Worum geht’s?
Um den Alltag von Lukas (Levy Rico Arcos), Gino (Rafael Luis Klein-Heßling), Julius (Vincent Wiemer) und Sanchez (Aaron Maldonado Morales), vier Jungs um die 14, die in der Gropiusstadt aufwachsen, einer Plattenbausiedlung im Berliner Bezirk Neukölln: Am Schuleingang kontrollieren Security-Leute die Schulausweise der Schüler*innen, im Klassenzimmer fliegen Stühle. Laufen die Freunde durch den Park, geraten sie in die Prügeleien konkurrierender Jugendgangs, und auch zu Hause erleben manche Gewalt. Den Rekordsommer 2003 verbringen die vier mit Schuleschwänzen, Schnapsklauen und Träumen von neuen Turnschuhen oder Geld fürs Freibad.
Im Mittelpunkt steht Lukas. Er schreibt brillante Aufsätze, schämt sich aber, wenn sein Lehrer ihn lobt. Seine Mutter ist gestorben, im Schulranzen hat er eine Schneekugel mit ihrem Foto; sein Vater und dessen neue Frau wollen Lukas aus der kleinen Wohnung haben. Ärger geht er lieber aus dem Weg, trotzdem wird er immer wieder in welchen reingezogen. Er vertraut nur seinem Bruder Marco (gespielt vom Berliner Rapper Luvre47), der krumme Geschäfte macht. „Der Klügere tritt nach“, rät der. Als Lukas im Park von einem Grasdealer verprügelt wird, soll er Schutzgeld zahlen. Um das zu besorgen, bricht er zusammen mit seinen Freunden in seine Schule ein und versucht, die für den EDV-Unterricht neu angeschafften Computer zu klauen.
Worum geht’s eigentlich?
Um die Trostlosigkeit in sogenannten sozialen Brennpunkten, um Ungerechtigkeit und Potenzial, das ungenutzt bleibt, weil Geld und Förderung durch Eltern oder Lehrer*innen fehlen. Und ums Wegschauen. „Jeden Tag ist was in der Schule, und niemanden interessiert’s“, sagt Lukas, als die Polizei – mit großer medialer Aufmerksamkeit – wegen der gestohlenen Computer ermittelt. Es geht um Gewalt im Klassenzimmer, im Park und zu Hause, die Sehnsucht nach einem besseren Leben und die Freundschaft zwischen den vier Jungs. Lukas und Julius sind an ihrer Schule als Deutsche ohne Einwanderungsgeschichte in der Minderheit, besonders Julius kompensiert das, indem er permanent provoziert. Der Film ist eine Adaption des autobiografischen Romandebüts von Comedian Felix Lobrecht aus dem Jahr 2017. Damals sagte er dem Deutschlandfunk: „In einer Gegend, in der blonde Deutsche in der Minderheit sind, kriegen die natürlich eher auf die Schnauze, weil Minderheiten immer diskriminiert werden in irgendeiner Form.“
Wie wird’s erzählt?
„Sonne und Beton“ ist in einem Moment abgrundtief traurig und berührend, dann wieder wohltuend lustig. Es wird viel geflucht und auf die Straße gerotzt, die Dialoge sind authentisch. Der Soundtrack, unter anderem von den Rapper*innen Azzi Memo, Juju, Lucio101, Luvre47 und Olexesh, die auch im Film zu sehen sind, trägt den Film und gibt seinen schnellen Rhythmus vor. „Sonne und Beton“ nimmt seine Figuren ernst und das nicht nur, weil Lobrecht das Milieu so gut kennt: Er schrieb das Drehbuch zusammen mit dem Regisseur David Wnendt, der für sein Debüt „Kriegerin“ über ein rechtsradikales Mädchen in Ostdeutschland 2012 den Deutschen Filmpreis in Bronze erhielt.
Gut zu wissen:
Felix Lobrecht ist selbst mit seinen Geschwistern bei seinem alleinerziehenden Vater in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Er betonte, sein Roman sei nicht autobiografisch, er habe aber vieles eingearbeitet, was er in seiner Kindheit in der Gropiusstadt erlebt habe. „Es war alles genau so. Vielleicht aber auch nicht“, wird zu Beginn des Films eingeblendet.
Heimlicher Star:
„Gropiusstadt ist offensichtlich einer der Hauptdarsteller in dem Buch und in dem Film“, sagte Felix Lobrecht im Rahmen der Premiere auf der Berlinale. Das vom Bauhaus-Gründer Walter Gropius entworfene Viertel am Rand von Neukölln war eigentlich großzügiger geplant, aus Kostengründen und wegen der Wohnungsnot in Westberlin nach dem Mauerbau wurde dann höher und enger gebaut als vorgesehen. Diese Enge, das will der Film zeigen, befeuert Aggression. „Sonne und Beton“ beschönigt nicht, zeigt finstere Ecken, ist aber auch ein liebevolles Porträt des Viertels und seiner vielen Facetten.
Good Job!
„Sonne und Beton“ ist hervorragend besetzt und gespielt. Für die jugendlichen Hauptrollen wurde bundesweit gecastet, mehr als 5.000 Jugendliche hatten sich beworben oder wurden bei Straßencastings angesprochen (verantwortlich: Jacqueline Rietz). Die vier Schauspieler Levy Rico Arcos, Rafael Luis Klein-Heßling, Vincent Wiemer und Aaron Maldonado Morales spielen so wahrhaftig, mit Timing und Gespür für Humor, dass man nur hoffen kann, sie bald in weiteren Rollen zu sehen.
„Sonne und Beton“ hatte auf der Berlinale Premiere und läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
Titelbild: Constantin Film Verleih