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„Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch, USA 1942 (Foto: © Picture Alliance / dpa )

„Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch, USA 1942

(Foto: © Picture Alliance / dpa )

Der 28. März 1933 ist ein Schicksalstag (nicht nur) in der Geschichte des deutschen Kinos. An jenem Tag verkündet Reichspropagandaleiter Goebbels den Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus dem Branchenverband „Dacho“, der Dachorganisation der filmschaffenden Künstler Deutschlands. Damit leitet er den Exodus von über 2.000 Regisseuren, Schauspielern, Drehbuchautoren, Kameramännern und Komponisten in das europäische Ausland ein.

Der Erlass von höchster Stelle zog einen Schlussstrich unter die bis heute produktivste und einflussreichste Epoche des deutschen Films: das sogenannte Weimarer Kino. Das verkörpert durch den aufblühenden Modernismus im Nachkriegs-Europa und die klaren Formen der Neuen Sachlichkeit verkörpert das neue, urbane Ideal einer Avantgarde-Massenkunst am Ausklang der 20er-Jahre.

Der Verlust der jüdischen Exilanten macht sich personell und strukturell bis in die Filmproduktion der Nachkriegs-Bundesrepublik hinein bemerkbar. Für die Filmindustrien in Österreich, Holland, Großbritannien, Frankreich, Portugal, Russland und den USA wiederum sollte sich die Abwanderung in den 30er- und 40er-Jahren als unschätzbare künstlerische Bereicherung erweisen.

Sie prägten den Film Noir und den Humor der Hollywood-Komödien

Der Begriff des „jüdischen Exilkinos“ ist heute recht einseitig belegt. In erster Linie ist er von einer Rhetorik des Verlustes (für das deutsche Kino) bestimmt. Genauso könnte man die Diaspora jüdischer Filmschaffender in den 30er-Jahren aber auch als Kontinuum der deutschen Filmgeschichte verstehen, das über nationale Grenzen hinaus wirkte.

Neben den rein biografischen Verlaufslinien dieser Migrationsbewegung, die mit unvorstellbaren menschlichen Tragödien verbunden war, bezeichnet der Begriff des „Exilkinos“ aber auch die Überlieferung filmischer Formen, die in anderen nationalen Kinematografien ganze Genres prägen sollten. Die bekanntesten Beispiele sind der „Film Noir“, dessen düstere, pessimistische Ästhetik die deutschen Regisseure Fritz Lang, Robert Siodmak und Otto Preminger maßgeblich beeinflussten, und die amerikanische Komödie, die Ernst Lubitsch, der bereits in den 20er-Jahren nach Hollywood ausgewandert war, und Billy Wilder mit ihrem unkonventionellen und nicht selten frivolen Humor („The Lubitsch Touch“) auffrischten.

Dass das Filmexil auch eine zutiefst traumatische Erfahrung ist, wird dabei gerne übersehen. Die jüdischen Filmschaffenden, die sich nach ihrer Flucht im Ausland mühsam eine zweite Karriere aufbauen mussten, waren im Exil kulturell und sozial entwurzelt. Viele hatten ihre Familien zurückgelassen, sie besaßen nur das Nötigste und beherrschten nicht einmal die Sprache ihres Gastlandes.

Die kurze Blütezeit des niederländischen Kinos

Dafür konnten sie auf die Solidarität ihrer Kollegen zählen. In Hollywood kümmerten sich besonders die Produzenten Paul Kohner und Seymour Nebenzal um die Neuankömmlinge aus Deutschland. In Europa nahmen sich zunächst die Niederlande, Frankreich und Österreich der Flüchtlinge an. Max Ophüls und Kurt Gerron spielten sogar eine wichtige Rolle beim kurzzeitigen Aufschwung des niederländischen Kinos. Die Niederlande waren als direkter Nachbar von der jüdischen Auswanderungswelle am meisten betroffen.


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„Auch Henker sterben“ von Fritz Lang, USA 1943 (Foto: © Picture Alliance / dpa )

„Auch Henker sterben“ von Fritz Lang, USA 1943

(Foto: © Picture Alliance / dpa )

Gleichzeitig entwickelte sich ab 1934 mit Unterstützung der Exilanten eine florierende Filmwirtschaft. Ophüls' scharfzüngige Finanzsatire „Komedie op het Geld“ wurde 1936 sogar als „Krönung der niederländischen Filmindustrie“ angekündigt. Von den 31 Filmen, die hier bis 1940 produziert wurden, entstanden 23 mit der Beteiligung jüdischer Filmschaffender aus Deutschland.

Auch Portugal war aufgrund der räumlichen Distanz zu Deutschland anfangs ein beliebter Fluchtpunkt innerhalb Europas. Der Western „Gado Bravo“ mit Olly Gebauer und dem Komiker Siegfried Arno in den Hauptrollen wurde 1934 als Meilenstein des Exilkinos gefeiert und gilt unter Filmhistorikern heute als Beginn der portugiesischen Tonfilm-Ära. „Gado Bravo“ ist ein schönes Beispiel für die Solidarität innerhalb der europäischen Filmindustrie, die vielen Flüchtlingen während der schweren Exiljahre die Existenz sicherte. Dem international renommierten Schauspieler Arturo Duarte, der Ende der 20er-Jahre unter anderem für die Ufa gearbeitet hatte, war es zu verdanken, dass Gebauer, Arno, der Regisseur Arnold Lippschitz, der Set Designer Herbert Lippschitz, der Komponist Hans May und der Kameramann Heinrich Gärtner für „Gado Bravo“ engagiert wurden.

Das europäische Ausland sollte sich für viele Exilanten allerdings nur als Durchgangsstation erweisen. Spätestens ab Kriegseinbruch konnte sich kein Jude in Europa mehr sicher fühlen. Einigen aber fehlten die Kraft und die finanziellen Mittel, um die beschwerliche Flucht in die USA anzutreten. Viele jüdische Filmschaffende wurden später im europäischen Ausland von den Nazis gefasst. Kurt Gerron, Hans Behrendt, Rudolf Bamberger, Fritz Grünbaum oder Max Ehrlich stehen nur stellvertretend für die vielen jüdischen Künstler, die gegen Kriegsende in den Konzentrationslagern umgebracht wurden. Ihre Filme aber leben weiter.

Aufmerksame fluter.de-Fans haben erkannt: Dieser Text ist bereits aus dem Juni 2013. Aber weil er so super zum Monatsthema passt, haben wir ihn einfach nochmal hochgezogen.