Wäre Musik ein an den Börsen dieser Welt notiertes Gut, kein Broker würde einen Gedanken daran verschwenden, auch nur einen müden Cent zu investieren. Musik ist schon lange nichts mehr wert. Das wissen auch die Unternehmen, die die Musik unter die Leute bringen: Die Verkaufszahlen von CDs befinden sich nach wie vor im Sturzflug, in den USA war 2008 bei 361 Millionen Tonträgern (inklusive der vollständigen digitalen Alben) Schluss, ein Minus von 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000. Glaubt man den Sprechern der Branchenverbände, sind die Schuldigen seit Jahr und Tag bekannt: Die Raubkopierer im Internet, private Filesharer genau wie russische MP3-Raubritter, machen die Musik, die man früher noch mühsam im Laden kaufen »musste«, für jeden immer abrufbar. Musste man wirklich? Illegale Pressungen, sogenannte Bootlegs, waren der Musikwirtschaft immer ein Dorn im Auge und mit der Verbreitung der Kassette war der beste Kopierschutz aller Zeiten, das Vinyl, endgültig geknackt. Nicht ohne Grund hieß es in den 80er-Jahren »Hometaping is killing music«. Piraterie ist keine Erfindung unseres digitalen Alltags. Die Möglichkeiten des WWW haben aber nicht nur entschiedenen Raubkopierern endlich die Plattform geliefert, die sie immer gesucht haben, das Netz ist auch für eine allumfassende Neudefinition des Begriffs des geistigen Eigentums verantwortlich und unterstützt einen Urinstinkt der Menschen.

Warum soll ich für etwas bezahlen, wenn ich es auch umsonst haben kann? Das betrifft nicht nur die Musik, sondern kulturelle Güter und Informationen im Allgemeinen. Tageszeitungen scheitern an Bezahlmodellen ihrer Internetseiten genauso, wie Plattenfirmen an der Kompensation ihrer sinkenden CD-Verkäufe durch legale Downloads à la iTunes oder Musicload. Eingebrockt haben sich dieses Dilemma die Plattenfirmen zunächst einmal selbst: Unverschämt hohe Preise für Tonträger, die gezielte Entmündigung der Konsumenten durch den Kopierschutz für CDs im ersten, und die Kriminalisierung aller Besitzer eines CD-Brenners im zweiten Schritt waren dafür verantwortlich, dass Respekt oder Solidarität für diese Industrie sang- und klanglos verschwanden. Den Musikern war das herzlich egal, denn gekauft wurden CDs weiterhin. Bis das Internet die Karten endgültig neu verteilte.

Heute hat uns die Umsonstkultur fest im Griff und die Kreativen, die, die die Musik komponieren, sind die Verlierer, zumindest ein Großteil von ihnen. Es herrscht ein derartiges Überangebot an Musik im Netz, dass die DSL-Leitung schon kaputt sein muss, damit man sich wieder an Tonträger und Plattenladen erinnert. Denn während illegales Filesharing auf dem Rückzug ist, sind Streamingdienste auf dem Vormarsch. Bands stellen neue Stücke zuerst auf ihrer MySpace-Seite vor und bei Last. fm kann man sich ein unendliches Mix-Tape ganz nach seinen persönlichen Vorlieben zusammenstellen. Die Liste dieser Dienste ist endlos, der Service immer beliebter: Eine Studie aus Großbritannien belegt, dass 65 Prozent der Teenager auf der Insel regelmäßig Musik im Netz hören. Gekauft wird immer seltener. Übel nehmen kann man den Nutzern diese Neuorientierung nicht: Die schnelle Datenleitung ist fast überall preiswert verfügbar und das Angebot weitreichender, als es ein Plattenladen jemals bewerkstelligen könnte. Der Status quo: Alle hören, kaum einer zahlt. Der entscheidende Faktor ist nicht mehr, etwas zu besitzen, sondern den Zugang dazu zu haben. Für die Fans ist das mehr als bequem, für viele der Musiker hingegen der Vorbote zum Gang zum Arbeitsamt.

Warum? Der alte Dreisatz des Musikers mit Plattenvertrag ging so: Tantieme aus CD-Verkäufen + Geld aus Radio-Einsätzen + Konzertgagen = Miete. CDs sind heute in dieser Gleichung immer unwichtiger, das Abrechnungsprinzip von Dienstleistern wie Last.fm für das Streamen von Musik ist undurchsichtig und bewegt sich ohnehin im Dschungel einer kaum nachzuvollziehenden Mikroökonomie. Gleichzeitig nutzen Anbieter von legalen Downloads jede erdenkbare Möglichkeit, um sich um Abgaben an die Verwertungsgesellschaften wie die GEMA zu drücken. Geld, das beim Kauf eines MP3s fällig wird und dem Künstler zusteht, wird entweder gar nicht gezahlt oder auf dubiosen Sperrkonten geparkt, bis sich die Dienstleister mit den europäischenVerwertungsgesellschaften auf ein Abrechnungsmodell geeinigt haben. Was soll denn das ganze Gejammer werden jetzt viele schreien, die Konzerte sind doch alle voll! Stimmt. Und genau hier liegt der Hund begraben. Denn nicht alle Bands können den finanziellen Verlust durch geringere Plattenverkäufe durch mehr Konzerte kompensieren. Die Konkurrenz wird größer, Klubs bestimmen die Gagen oder verlangen sogar Geld von den Bands, wenn die spielen wollen. Das klingt unfair, ist aber noch viel dramatischer. Die neue Realität des Onlineüberangebots dreht dem musikalischen Mittelstand den Hals um. Die Bands, die in den Stadien der Welt spielen, werden auch weiterhin reich sein, Platten verkaufen, Videos drehen, glücklich sein. Die Musiker jenseits der Top Ten aber werden auf den geschäftlichen Neustart zurückgeworfen. Ihre Chance, und damit schließt sich derKreis: das Internet. Direkte Kommunikation jenseits der Grabbeltisch-Seiten wie MySpaceerfordert zwar mehr Arbeit, ermöglicht aber nicht nur die Weitergabe von Informationen, sondern auch den direkten Verkauf von Tonträgern. Ohne großes Label im Hintergund,ohne traditionellen Vertrieb und ohne etablierte Plattenläden können Bands ihre Produkte preisgünstig anbieten und müssen darüber hinaus keine Rücksicht nehmen auf lästige Standards z. B. bei der Verpackung, müssen keine Mittelsmänner mehr zufriedenstellen,damit das Produkt am Ende für zu viel Geld im Laden steht. Kein Wunder, dass die Schallplatte seit Jahren wieder im Aufwind ist. Hier bekommen die Fans die in Vinyl gepresste und mit dicker Pappe umhüllte Antithese zur Krise. Einen Fetisch, den man in Ehren hält, ein Produkt, das endlich wieder dem angemessen ist, um das es eigentlichgeht bei der Musik: Herzblut.

Thaddeus Herrmann (37) schreibt auch für das Magazin De:Bug. Er gründete mit seinem Kollegen Shlom Sviri 1998 (also in einer Zeit, als noch nicht so viel runtergeladen wurde) das Label City Centre Offices, auf dem die beiden leicht melancholische elektronische Musik veröffentlichen.