Mein Austauschschüler hatte mir mehrere Fotos geschickt, auf manchen war er mit seiner Mutter zu sehen, andere zeigten Tiere und Insekten. Wir wussten nicht so genau, was wir davon halten sollten. Er schrieb uns, dass er am liebsten mit Lego spiele, gern allein sei und Regen möge. Hassen würde er McDonald’s, Shoppen und Lügen. Und auf keinen Fall wolle er in einer Familie wohnen, in der Tiere gequält würden. Das fand ich natürlich gut. Vielleicht war er ja sogar ein Hippie. Als eingefleischter Waldorfschüler hoffte ich darauf.
Guillaume kam zusammen mit seiner Mutter, die ihm die ersten Wochen helfen sollte, sich bei uns einzuleben. Das war keine gute Idee, denn sie stand natürlich immer auf seiner Seite – selbst dann, wenn Guillaume an den leichtesten Aufgaben scheiterte. So fragte sie uns nach einer Woche empört, ob wir ihrem Sohn denn nicht erklärt hätten, wie man die Fenster öffnet. Dabei sind unsere Fenster nun wirklich nicht besonders. Es gibt einen Griff mit drei Stellungen: zu, auf Kipp und sperrangelweit offen.
Guillaume hatte sehr eigenartige Gewohnheiten. So tanzte er manchmal im Garten mit Stöcken in den Händen eine Art Angriffstanz gegen Luftfeinde – wobei wir ihn ganz gern tanzen sahen, denn so saß er wenigstens nicht pausenlos vor seinem Computer. Als ihn meine Freunde in der Schule ansprachen, sagte er, sie sollten ihn nicht nerven.
Ich meine: Ein bisschen eigenartig zu sein ist ja nichts Schlechtes. Ein bisschen eigen möchte, glaube ich, jeder sein. Doch wenn einer zu eigen ist, zu anders, dann grenzt er sich dadurch aus.
Irgendwann entschlossen wir uns, für Guillaume klare Regeln einzuführen. So durfte er nur noch zwei Stunden pro Tag an seinen Computer, die restliche Zeit bewachte meine Mutter den Laptop. Das lief die ersten Tage sogar recht gut, bis wir einen wütenden Anruf aus Frankreich bekamen. Nun reichte es uns endgültig, und wir benachrichtigten die Austauschorganisation. Es wurde uns geraten, den Austausch, der meiner Meinung nach nie stattgefunden hatte, weil wir uns nie ausgetauscht hatten, zu beenden und uns einen neuen Gastschüler zu suchen.
Doch vorher fuhren wir noch zusammen auf eine Klassenfahrt – auf eine Insel. Dort schockte uns Guillaume damit, dass er am Strand irgendwelche Muscheln sammelte und sie dann roh verschlang. Als er mitbekam, dass sich manche Mitschüler in den Nächten rausschlichen und heimlich trafen, meldete er das einem Lehrer. Einer meiner Freunde bekam daraufhin riesigen Ärger mit seinen Eltern. Dass Guillaume der Verräter war, kam erst viel später heraus. Da war er bereits wieder in Frankreich. Zum Glück für ihn, aber auch für uns.