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Auf Krawall gebürstet: Die Suffragetten forderten Anfang des 20. Jahrhunderts ein allgemeines Frauenwahlrecht.

Auf Krawall gebürstet: Die Suffragetten forderten Anfang des 20. Jahrhunderts ein allgemeines Frauenwahlrecht.

Diesen Blick hat sie perfektioniert. Scheu schaut Carey Mulligan in die Kamera. In ihrem neuen Film „Suffragette“ wie schon zuvor: als abgebrannte Schwester in „Shame“ oder als kühle Folksängerin in „Inside Llewyn Davis“. Funktioniert hat das bisher, weil die Schauspielerin dabei immer schön, oft passiv an der Seite eines männlichen Hauptdarstellers steht. Diesmal aber ist Mulligan alleine. Und diesmal funktioniert er nicht, dieser Blick.

Im ersten kommerziell großen Film von Regisseurin Sarah Gavron verkörpert Mulligan die Wäscherin Maud Watts. Eine Working-Class-Woman, die durch Zufall Teil der Suffragetten wird. Diese Frauenbewegung gab es wirklich. Abgleitet vom englischen Wort „suffrage“ für Stimme, kämpft sie Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien für das Frauenstimmrecht bei Wahlen.

Der Film greift die Jahre 1912 und 1913 heraus – jene Periode, in der die Bewegung verstärkt ihren pazifistischen Weg verlässt und „Taten statt Worte“ fordert. So der Kampfspruch ihrer Anführerin, der Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst. Weil Krieg die einzige Sprache sei, die Männer verstünden.

Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, wenn diese Frauen in ihren schneeweißen Kleidern und mit opulenten Hüten laut johlend Steine in Schaufenster werfen, mit Ju-Jutsu-Schlägen und Tritten gegen Polizisten vorgehen und selbst gebaute Bomben in Wohnhäusern von Politikern platzieren.

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Zimperlich waren sie dabei nicht: Mit passiven Widerstand, Störung öffentlicher Veranstaltungen und bisweilen sogar gewalttätigen Mitteln versuchten sie ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Zimperlich waren sie dabei nicht: Mit passiven Widerstand, Störung öffentlicher Veranstaltungen und bisweilen sogar gewalttätigen Mitteln versuchten sie ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Leider sind diese kraftvollen Momente im Film rar. Zumal die bedeutendste Figur, Pankhurst, nur nebulöse Inspirationsquelle bleibt. Verkörpert von Meryl Streep, ist sie kaum länger als fünf Minuten zu sehen. Gezeigt werden stattdessen ihre Fußsoldatinnen – so nennen sie sich – um Watts. Darunter historische Gestalten wie Emily Davison. Die militante Frauenrechtlerin wirft sich 1913 – vermutlich, um das Wahlrecht für Frauen einzufordern – vor das Rennpferd von König George V. und stirbt.

Watts hingegen ist eine fiktive Figur. An ihr wollen Regisseurin Gavron und Drehbuchautorin Abi Morgan („Die Eiserne Lady“) das Erstarken und Radikalisieren des feministischen Gedankenguts der Suffragetten aufzeigen. Sie soll Projektionsfläche sein und Identifikation bieten. Damit sie die nötige Entwicklung von der unscheinbaren Wäscherin zur Führungsperson vollführt, werden ihr viele Steine in den Weg gelegt: ein Chef, der ihr zu nahe kommt. Ein Ehemann, der sie auf die Straße setzt. Ein Gesetz, das ihr das eigene Kind wegnimmt. Das sind wichtige und immer noch aktuelle Themen.

Es ist aber zu viel, was da auf Watts einprasselt. Dieser Wandel wäre im Rahmen einer TV-Serie denkbar, in 106 Minuten ist er jedoch unglaubwürdig. Wenn sie plötzlich das Bügeleisen auf die Hand ihres Chefs presst oder sich im Gefängnis gegen die Zwangsernährung per Trichter wehrt, wirkt das arg konstruiert und nicht wie ein natürlicher Prozess. Hinzu kommt Mulligans träges Spiel, der mäuschenhafte Blick eben, der Mauds Angst vor ihrer neuen Rolle zum Ausdruck bringen soll, den Film aber einfach nicht tragen will.

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Im Film von Sarah Gavron wirkt hingegen vieles etwas aufgesetzt.

Im Film von Sarah Gavron wirkt hingegen vieles etwas aufgesetzt.

#tellherstory – so heißt der Hashtag, unter dem im Netz dazu aufgefordert wird, in einer von Männern dominierten Geschichte auch von herausragenden Frauen zu erzählen. Die Geschichte der Suffragetten, die immer noch vielen unbekannt ist und kaum auf Lehrplänen steht, wäre eine gute Gelegenheit gewesen. Weil es nicht die übliche Leidensgeschichte ist – eigentlich. Sondern eine aktive und starke Bewegung, die viel erreicht hat, auch wenn ihre radikalen Mittel umstritten waren. Indem Gavron aber eine leidende Figur in den Mittelpunkt stellt, bedient sie sich nicht nur eines bekannten Biopic-Erzählmusters, sondern lässt auch vieles außen vor: Wann und wie genau die Suffragetten in Großbritannien das Wahlrecht bekommen etwa, nämlich erst 1918, erzählt nur der Abspann.

Schade ist das. Dabei hat Gavron mit Filmen wie „Brick Lane“ (2007) – über die weibliche Emanzipation in der Gesellschaft Bangladeschs – bewiesen, dass sie es kann: einen Film von Frauen über Frauen, die für Frauen kämpfen, in einer eigenen Sprache zu erzählen.

„Suffragette“, GB 2015; Regie: Sarah Gavron, Drehbuch: Abi Morgan, mit Carey Mulligan, Helena Bonham Carter, Meryl Streep, 106 Minuten, FSK ab 12; Kinostart 4. Februar 2016 bei Concorde Film

Christine Stöckel ist freie Journalistin in Berlin – und Sportmuffel. Denkt aber über Ju-Jutsu-Stunden nach, seitdem sie das hier gesehen hat.