchen wollten wissen, an welchem Tag ihrer Periode die Frau beginnen muss, die Pille zu nehmen. Herr P. hatte keine Ahnung. Eine Mitschülerin, die bereits die Pille nahm, wurde zu unserer Jean. Während wir neugierig zuhörten, verstummte neben den Jungen unserer Klasse der Lehrer gleich mit. 

Sexualkundeunterricht ist in Deutschland laut der Studie „Jugendsexualität 2015“ erfolgreich: 93 Prozent der 14- bis 25-Jährigen gaben an, in der Schule sexuell aufgeklärt worden zu sein. Das ist eine gute Quote und ein Allzeithoch. Allerdings sagt diese Zahl natürlich wenig über den genauen Inhalt der Aufklärung aus. Der ist oft unbefriedigend: Homosexualität wurde nur bei knapp jeder*m zweiten Befragten thematisiert, über Schwangerschaftsabbruch oder sexuelle Gewalt sprachen jeweils nur rund 40 Prozent im Unterricht. Meine Klasse hätte zum Beispiel auch gerne erfahren, wie genau STI (sexuell übertragbare Infektionen) ansteckend sind, dass Lecktücher existieren oder welche Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs es gibt. 

„Sex Education“ ist auch in der zweiten Staffel mehr als ein lustiges britisches Highschool-Pointenfeuerwerk. Die Serie erzählt von Bindungsängsten, außerirdischen Fetischen und einer feministischen Mädchengang, die sich gemeinsam gegen sexuelle Gewalt wehrt. Sie führt vor Augen, wie viel mehr sexuelle Aufklärung heute noch nötig ist, auch wenn wir immer offener über Homo-, Bi-, Trans- oder A-Sexualität sprechen können. Wer sie geschaut hat, möchte den Sexualkundelehrer*innen dieser Welt zurufen: Bitte klärt uns richtig auf. Oder noch besser: Drückt im Unterricht die Play-Taste und lasst „Sex Education“ laufen!

Titelbild: Netflix

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.