Adidas hätte es besser wissen müssen. Schon als Collegespieler hatte Michael Jordan gezeigt, dass er einmal ein herausragender Basketballspieler werden würde. Als der gebürtige New Yorker dann in die Profiliga der National Basketball Association (NBA) wechselte und einen Ausrüster suchte, hätte er gern bei Adidas unterschrieben – doch Nike machte das bessere Angebot. „Die Schuhe hatten mir nie gefallen. Aber Nike wollte den Markt revolutionieren. Und Nike hat mich in einen Traum verwandelt“, schrieb Jordan später in seiner Biografie.
Nie zuvor hatte ein Unternehmen sein Marketing so stark auf einen einzelnen Sportler zugeschnitten. Jordan erhielt seine eigene Schuhlinie, sein eigenes Logo, tauchte als übermenschlicher Sportheld in Werbespots und auf Plakaten auf und trug so dazu bei, dass sich Nike zu einem der größten Sportartikelhersteller der Welt entwickelte. Bis zu seinem Karriereende 2003 verkaufte Nike Jordan- und Bulls-Artikel für mehr als 3,1 Milliarden Dollar. Jordan selbst häufte ein Vermögen von mehr als 400 Millionen Dollar an.
Es sind solche extremen Beispiele, deretwegen Kritiker immer wieder von der Kommerzialisierung des Sports sprechen. Sie vergessen, dass Sport heute ein wichtiger Wirtschaftsbereich ist, dessen Anteil am Bruttosozial-produkt in Deutschland in den vergangenen Jahren regelmäßig bei 1,8 Prozent lag. Nicht nur Ticketerlöse, sondern auch Fernsehrechte, Sponsorengelder, Merchandising und Lizenz-einnahmen tragen dazu bei.
Diese Verflechtung mit der Wirtschaft ist eine Folge gesellschaftlicher Veränderungen, die in den 1970er-Jahren einsetzten. Der Wohlstand in den westlichen Industriestaaten wuchs, die Arbeitszeiten sanken, die Freizeitausgaben stiegen. Mit Jogging und Aerobic entstanden massentaugliche Trendsportarten. Durch professionelle Vermarktung und das Privatfernsehen explodierten in den 1980er-Jahren die Einnahmen in populären Zuschauersportarten. Gaben Firmen 1985 in Deutschland noch 77 Millionen Euro für Sportsponsoring aus, so werden es in diesem Jahr 2,7 Milliarden Euro sein. 1983 erwirtschaftete die NBA mit Merchandising 44 Millionen Dollar – 13 Jahre später waren es 3,1 Milliarden Dollar.
Von diesem Geld leben nicht nur Spitzensportler, sondern auch Angestellte bei Sportartikelherstellern oder in den Vereinen. Aber nur außergewöhnliche Talente können im Sport auch außergewöhnlich viel verdienen. Die Schweizer Soziologen Markus Lamprecht und Hanspeter Stamm bezeichnen den Spitzensport deswegen als Siegermarkt, in dem die Besten überproportional mehr einnehmen als der Durchschnitt. So sagte ein Teamkollege des österreichischen Skistars Hermann Maier, der früher jährlich rund zehn Millionen Euro verdient haben soll, einmal lakonisch: „Wir sind nur ein Zehntel langsamer als Maier – und verdienen deshalb auch nur ein Zehntel dessen, was er bekommt.“
Als der moderne Sport im 19. Jahrhundert in England erfunden wurde, galt es noch als verpönt, damit Geld zu verdienen. Sport sollte eine zweckfreie Übung in Fair Play sein. Dieses Ideal war nicht so edel, wie es klingt. Denn nur eine dünne Oberschicht konnte es sich erlauben, Sport als Spiel und Zeitvertreib zu sehen. Die Amateurregel diente dazu, die unteren Klassen auszuschließen, die durch ihre körperliche Arbeit fit genug waren für den Wettkampf. So durften zum Beispiel Fährleute nicht an Ruderwettbewerben teilnehmen – die Gentlemen hätten sich sonst blamiert. Dieser Amateurgedanke sorgte noch lange Zeit für Streitigkeiten. So wurde 1972 der österreichische Skifahrer Karl Schranz von den Olympischen Winterspielen ausgeschlossen, weil er Werbung für Kaffee gemacht hatte – eine willkürliche Entscheidung, schließlich durften andere Athleten starten, obwohl sie schon längst als „wandelnde Litfaßsäulen Werbung für Adidas und Puma machten“, sagt der Medienwissenschaftler Christoph Bieber, der in seinem Buch Sneaker-Story den Zweikampf zwischen Adidas und Nike nachzeichnet.
Heute sind Spitzensportler Teil der Unterhaltungsindustrie. An ihrer Aura wollen nicht nur Sportartikelhersteller, sondern auch andere Branchen teilhaben. So hat Golfspieler Tiger Woods, der bestverdienende Sportler der Welt, nicht nur Verträge mit Nike, sondern auch mit Gillette, dem Uhrenhersteller TAG Heuer, der Kreditkartenfirma American Express und vielen weiteren Unternehmen. Seine Werbeeinnahmen sollen bei 80 Millionen Dollar liegen und übersteigen seine Preis- und Antrittsgelder damit um das Drei- bis Vierfache. „Für viele Sponsoren sind Sportler Leitfiguren, die Werte wie Leistungsbewusstsein und Selbstdisziplin verkörpern“, sagt Florian Riedmüller, Professor für Sportmarketing und -kommunikation an der Fachhochschule Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Abhängigkeit, die dadurch entsteht, ist vielen Sportlern durchaus bewusst. So weigerte sich Michael Jordan bei den Olympischen Spielen 1992, bei der Siegerehrung die Kleidung des Teamausrüsters Reebok zu tragen, als er mit dem amerikanischen Basketballteam die Goldmedaille gewann. Schließlich gab er nach, verdeckte dann aber die Reebok-Logos mit einer amerikanischen Flagge. „Gegen die amerikanische Fahne kann ja wohl niemand etwas haben, oder?“, war sein Kommentar.
Nike trieb die Verflechtung noch einen Schritt weiter und schuf sich selbst den Sportler, der für die Firma werben sollte. Das Unternehmen engagierte den kenianischen Mittelstreckenläufer Philip Boit und schickte ihn nach Finnland, wo er sich für die Olympischen Winterspiele 1998 in Nagano vorbereiten sollte. Anfangs erlitt Boit Erfrierungen, verlor auf Skiern die Balance und landete manchmal an einem Baum – Nike hielt das Training für die Nachwelt fest. Schließlich qualifizierte sich Boit für den Langlauf über zehn Kilometer und kam in Nagano als Letzter ins Ziel. Doch gelohnt hatte sich sein Einsatz trotzdem. Die Zuschauer liebten die Geschichte des afrikanischen Skiläufers.
Dass eine Firma einen Sportler eigenständig auf einen Wettkampf vorbereitet, sorgte für Diskussionen um die Frage, wie weit der Einfluss reichen darf. Der Fall zeigt aber auch, worauf die wirtschaftliche Bedeutung des Sports beruht: am Interesse des Zuschauers, der von der Kommerzialisierung profitiert. Geld, das durch Vermarktung in den Sport fließt, ermöglicht es Sportlern, professionell zu trainieren und neue Rekorde aufzustellen, und Fernsehsendern, den Wettkampf für ihre Zuschauer spektakulär in Szene zu setzen.
Allerdings gilt das nur für Teile des Sports. „Die Vermarktungschancen hängen von der öffentlichen Aufmerksamkeit ab, die ein Sportler auf sich ziehen kann“, sagt der Berliner Philosoph Gunter Gebauer, „und die hängt nicht nur von Rekorden, sondern auch von der Sportart und der Persönlichkeit des Sportlers ab.“ Weniger begabte Profis, Athleten in Randsportarten und mit geringerem Vermarktungsgeschick sind auf staatliche Förderung angewiesen oder haben weit geringere Einnahmen. Der Bobfahrer André Lange, der bei Olympischen Spielen drei Goldmedaillen gewann, ist Sportsoldat. Die besten deutschen Volleyballspieler verdienen im Durchschnitt 3500 Euro pro Monat – und Ersatzspieler nur die Hälfte.