Ein paar Zentimeter können die Abendplanung zunichtemachen. „Manchmal reicht eine einzige Stufe“, sagt Dunja Fuhrmann und deutet auf die Kante am Eingang eines Lokals in der Saarbrücker Altstadt. „Ich schaffe das, aber ältere Rollstuhlfahrer können das ohne Hilfe vergessen“, so die 35-Jährige. Doch auch wer mit Rollstuhl in die Kneipe gelangt, kann dort nicht unbedingt entspannt den Abend verbringen – denn das Klo ist oft im Keller.

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Dunja Fuhrmann hat viel trainiert, um selbst das fieseste Kopfsteinpflaster zu bezwingen. Nicht alle sind so fit (Foto: Michael Hudler)

Dunja Fuhrmann hat viel trainiert, um selbst das fieseste Kopfsteinpflaster zu bezwingen. Nicht alle sind so fit

(Foto: Michael Hudler)

„Spontan zu sein ist schwierig für Rolli-Fahrer“, erzählt Fuhrmann. Zwar hilft das Projekt Wheelmap dabei, die nächste barrierefreie Kneipe zu finden, doch gibt es in vielen Städten ganze Viertel ohne eine Behindertentoilette. Und im größten Saarbrücker Kino ist pro Saal nur ein einziger Platz für Rollstuhlfahrer vorhanden. „Das ist bescheuert“, ärgert sich Fuhrmann, mit ihren Rolli-Freunden kann sie deshalb nicht ins Kino gehen.

Es sind solche Ungerechtigkeiten, die sie dazu gebracht haben, sich zu engagieren – zusätzlich zu ihrem Job als Sozialarbeiterin im Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. und als Gesamtbehin­dertenbeauftragte der Stadt Saarbrücken. In dieser Funktion besucht sie Stadtrats- und Bauausschuss­sitzungen und hakt dort nach, wo die Belange von Menschen mit Behinderung zu kurz kommen. Wie beim Umbau des St. Johanner Markts, einem Platz voller Kneipen in der gemütlichen Saarbrücker Altstadt. Die Stadt überlegt, dort wieder neues Kopfsteinpflaster zu verlegen. Das Problem des Belags ist dessen grobe Oberfläche: Sie bringt alte Menschen zum Stolpern und verlangt Rollstuhlfahrern viel Kraft ab. „Die Erschütterungen spürst du im ganzen Körper. Sie können Muskelverkrampfungen auslösen“, erklärt Fuhrmann. Außerdem beschädigt das Pflaster den Rollstuhl.

Dabei gäbe es Alternativen. Statt grober Steine könnte die Stadt mit der Steinsäge zugeschnittene Quader verlegen – wie in Mainz: Der neue Boden in der Altstadt sieht dort so aus wie bisher, behindert aber Rollstuhl-, Rollator- und Radfahrer nicht mehr. In Aschaffenburg wurden stolperfreie „Komfortstreifen“ auf dem Pflaster angebracht.

Dunja Fuhrmann fordert nicht mehr als etwas Selbstverständliches

Doch die Verantwortlichen in Saarbrücken zögern. Die Baudezernentin sei von dem Vorschlag „nicht begeistert“, erzählt Fuhrmann. „Ich habe das Gefühl, dass man uns Behinderte oft nur als Nörgler wahrnimmt“, sagt die Aktivistin. Dabei fordere sie etwas Selbstverständliches: dass die Stadt niemanden benachteiligt. Von einer „schwierigen Gemengelage“ spricht Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer mit Blick auf die anstehenden Bauarbeiten rund um den St. Johanner Markt. Man müsse verschiedene Interessen unter einen Hut bringen – neben der Barrierefreiheit etwa den Denkmalschutz.

Und es gibt ja auch Erfolge. So hat der Besitzer eines beliebten Biergartens am Ufer der Saar ein Behindertenklo aufgestellt. Und beim Saarbrücker Filmfestival Max-Ophüls-Preis gibt es jetzt eine Behindertentoilette und eine Rampe, die ins Kino führt. Fuhrmann hatte bei der Eröffnung des Filmfests im letzten Jahr genau das eingefordert. „Das Witzige ist, dass die meisten Leute über die Rampe gegangen sind und nicht über das holprige Pflaster.“

Die Beine von Dunja Fuhrmann sind gelähmt, seit sie mit 15 Jahren nach einem Zeckenbiss eine ­Rückenmarkserkrankung aufgrund eines genetischen Defektes erlitt. Doch von Anfang an wollte die zierliche Frau selbstständig sein und übte, Bordsteine und Treppenstufen zu erklimmen; ihre Oberarme, auf denen heute Tattoos prangen, wurden kräftiger. Schließlich gelang es ihr sogar, auf den Hinterrädern balancierend selbst das fieseste Kopfsteinpflaster zu bezwingen. „Ich bin ein paar Mal nach hinten gestürzt, bis ich raushatte, wie das geht“, erzählt Fuhrmann amüsiert. Anstrengend ist es trotzdem. „Ich lasse mich nicht einschüchtern.“

Fabian Scheuermann ist Volontär bei der Bundeszentrale für politische Bildung