Die Idee
Dass es in Deutschland bald keine Wehrpflicht mehr geben könnte, davon erzählte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erstmals im „Morgenmagazin“ – und weil damit auch der Zivildienst hinfällig werden würde, stand bereits wenig später die Idee eines Bundesfreiwilligendienstes im Raum, mit dem sich der Wegfall etlicher Pflegekräfte kompensieren ließe. Und damit auch die Frage nach einem entsprechenden Gesetz. Nadine Schön ist mit ihren 27 Jahren eine der jüngsten Abgeordneten im Bundestag. Als Vertreterin der legislativen Gewalt stimmt sie über jedes neue Gesetz mit ab, auch dafür haben ihr die Wähler ihre Stimme gegeben. Und manchmal ist sie auch daran beteiligt, dass ein Gesetz überhaupt zustande kommt.
Die Entwicklung
Gesetze können von der Regierung, dem Bundesrat oder Gruppen von Abgeordneten angeregt werden. Fünf Prozent der Mitglieder des Bundestags sind notwendig, um eine Gesetzesinitiative zu starten, einzelne können es nicht. Die Hälfte aller Gesetzesvorhaben wird von den Ländern und dem Bundestag vorgeschlagen, die andere Hälfte der Ideen kommt von der jeweiligen Regierung – wie im Falle des Bundesfreiwilligendienstes. Nadine Schön sitzt für ihre Partei, die CDU, im „Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“, der sich in den letzten Monaten mit dem Bundesfreiwilligendienst beschäftigt hat. In den Ausschüssen sitzen entsprechend der Stärke der Fraktionen im Bundestag Mitglieder aller Parteien und bereiten die Gesetzesentwürfe zur Abstimmung vor. In einer sogannten ersten Lesung wird der Gesetzesentwurf zur Beratung an den zuständigen Ausschuss geleitet. Meist findet zunächst keine Aussprache statt. Am Anfang traf sich Nadine Schön mit den zwölf anderen Ausschussmitgliedern ihrer Partei. Sie schlug vor, im Gesetz zum Bundesfreiwilligendienst auch die Möglichkeit einzurichten, ein Jahr in politischen Einrichtungen mitzuarbeiten. Das war beim Zivildienst bisher nicht möglich. Schön sieht darin eine Möglichkeit, dass junge Menschen den politischen Betrieb kennenlernen, wenn sie hinter die Kulissen von Parlamenten, Ämtern und Politik-Redaktionen schauen können.
Zusammen mit den Vertretern der anderen Regierungspartei, der FDP, formulierten die Ausschussmitglieder einen Antrag, in dem sich auch zwei Sätze zu diesem Freiwilligenjahr in der Politik finden: „Der geplante Bundesfreiwilligendienst soll analog zum Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) in einer Fülle von Einsatzbereichen möglich sein. Mit dem FSJ Politik greifen bereits einige Bundesländer diesen Gedanken einer größeren Angebotsvielfalt im FSJ auf.“ In ihrem Wahlkreis im Saarland besuchte Nadine Schön den Verein Lebenshilfe und die Stiftung Hospital, um sich mit dem leitenden Personal und Zivildienstleistenden zu unterhalten. Dabei bekam sie den Eindruck, dass die Zivis oft auch Betätigungen übernehmen, die wichtig sind, für die die anderen Pfleger im Alltagstress aber kaum Zeit haben: Im Seniorenheim lasen sie zum Beispiel den Bewohnern aus Büchern vor oder spielten etwas auf dem Klavier. Von den Zivildienstleistenden hörte sie, dass sie den Dienst oft als sehr bereichernd für das eigene Leben empfanden. Aus diesen Erzählungen entwickelte Nadine Schön mit ihren Parteikollegen den Slogan „Tu was für dein Land – tu was für dich“. Jeder Satz im neuen Bundesfreiwilligengesetz sollte sich an dieser Leitidee orientieren.
Die Lobby
An einem Montagmorgen Anfang dieses Jahres bekommt Schön in ihrem Abgeordnetenbüro Besuch von dem Sozialarbeiter Matthias Pletsch. Er arbeitet für einen Verein, der Freiwilligendienste im In- und Ausland anbietet. Mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder dem Freiwilligen Sozialen Jahr im politischen Leben (FSJ Politik) organisiert er bereits ähnliche Angebote, die bald als Bundesgesetz eingeführt werden sollen. Schön befragt Pletsch, wo die Freiwilligen überall eingesetzt werden. Und wie schwer es ist, Freiwillige zu finden, wie man an die Plätze kommt. Am Ende des Gesprächs nutzt der Sozial- arbeiter das Treffen auch für sein Anliegen. Er versucht der Abgeordneten zu erklären, warum es für seinen Verein schwer würde, wenn der neue Bundesfreiwilligendienst mit dem bisherigen FSJ konkurrieren würde. Man nennt das Lobbyismus: Ein Interessenvertreter wirkt auf die Politik ein, um ein Gesetz in seinem Sinne zu beeinflussen. Nadine Schön verspricht, seine Befürchtungen zu berücksichtigen. „Ich brauche die Informationen von den Interessenvertretern“, sagt sie später. Schon ein paar Tage, nachdem bekannt geworden war, dass es bald keinen Zivildienst mehr geben wird, waren die ersten Briefe von Lobbyisten in ihrem Büro angekommen. Das Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas oder die Malteser schrieben ihre Wünsche oder baten um Gesprächstermine. Manchmal wird sie auch auf der Straße von Lobbyisten angesprochen. In Abgeordnetenbüros landen etliche Einladungen zu Lobby-Abenden oder zum gemeinsamen Frühstücken.
Die zweite Lesung
Um alle Interessengruppen zu berücksichtigen, darf jede Partei Sachverständige in den Ausschuss einladen. Schöns Fraktion hat unter anderem Vertreter der Malteser und des evangelischen Diakonischen Werks eingeladen, die Grünen den Vorsitzenden des Bundesarbeitskreises Freiwilliges Ökologisches Jahr und die Linkspartei eine Professorin, die Freiwilligendienste kritisch sieht. Nach der Anhörung muss Nadine Schön beurteilen, welche Vorschläge der Lobbyisten dem gesamten Volk dienen und welche nur einzelnen Gruppen. Darüber wird später im Ausschuss diskutiert, jeder kann noch Änderungen vorschlagen. Beschließt der Ausschuss einen Entwurf, kommt das Gesetz zurück in den Bundestag. In der zweiten Lesung debattieren dann alle 621 Abgeordneten im großen Plenarsaal über den Vorschlag. Es werden Reden und Gegenreden gehalten. Die eigentliche Arbeit findet danach wieder im Ausschuss statt: Die Vorschläge aus der Debatte werden in das Gesetz eingearbeitet. Beim Bundesfreiwilligendienst wird es danach noch eine dritte Lesung im Plenum geben.
Die Abstimmung
Wenn im Frühling über das Gesetz abgestimmt wird, ist für Nadine Schön die Arbeit an dem Dekret beendet. Es ist der vierte Gesetzesantrag, an dem sie seit ihrem Einzug in den Bundestag mitgearbeitet hat. Nach der Verabschiedung im Bundestag muss dann noch der Bundesrat zustimmen. Sollte auch die Länderkammer ihr Okay geben, wird das Gesetz noch ein paar hundert Meter weiter geschickt: ins Schloss Bellevue. Hier residiert der Bundespräsident. Erst wenn Christian Wulff das Gesetz unterzeichnet hat, tritt es in Kraft. Sollte der neue Bundesfreiwilligendienst im Juli 2011 pünktlich eingeführt werden, hätten die Politiker von der Idee bis zur Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt genau neun Monate gebraucht.
Wie ein Gesetz entsteht, erklärt auch die Infografik unter: www.bpb.de/gesetzgebung