Als der Hurrikan „Harvey“ neulich in Houston wütete, kam Melania Trump auf High Heels nach Texas und prompt tobte ein riesiger Shitstorm. Schauen wir manchmal zu viel auf die Nebensächlichkeiten?
Ein erster Impuls wäre, zu sagen: Was soll’s. Eigentlich soll es in der Politik um wichtige Dinge gehen: Umverteilung, soziale Gerechtigkeit, Sicherheit, wie hoch sollen die Steuern sein. Warum unterhalten wir uns in einer Krisensituation also über High Heels? Ist das nicht total trivial? Klar ist es das, aber: Das Triviale ist in der Demokratie nicht trivial. Weil es uns etwas über den Massengeschmack und Massengefühle sagt, und die sind in einer Demokratie entscheidend. Alexis de Tocqueville sagt: Was mehrheitsfähig ist, ist mittelmäßig. Wir müssen uns auch über diese Mittelmäßigkeit unterhalten.
„Wir sind normale Menschen, mit Macken und Fehlern, unsere Gewohnheiten heben sich gar nicht von euren ab, wir essen das, was ihr esst“
In Ihrem Buch untersuchen Sie Gesten, Worte, Orte und Rituale der Demokratie. Da geht es unter anderem um Aufsitzrasenmäher, Milbenkäse, Inkontinenzwindeln und Zwergschnauzer. Dabei sind Sie als Politikwissenschaftler ja für theoretische Tiefenbohrungen zuständig. Hören Sie manchmal: Das ist aber oberflächlich?
Das denken bestimmt viele, aber man bekommt das nicht so ins Gesicht gesagt. Die Gefahr ist immer da, dass man für die Trivialitäten zuständig ist. Aber das Argument ist ja, dass uns das was Substanzielles sagt. Wenn das nicht eingelöst wird, habe ich was falsch gemacht.
Wenn Politiker im Wahlkampf immer öffentlich Bratwurst essen, dann können wir daraus etwas über die Demokratie lernen?
Ja, das glaube ich. Wir leben ja in einer repräsentativen Demokratie. Es gibt Abgeordnete, die für uns im Bundestag sitzen und für uns Entscheidungen treffen sollen. Da gibt es einen eingebauten Verdacht, den populistische Parteien thematisieren, nämlich: Die sind abgehoben, die gehören gar nicht zu uns, die schmoren im eigenen Saft, abgekoppelt von unseren Sorgen und Nöten. Das muss einerseits materiell beantwortet werden. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass es eine Lösungskompetenz gibt für die Probleme. Und es muss symbolisch beantwortet werden: Wir sind normale Menschen mit Macken und Fehlern, unsere Gewohnheiten heben sich gar nicht von euren ab, wir essen das, was ihr esst. Wir kleiden uns auch so, wie ihr euch kleidet.
Gibt es deshalb gerade die programmatisch unrasierten Politiker wie Christian Lindner oder Guttenberg?
Ich weiß nicht, ob da ein Inszenierungsinteresse dahintersteht. Bei dem Begriff der Inszenierung bin ich überhaupt vorsichtig, da schwebt ein Verdacht mit, dass das alles nur Show sei – und irgendwo im Hinterzimmer findet dann die richtige Politik statt. Das klingt nach Fassadendemokratie. Diese Art von Vorwurf möchte ich nicht bedienen. Im Gegenteil. Ich spreche ja von der Ökonomie der Darstellung der Politik. Bei Lindner – klar, der hat sich einen Pop-Fotografen rekrutiert, der ihn ins rechte Licht setzen sollte. Er und Guttenberg sprechen andere Wählergruppen an als vielleicht Martin Schulz, auch eine andere Alterskohorte, und treten deshalb weniger steif auf, machen eher ein bisschen auf Popstar.
„Das Nüchterne, die Pragmatik, die Behauptung, eigentlich keinen inszenatorischen Stil zu haben, ist ein eigener inszenatorischer Stil“
Vor drei Jahren erschien im „New Yorker“ ein Porträt der Bundeskanzlerin Angela Merkel. George Pecker, der Autor, beschreibt Merkel, wie sie im Bundestag über die Ukraine-Krise spricht und mit gedämpfter Stimme vom Teleprompter abliest. Der erste Absatz endet mit: „Angela Merkel, the Chancellor of the Federal Republic of Germany and the world’s most powerful woman, is making every effort not to be interesting.“ Ist Auffallen etwas Gefährliches geworden?
Interessante These. Ich glaube, sie trifft zu. Zumindest für Deutschland und auch Skandinavien. Hier gehört es zum guten Ton, nicht aufzufallen, eher ein low profile zu pflegen. Das hat natürlich auch was mit der deutschen Geschichte zu tun. Die ganze Ästhetik, die der bundesdeutsche Staat sich auferlegt hat, ist eine, bei der der Ball flach gehalten wird. Ganz anders etwa als Macrons Versailles-Inszenierung mit dem ganzen neoimperialen Pomp. In Frankreich kann man das machen, in Deutschland eigentlich nicht. Das Nüchterne, die Pragmatik, die Behauptung, eigentlich keinen inszenatorischen Stil zu haben, ist ein eigener inszenatorischer Stil.
Das demonstrative vorzeitige Verlassen von Talkshow-Runden geht da aber in eine andere Richtung.
Ja, das ist so eine neue Geste, das hat der Bosbach gemacht, dann die Weidel, woraufhin der Bosbach gesagt hat, das sei ja nur ein billiger Abklatsch. Bislang saßen die Leute – wenn auch nicht friedlich, aber doch bis zum Ende der Sendung – beisammen und haben eine Unterhaltung simuliert. Mal sehen, ob das jetzt Schule macht. Es untergräbt natürlich das Format.
Was hat man denn davon, wenn man rausgeht?
Frau Weidel konnte ihre Partei als Medienopfer stilisieren, was in der Vergangenheit teilweise auch berechtigt war, die AfD hat ja extrem Gegenwind erfahren. Und sie hat das mit einer programmatischen Position verbunden: Die haben gesagt, das sei ein weiterer Grund, die Rundfunkgebühren nicht zu zahlen. Für die Anhängerschaft ist das sicher mobilisierend.
Aufmerksamkeitsökonomisch gedacht ein gelungenes Manöver.
Das ist fast ironisch: Jetzt wird man mal eingeladen, jetzt hat man mal eine Öffentlichkeit, und dann geht man wieder raus.
„Was da dauernd versucht wird, ist eine maximale Zustimmungsfähigkeit zu erreichen, das zielt auch auf das Nebensächliche“
Sie untersuchen in Ihrem Buch auch die politische Sprache, in der suggestive Wörter dominieren, die keinen Gegenbegriff zulassen: bunt oder tolerant etwa. Haben wir verlernt zu streiten?
Die Mechanismen des politischen Wettbewerbs sind weniger auf den Streit ausgerichtet als auf die Vermeidung des Streits. Da geht es um Mehrheitsfähigkeit und maximale Zustimmungsfähigkeit. Die führen dazu, dass die eigene Position so formuliert ist, dass die Gegenposition gar nicht möglich ist. Das kann man natürlich auf das Symbolische erweitern. Was da dauernd versucht wird, ist eine maximale Zustimmungsfähigkeit zu erreichen. Das zielt auch auf das Nebensächliche.
Aber ist der Streit nicht das Wesen der Demokratie?
Das stimmt natürlich. Aber meine Analogie wäre die Marktwirtschaft. Generell würde man sagen, die funktioniert über den Wettbewerb. Und der funktioniert über Preise. Wenn man genauer hinguckt, merkt man, dass Unternehmen die ganze Zeit versuchen, diesem Wettbewerb auszuweichen, indem sie Produkte schaffen, die so einzigartig sind, dass sie sich dem Preiswettbewerb nicht stellen müssen. So ist das auch im politischen Wettbewerb. Man versucht den Streit zu unterlaufen, weil die eigene Position als fraglos gelten soll. Wer ist schon gegen soziale Gerechtigkeit, Frieden, Vollbeschäftigung? Wenn man all seine Positionen so formuliert, dann gräbt man aber der Gegenposition, die im Ziel ja gar nicht unterschiedlich ist, in der Wahl der Mittel das Wasser ab.
Was war für Sie denn die zentrale Nebensächlichkeit dieses Wahlkampfs?
Angela Merkels Kartoffelsuppen-Rezept und Christian Lindners Karriere als Thermomix-Vertreter. Plötzlich ging der Wahlkampf Richtung Kochshow.
Philip Manow ist Professor für Politikwissenschaft und unterrichtet an der Universität Bremen. Mit seinem Buch „Die zentralen Nebensächlichkeiten der Demokratie. Von Applausminuten, Föhnfrisuren und Zehnpunkteplänen“ (Rowohlt) hat er ein Lexikon der politischen Gesten und Rituale geschrieben, das so unterhaltsam wie lehrreich ist.
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