Irgendwann wurde die Hysterie grotesk. Dominique Ansel, ein in Frankreich geborener und in New York lebender Bäcker, kam auf die Idee, ein Gebäck aus Plunderteig, wie es in seiner Heimat höchst beliebt ist – die Rede ist vom Croissant –, in eine Fritteuse mit Traubenkernöl zu schmeißen, eben wie einen Donut, der in seiner Wahlheimat ungemein geschätzt wird. Geboren war der Cronut.

Als der Food-Blog „Grub Street“ über diese interkontinentale Kalorienbombe berichtete, zerbarsten alle Dämme. Tout New York wollte den neuen Edeldonut, den es nur in sehr kleiner Stückzahl gab, weil er so aufwendig herzustellen war. Ab Sonnenaufgang bildeten sich Schlangen vor dem Laden, verzweifelte Anrufe gingen beim Bäcker ein, Unternehmen schickten ihre Praktikanten zum Anstehen. Als Ansel den Verkauf auf zwei Stück pro Kunde limitierte, entstand ein Schwarzmarkt. Bis zu 100 Dollar wurde für ein Teilchen des Fettgebäcks gezahlt. Irgendwann, als sich die Ersten schon um drei Uhr morgens vor der Bäckerei einfanden, machte ein Foto viral die Runde, das zwei junge Frauen zeigt, die im Müll nach aussortierten, verkohlten oder verformten Cronuts wühlten.

Wie um alles in der Welt kann so etwas passieren? David Sax, Journalist unter anderem für die „New York Times“ und preisgekrönter Sachbuchautor, hat sich an einer Erklärung versucht. Sie wurde 354 Seiten lang und heißt „Tastemakers“ – eine systematische wie unterhaltsame Untersuchung, wie heute Essenstrends entstehen.

Natürlich gab es die schon immer. Manche sind flüchtig – das Fondue chinoise in den 1970er-Jahren. Andere beständig – der Espresso. Mit zunehmendem Wohlstand, schreibt Sax, wurde Essen immer mehr zum Modeartikel, Statussymbol und Machtinstrument. Längst sei es ein Stück Popkultur mit den entsprechenden Wellen der Hysterie, die durch die sozialen Netzwerke rasant beschleunigt werden.

Umsatzverdopplung nach „Sex and the City“

Sax unterscheidet vier Arten von Foodtrends. Es gibt kulturelle Trends, etwa der Cupcake. Nachdem er 20 Sekunden in einer Folge der Fernsehserie „Sex and the City“ vorkam, hat sich der Absatz des Gebäcks in Amerika von 2008 bis 2012 um 56 Prozent gesteigert. Es gibt landwirtschaftliche Trends, etwa wenn neue Produkte auf den Markt kommen. Beispielsweise die Reissorte „China Black“, die pro Kilo 1.000 Dollar kostet. Andere Trends werden von Köchen initiiert. Warum erst koreanisches und jetzt peruanisches Essen so beliebt ist, geht auf einzelne Pioniere am Herd zurück. Und schließlich sind da die gesundheitlichen Trends. Dazu gehört das heute so erfolgreiche wie umstrittene Superfood, dem Sax das interessanteste Kapitel widmet.

Mit Granatapfelsaft könne man dem Tod ein Schnippchen schlagen, verspricht der Hersteller

Der Begriff selbst ist relativ neu. 1998 brachte ihn der amerikanische Ernährungsjournalist Aaron Moss in Umlauf, als er damit Lebensmittel bezeichnete, die einen hohen Nährstoffreichtum aufweisen. Seither hat das Wort eine steile Karriere als Marketingbegriff hingelegt. Warum? In einer komplexen und hyperoptionalen Welt der Diät- und Nahrungstrends, so Sax, biete es eine ebenso attraktive wie einfache Erklärung. Wenn du Chia/Goji/Acai etc. isst, wirst du gesund, schön und glücklich.

Der Markt für „Functional Food“, so definiert die Lebensmittelindustrie Nahrungsmittel mit angeblichem gesundheitlichen Nutzen, lockt mit großen Margen. Als Kellogg’s behauptete, dass ihre ballaststoffreichen Cornflakes „All-Bran“ das Krebsrisiko senken könnten, stiegen die Marktanteile um 50 Prozent. Das war 1984. Heute sei es nicht anders, schreibt Sax. Im Gegenteil. Planen Konzerne, neue Superfood-Produkte auf den Markt zu bringen, beauftragen sie universitäre Forschungseinrichtungen mit aufwändigen Studien. Deren Ergebnisse allerdings drehen und wenden sie dann oft, und es wird unübersichtlich. Am Ende stehen verwirrende und weit hergeholt erscheinende Werbeversprechen, auch wenn längst nicht alle so dreist sind wie das des Granatapfelsaft-Herstellers Pom, der meinte, man könnte mit dem Kauf seiner Produkte dem Tod ein Schnippchen schlagen.

Für Wissenschaftler ist kein Lebensmittel herausragend

Gar nicht glücklich darüber, dass Lebensmittel wie Medikamente vermarktet und entsprechend teuer verkauft werden, sind indessen viele unabhängige Wissenschaftler, die bei Sax zu Wort kommen. Etwa Marion Nestle, eine Celebrity im Bereich der Lebensmittelpolitik (und nicht verwandt mit dem Schweizer Ernährungsmulti mit dem Accent auf dem e). Für Wissenschaftler sei kein Lebensmittel herausragend, sagt sie. Würden doch sämtliche frischen und nicht verarbeiteten Lebensmittel zahlreiche Nährstoffe enthalten – wenn auch in unterschiedlichen Anteilen. Praktisch alle Obst- und Gemüsesorten enthielten zum Beispiel Antioxidantien, mit denen Superfoods oft beworben werden, deren gesundheitsfördernde Wirkung jedoch gar nicht belegt ist.

Das ist vielleicht das Beste an diesem Buch: Am Ende ist man skeptisch, genau genommen superskeptisch – nämlich auf alles, was verspricht, dass es schön, gesund, schlank und fit machen soll. Und man fragt sich, warum Ernährung nicht schon längst ein Schulfach ist.

Felix Denk ist Redakteur bei fluter.de. Er hat noch keinen Cronut gegessen, aber ziemlich lang nach handgemachten Croissants in Berlin geforscht. Ziemlich toll sind die von Du Boheur und dem Salon Sucre. Und für die muss man nicht mal anstehen.