Mit 18 Jahren verlor die Engländerin Sarah Brightman ihr Herz an einen Raumschiffsoldaten – nur für kurze Zeit und auch nur in einem Tonstudio. Mit dem Song „I Lost My Heart to a Starship Trooper“ landete sie 1978 einen ersten Hit, bevor sie als Sopranistin vor allem in Musicals wie „Phantom der Oper“ richtig berühmt wurde. Fast 37 Jahre später kann Brightman nun einen echten Weltraumhelden kennenlernen und vielleicht sogar eine längere emotionale Bindung knüpfen. Denn derzeit trainiert sie gemeinsam mit russischen Kosmonauten auf einem ehemaligen Militärgelände bei Moskau für ihren geplanten Ausflug auf die Internationale Raumstation ISS.
Ende Januar übte die mittlerweile 54-Jährige in einem verschneiten Wald bereits das Überleben in der Wildnis nach der Rückkehr aus dem All. Man weiß ja nie, wo man landet: So hackte die Sängerin Holz, baute aus Teilen der Landekapsel eine Notunterkunft und bereitete Essen auf einem Lagerfeuer zu. Angeblich zahlt Brightman der russischen Weltraumbehörde GK Roskosmos etwa 45 Millionen Euro für den zehntägigen Trip in den Orbit, der im Oktober stattfinden soll. Doch vorher muss die Britin auf der Erde noch Russisch pauken, die Schwerelosigkeit trainieren und medizinische Tests bestehen. Für die Dauer der neunmonatigen Ausbildung wird das berühmte Sternenstädtchen für die Weltraumtouristin zur zweiten Heimat.
Sie nennen sich stolz die „Sternenmenschen“. Die 6.300 Bewohner des 25 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Dorfes Swjosdny Gorodok wissen, dass sie an einem der legendärsten Orte Russlands leben. Denn hier kann man die Grundlagen der außerterrestrischen Existenz erlernen. Und hier begann für jeden der bislang 119 russischen Kosmonauten und der sieben Weltraumtouristen der Weg zu den Sternen. Die idyllische Siedlung liegt vor neugierigen Augen in einem Wald versteckt. Die Besucher des Sternenstädtchens werden am ersten Tor von Wachen misstrauisch beäugt. Hinter einem zweiten Tor beginnt das Trainingsgelände des Zentrums für die Ausbildung der Kosmonauten (ZPK). Bis in die 90er-Jahre war das ZPK noch ein geheimes Militärobjekt.
Die Legende hat ihren Ursprung in den 50er-Jahren, als der Weg ins Weltall zu einem Wettkampf wird zwischen den USA und der Sowjetunion, die ihn letztlich für sich entscheidet. In der Raumkapsel „Sputnik 2“ schickt sie 1957 die Hündin Laika ins All und wenig später den ersten Menschen. Am 12. April 1961 verbringt der 27-jährige Major Juri Gagarin 108 Minuten in der Erdumlaufbahn und ebnet damit der Menschheit den Weg ins Universum. Heute erinnert im Sternenstädtchen ein großes Gagarin-Denkmal an ihn, aufgestellt vor seinem früheren Wohnhaus. Hier feiert man gerne Hochzeiten und Jubiläen, hier wird jeder zurückgekehrte Kosmonaut mit Ehren empfangen.
Sieben Jahre nach Gagarins Flug wurde die Militärsiedlung in Sternenstädtchen umbenannt. Während landesweit in den Regalen der Geschäfte nicht allzu große Warenvielfalt herrschte, genossen die „Sternenmenschen“ zu Sowjetzeiten eine privilegierte Versorgung. Hier waren die Straßen sauberer als in der Moskauer Innenstadt, wurden neue Telefonanschlüsse schneller als anderswo bereitgestellt.
Noch heute ist dieser besondere Status des Sternenstädtchens spürbar. Die Alleen der Siedlung sind sauber gefegt, es herrscht Ruhe und Ordnung, und man findet keine Verkehrsstaus oder aufdringliche Werbung, die im benachbarten Moskau zum Alltag gehören. Abgesehen davon ist das Weltraumdorf eine fast normale Siedlung, nur dass viele Namen hier außerirdische Assoziationen wecken. „Orbit“ heißt das örtliche Hotel, „Kosmos“ die Wohnungsbaugesellschaft. Und wenn sich die Dorfbewohner erholen wollen, dann gehen sie zum Sternensee.
Bis heute dreht sich im Sternenstädtchen alles um die Ausbildung von Kosmonauten. Im Herzen des ZPK steht eine 200 Meter lange und 20 Meter hohe Halle, die mit grauweißen Kugeln und Tonnen vollgestellt ist. Eine von ihnen ist ein Nachbau der ehemaligen Raumstation „Mir“ in Originalgröße. Der zentrale Raum der „Mir“ erinnert an ein Flugzeugcockpit aus den 80er-Jahren. Der Fremdenführer zeigt einen großen Topf mit Schläuchen und Trichtern, die an einen Feuerlöscher erinnern. „Das ist unsere Weltraumtoilette“, sagt er. „Sie entzieht dem Urin Wasser und spaltet es zu Atemluft. Genauso eine steht da oben auf der ISS.“
Etwas weiter entfernt sitzt in einer engen Kugel ein Kosmonaut und übt am Bildschirm das Andockmanöver in 400 Kilometern Höhe. Viele Dutzende Male muss der Mann im weißen Spezialanzug das rotierende Fadenkreuz perfekt ausrichten können, um zum Schluss die strenge Prüfung zu bestehen. Bereits der Abzug einer hundertstel Note könnte eine vielversprechende Weltraumkarriere vorzeitig beenden.
In einer anderen Halle kann die Höllenfahrt ins All simuliert werden. Die Zentrifuge ZF-18 ist 18 Meter lang und 305 Tonnen schwer und beschleunigt ihren durch die Halle sausenden Arm auf 250 Stundenkilometer. Während der angehende Kosmonaut mit dem Vielfachen seines Körpergewichts in seinen Sitz gedrückt wird, werden seine Knochen von Röntgenstrahlen durchleuchtet. Zur gleichen Zeit prüfen Experten die Reaktionsschnelligkeit des Kandidaten. Auch hier gilt: Ein Anwärter, der Schwäche zeigt oder gar in Ohnmacht fällt, fliegt raus.
Wer die Zentrifuge übersteht, muss weitere harte Prüfungen absolvieren, etwa in einer Druckkammer oder im zwölf Meter tiefen Riesentank mit fünf Millionen Liter Wasser. In diesem „Hydrolabor“ werden unter Extrembedingungen die Weltraumspaziergänge simuliert. „Die einen Kollegen wollen den Heldenorden, den anderen geht es um die Erfüllung eines Traumes“, sagt Wassili Ziblijew, der bis 2009 Ausbildungschef im Sternenstädtchen war.
Auch Laien können sich neuerdings hier ihre Träume erfüllen. Um zu überleben, hat das unterfinanzierte ZPK seit den 90er-Jahren seine Anlagen für die kommerzielle Nutzung freigegeben. Mit genügend Geld kann heute jeder Kosmonaut spielen: So probieren die Besucher etwa das Raumfahreressen aus der Tube, oder sie schlüpfen in den Weltraumanzug „Orlan“, den Kosmonauten auf dem Weg zur ISS benutzen. Für 900 Euro darf man in die Zentrifuge steigen und durch den Raum rasen. Erst neulich saß ein Deutscher in dem futuristischen Riesenapparat: Für die Fernsehshow „Duell um die Welt“ ließ Joko seinen TV-Partner Klaas derart beschleunigen, dass sich dessen Gesicht unter dem Eindruck der Fliehkräfte verformte, als sei es aus Knetgummi. Fieserweise musste Klaas dabei auch noch „Angels“ von Robbie Williams singen. „I Lost My Heart to a Starship Trooper“ von Sarah Brightman hätte irgendwie besser gepasst.