Thema – Südamerika

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Tor zur Welt

Die Nachfahren afrikanischer Sklaven haben Ecuador einen Platz auf der Weltbühne des Fußballs erkämpft

Ausgerechnet David Beckham machte den großen Traum der Ecuadorianer zunichte. In der 60. Minute des Achtelfinales der Weltmeisterschaft 2006 verwandelte der Superstar den entscheidenden Freistoß. Doch auch nach dem unglücklichen Ausscheiden blieb die Teilnahme des kleinen Ecuador an der K.-o.-Runde der WM in Deutschland ein großer Erfolg. Schon vier Jahre zuvor hatte sich die „Tri“ genannte Nationalmannschaft erstmalig für eine Fußball-WM qualifiziert, wobei gleich sieben Spieler aus einem armen Tal im Nordosten des Landes kamen: Im Valle del Chota hatten Jesuiten im 16. Jahrhundert afrikanische Sklaven angesiedelt als Ersatz für die hier ursprünglich lebenden Indigenen, von denen viele an den von den spanischen Kolonialisten eingeschleppten Krankheiten gestorben waren. Sie mussten als rechtlose Arbeitskräfte in den Minen und auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten.

Hat der Erfolg der Fußballer mit proteinreichen Hülsenfrüchten zu tun … 

Heute sind fast alle Bewohner des zwischen den zwei Kordilleren der Anden gelegenen Chota-Tals dunkelhäutige afrodescendientes, darunter der schlaksige Rekordtorschütze Agustín „El Tin“ Delgado, der bullige Verteidiger Ulises de la Cruz und Mittelfeldmotor Édison Méndez; die beiden Letzteren stehen mit über 100 Länderspielen in der Bestenliste der FIFA. Alle haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass Ecuador heute als eine der aufstrebenden Fußballnationen gilt – 60 Jahre nachdem Brasilien 1958 mit einem aus vielen Afrobrasilianern bestehenden Team um den erst 17-jährigen Pelé erstmals Weltmeister wurde.

Sucht man nach Gründen für den Erfolg der Fußballer aus dem Chota-Tal, wird oft angeführt, dass die choteños von kräftigen Sklaven abstammen und daher so athletisch sind. Oder, so eine andere Theorie, liegt es an der im Tal verbreiteten Guandul-Schote, einer grün-gelblichen, besonders proteinreichen Hülsenfrucht, dass die Fußballer von hier so robust und laufstark sind?

… oder vielleicht doch mit der Hoffnung auf ein besseres Leben?

Vermutlich ist die Wahrheit noch einfacher: Ihr Antrieb sei der Wunsch gewesen, aus der Armut auszubrechen und wahrgenommen zu werden, hat Ulises de la Cruz in einem Interview erklärt. „Wir mussten erfolgreich sein, damit wir anerkannt werden.“ Früher habe es viel Rassismus gegeben, so de la Cruz. Mit dem Erfolg der choteño-Kicker sei die „Schranke der Minderwertigkeit“ überwunden worden. Die Anerkennung der Afroecua­dorianer im Fußball hat wohl auch so lange gedauert, weil ihr Anteil an der Bevölkerung vergleichsweise gering ist. Er liegt bei ca. 7 Prozent.

Ecuador liegt mitten auf dem Äquator und ist geografisch, landschaftlich, klimatisch und ethnisch eines der vielfältigsten Länder der Erde, obwohl es für südamerikanische Verhältnisse klein ist. Hier gibt es viele aktive und erloschene Vulkane, denn das Land liegt genau auf der Grenze der beiden tektonischen Platten, aus deren Zusammentreffen sich die Anden gebildet haben.

Doch der Erfolg der futbolistas aus dem Valle hat an den strukturellen Problemen vor Ort kaum etwas ändern können – trotz einiger von Fußballhelden wie Delgado und de la Cruz initiierter Sozialprojekte. Immer noch ist die Chota-Region bitterarm, die Infrastruktur schlecht, und es gibt zu wenig Arbeit. Auch fußballerisch ging es kaum voran: In den letzten Jahren standen nur noch wenige Spieler aus dem Valle im Nationalteam, was auch mit den Problemen auf Vereinsebene zu tun hatte. 2012 wurde etwa der Club Valle del Chota aus dem Spielbetrieb ausgeschlossen.

 

Immerhin: In der U-17-Auswahl Ecuadors sind aktuell wieder drei Jungs aus dem Chota-Tal, wo die Kinder auf staubigen Sandplätzen weiter von einer Profikarriere träumen. Ihr jüngstes Vorbild ist Romario Ibarra. Der 24-jährige Mittelfeldspieler aus der Valle-Provinz Imbabura gab 2017 sein Debüt in der Nationalmannschaft, ein Jahr später wechselte er vom Club Universidad Católica in Quito in die US-amerikanische Major League Soccer. Ein Sprung in die Welt.

Titelbild:  RODRIGO BUENDIA/AFP/Getty Images

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