Takis Würger beginnt seinen Debütroman „Der Club“ mit einem Monster von Satz: „Im südlichen Niedersachsen liegt ein Wald, der Deister, darin stand ein Haus aus Sandstein, in dem früher der Förster gewohnt hatte und das durch eine Reihe von Zufällen und den Kredit einer Bank in den Besitz eines Ehepaares kam, das dort einzog, damit die Frau in Ruhe sterben konnte.“ Wer den Autor und „Spiegel“-Reporter Takis Würger schon einmal persönlich getroffen hat, hört das „Bam!“, das er nach diesen 49 Worten rufen würde.
Mit ähnlichem Tempo geht es auf den folgenden knapp 240 Seiten voran. Auf Seite 12 prügelt sich die Hauptfigur, der 13-jährige Hans, in der Schule, und sein Vater schenkt ihm ein Paar Boxhandschuhe. Auf Seite 19 sind die Eltern von Hans tot. Auf Seite 21 steckt er schon in einem Jesuiteninternat im Bayerischen Wald, in das ihn seine Tante und Erziehungsberechtigte Alex geschickt hat. Auf Seite 33 bittet ihn diese an der Uni Cambridge lehrende Tante, dort zu studieren und sich in den Pitt Club einzuschleichen: eine elitäre Studentenverbindung (in der aber geboxt statt gefochten wird). Hans soll für sie dort ein Verbrechen aufklären. Acht Seiten später ist er auch schon auf dem Campus. Bam, bam, bam.
Ist ja Klasse: Er kommt in eine Klassengesellschaft innerhalb der Klassengesllschaft
Hans kommt kaum hinterher, das alles zu verarbeiten. Er gibt sich die Schuld am Tod seiner Eltern, seine erste Liebe, ein Zirkusmädchen, verschwand nach zwei Wochen, ohne sich zu verabschieden, und von seiner Tante, die ihn nach dem Tod seiner Eltern nicht aufnahm, fühlt er sich im Stich gelassen. Bis er nach Cambridge geht, ist er fast allein auf der Welt. Er sucht nur einen Freund, mit dem er ein Bier trinken kann. Stattdessen landet er an der Elite-Uni und schafft es dort tatsächlich in den Pitt Club und den noch geheimeren Club im Club: zu den „Schmetterlingen“, die Champagner aus Pokalen trinken und Frauen K.-o.-Tropfen in die Drinks kippen. Hans muss sich entscheiden, wie lange er wartet, bis er sich als Verräter outet.
In Großbritannien unterscheiden sich die sozialen Schichten stärker als in anderen europäischen Ländern. Dieses Klassensystem beginnt schon in der Schule. Knapp die Hälfte der Studienplätze im Jahr vergeben die Elite-Unis Cambridge und Oxford an Privatschüler, obwohl diese nur sieben Prozent aller Schüler ausmachen. In „Oxbridge“ halten Dining Clubs und Drinking Societies, die nur ausgewählten Studenten Zutritt gewähren, innerhalb dieser ohnehin elitären Schicht eine weitere Klassengesellschaft aufrecht.
Takis Würger erzählt nicht nur aus der Perspektive von Hans, sondern auch aus der anderer Figuren – und passt dabei immer auch den Erzählton an. Würgers journalistische Reportagen zeichnen seine sinnliche Sprache und starken Bilder aus. Auch sein erster Roman ist so geschrieben, lakonisch und mit einer Detailverliebtheit, die manchmal irritiert, aber oft bezaubert: etwa wenn Hans sich erinnert, wie ihn die Jungs in der Schule ausgelacht haben, als er sagte, dass sich die Nackenhaare bei Mädchen manchmal wie Zuckerwatte kräuseln.
Erzählt mit einer manchmal etwas irritierenden Detailverliebtheit
Wie Hans sieht und hört Takis Würger sehr genau hin, und es gibt noch mehr Parallelen. Auch der Autor wurde im südlichen Niedersachsen geboren. Mit 28 hat er sich beim „Spiegel“ beurlauben lassen, um in Cambridge zu studieren und zu boxen, und er ist unter anderem Mitglied im Pitt Club, den es auch in Wirklichkeit gibt.
„Der Club“ ist Coming-of-Age- und Liebesgeschichte, Krimi, Box- und Campusroman in einem, und beim Lesen wäre man in jeden Strang der Geschichte gerne noch tiefer eingetaucht. Bevor man weiß, ob Hans am Ende aufklärt, was mit den Frauen im Pitt Club passiert, und er einen Freund zum Biertrinken findet, will man das Buch nicht zuklappen. Höchstens um über den Stoffeinband zu streicheln, der silber-blau-schwarz gestreift ist wie die Fliegen der Pitt-Club-Mitglieder, in deren Welt man durch einen Türspalt schauen durfte.
Titelbild: Brian BRAKE/GAMMA-RAPHO/laif