Die Unbekannten hatten nicht nur Hakenkreuze auf die Mauer der Gedenkstätte geschmiert, gleich darunter standen die Worte: „Sie waren leicht brennbar“ und „Wir entschuldigen uns nicht“. Hier, im ostpolnischen Jedwabne, wurden im Sommer 1941 Hunderte Juden von ihren Nachbarn bei lebendigem Leib verbrannt. Auch wenn in diesem Fall aus dem vergangenen Jahr die Wellen der Empörung über die Schändung besonders hoch schlugen, war die Tat für den Soziologen Rafał Pankowski fast so etwas wie Alltag. Er ist Mitglied der Organisation „Nigdy Więcej“, auf Deutsch „Nie wieder“, die seit Jahren den Rechtsextremismus in Polen dokumentiert. „Wir haben die Organisation Anfang der 90er-Jahre gegründet, nachdem es eine Serie rassistischer Vorfälle gab“, sagt Pankowski, neben dem mehr als 100 Freiwillige fremdenfeindliche Vorfälle dokumentieren und Opfern rechter Gewalt helfen.
Das sei auch dringend nötig, sagt Pankowski, schließlich werde die rechtsextreme Kriminalität von den Behörden oft nicht registriert. Stattdessen spreche man von Einzeltaten, die Täter bezeichne man schlicht als „Hooligans“. Eine staatliche Erfassung solcher Delikte steckt noch in den Anfängen, wie viele organisierte Rechtsextreme es in Polen gibt, ist unbekannt. Die einzige belastbare Statistik über rechtsextreme Straftaten und Vorfälle stammt von „Nie wieder“. Hunderte Vorfälle kommen pro Jahr zusammen, darunter Dutzende Fälle schwerer Körperverletzung. Eine verhältnismäßig geringe Zahl, verglichen mit den fast 16.000 rechtsextremen Straftaten in Deutschland allein im Jahr 2010. „Ich glaube aber, das ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Pankowski. Im Zweiten Weltkrieg starben in Polen sechs Millionen Menschen, die meisten durch den Nazi-Terror. Dass es angesichts dieser Geschichte ausgerechnet hier Rechtsextreme gibt, die Menschen aufgrund der Hautfarbe, ihres jüdischen Glaubens oder ihrer Homosexualität anfeinden oder gar Adolf Hitler verehren, sei für viele schwer vorstellbar, sagt Pankowski. Auch deshalb spiele das Thema in den Medien kaum eine Rolle.
Dabei beziehen sich radikale Nationalisten wie der Verein „Nationalradikales Lager“ und die Partei „Nationale Wiedergeburt Polens“ meist nicht auf die Hitlerzeit, sondern auf die Tradition extrem nationalistischer und antisemitischer Bewegungen im Polen der 1920er- und 1930er-Jahre. Auch während des Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb die Regierung gezielt antijüdische Propaganda, die bei manchem bis heute nachwirkt. Dabei leben im heutigen Polen nur noch 8.000 bis 12.000 Menschen jüdischen Glaubens. Vor dem Krieg waren es etwa dreieinhalb Millionen. Das hält die Rechtsextremen aber nicht davon ab, gegen sie zu hetzen. Sie wenden sich auch gegen Ausländer, verteufeln die EU, bedrohen Schwule und Lesben, hassen die Demokratie und wollen ein „Polen nur für Polen“. Anders als für deutsche Rechtsextreme ist für viele polnische Nationalisten auch die Kirche wichtig. Das Polen der Zukunft soll nicht nur weiß und judenfrei, sondern auch konservativ-katholisch sein. Wie widersprüchlich das Verhältnis mancher polnischer Rechtsextremer zum Zweiten Weltkrieg und den Nazis ist, zeigt das Beispiel der „Allpolnischen Jugend“, deren gut 3.000 Mitglieder regelmäßig gegen den deutschen Nachbarn hetzen. Dennoch kursieren Videos, in denen Mitglieder der Gruppe vor einem brennenden Hakenkreuz stehen und „Sieg Heil“ rufen.
Sie verteufeln die EU, bedrohen Schwule und Lesben
Auch auf Demos werden gern Parallelen zu den Nazis gezogen, wenn es darum geht, andere zu verunglimpfen: Schwule werden als „Kranke“ und „Perverse“ bezeichnet und sollen „ins Gas“ geschickt werden. „Sie rufen, dass sie mit uns das machen wollen, was Hitler mit den Juden gemacht hat“, sagt Agnieszka Wisniewska von der linksliberalen Denkfabrik „Krytyka Polityczna“. Sie hält die Entwicklung der extremen Rechten in Polen für gefährlich. „Die Medien in Polen sehen nicht, dass hinter rassistischen und antisemitischen Taten eine gemeinsame Ideologie steckt.“ Die Medien seien nicht das einzige Problem, wenn es um den Umgang mit den radikalen Nationalisten geht. „Rechtskonservative Publizisten und Abgeordnete der Partei PiS bezeichnen sie öfter als ,gute Patrioten‘. Wenn es für Rechtsradikale so einfach ist, Teil des Mainstreams zu werden, ist das extrem bedenklich“, sagt Wisniewska. Jüngstes Beispiel für die bisweilen unscharfe Trennlinie zwischen Rechtspopulisten und Rechtsradikalen sei der Aufmarsch am polnischen Unabhängigkeitstag im vergangenen November gewesen, den radikale Nationalisten organisiert hatten. Judenhetze und andere radikale Slogans waren verboten, offiziell hieß die Demonstration „Unabhängigkeitsmarsch“, um möglichst viele normale Bürger anzuziehen, die für mehr Patriotismus eintreten wollen. An der Demonstration nahmen Nationalisten und Skinheads, aber auch Familien teil. „Der Begriff Patriotismus ist in Polen extrem positiv besetzt“, sagt Wisniewska. „Hinter der patriotischen Fassade dieser Leute steckt aber eine Vorstellung von einem Land, in dem nur weiße, katholische, heterosexuelle, antidemokratische, antisemitische Menschen leben.“
Die Ereignisse am Unabhängigkeitstag waren auch ein erneuter Beleg für enge Verbindungen der Rechtsextremen zur Hooliganszene. Gemeinsam mit den Nationalisten gingen Hooligans des Erstligaclubs Legia Warschau auf die Straße und zettelten Straßenschlachten mit der Polizei an. Eine kleine Minderheit der Fans sorgt so dafür, dass Gewalt und Rassismus zum Alltag in vielen Stadien gehören. Ein Marsch von mehreren Hundert „Fans“ in Rzeszów hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Hier kommt die arische Horde“ ist nur einer unter mehr als 130 Vorfällen, die „Nie wieder“ allein zwischen September 2009 und März 2011 in und um polnische Stadien herum dokumentierte. Strafrechtlich verfolgt werden solche Aktionen selten. Meist verurteilt der polnische Verband die Vereine zu geringen Geldstrafen oder einigen Spielen vor leeren Rängen. Auch außerhalb der Stadien sind Polizei und Staatsanwaltschaft nicht dafür bekannt, besonders engagiert gegen Rechtsextreme vorzugehen. Der Zeitung „Gazeta Wyborcza“ zufolge werden in Polen vier von fünf Anzeigen wegen Aufstachelung zum Rassenhass vor Gericht abgeschmettert, oft leiten die Staatsanwälte keine Ermittlungen ein.
Zur EM im Sommer gibt es Anti-Rassismus-Kampagnen
Angesichts des Sicherheitsrisikos, das die Hooligans für die Fußball-EM im Sommer darstellen, hat die polnische Regierung die Gesetze verschärft. Schnellgerichte sollen Straftäter noch im Stadion aburteilen. Es ist geplant, Hooligans mit Stadionverbot elektronische Fußfesseln anzulegen, um sicherzugehen, dass sie nicht in die Nähe der Spielorte gelangen. Auch die Bundesregierung gibt Sicherheitskonzepte weiter, die sie während der WM 2006 angewendet hat. Das Hooligan-Problem hat auch eine politische Dimension. „Die Rechtsextremen versuchen, unter den Hooligans Mitglieder zu werben“, sagt Rafał Pankowski. „Nie wieder“ kämpft deshalb seit Jahren gegen Antisemitismus und Rassismus in den Stadien und führt in den Monaten vor der EM gemeinsam mit dem europäischen Fußballverband eine Anti-Rassismus-Kampagne durch. Pankowski ist optimistisch, dass man damit die Situation deutlich verbessern kann.
Dass Arbeit gegen Rechtsextremismus wichtig ist, hat auch die Politik erkannt. Das Ministerium für Sport und Tourismus arbeitet seit einiger Zeit mit „Nie wieder“ zusammen, um gegen die Probleme im polnischen Fußball anzugehen. Vertreter der Organisation werden mittlerweile als Experten in den Sejm (das polnische Parlament) eingeladen, und Gründer Marcin Kornak hat kürzlich einen Orden von Präsident Komorowski erhalten. Die Nazi-Skandale um die Allpolnische Jugend und das martialische Auftreten der Nationalisten haben auch dazu geführt, dass bei Wahlen nur eine winzige Minderheit für die Radikalen stimmt. Im Parlament sitzt keine rechtsextreme Partei, stattdessen ist 2011 die linksliberale Ruch Palikota in den Sejm eingezogen. Neue Untersuchungen deuten auch darauf hin, dass die Zustimmung zu antisemitischen Vorurteilen deutlich abgenommen hat, auch wenn sie immer noch hoch ist. Jeder zweite Pole ist der Meinung, dass Juden zu viel Einfluss im Lande haben, in Deutschland denken das „nur“ 20 Prozent. Dass Juden die Kultur des Landes nicht bereichern, glauben laut Umfragen ebenfalls fast 50 Prozent der Polen.
Dass der Rechtsextremismus in Polen kein Phänomen benachteiligter Schichten ist, zeigt die Geschichte von Arkadiusz Karbowiak. Vor einigen Jahren kam heraus, dass Karbowiak, damals noch Vizebürgermeister von Opole in Schlesien, in den 90er-Jahren für ein antisemitisches Hetzblatt geschrieben hat. Darin stellte er infrage, ob es sich bei den Nazi- Gräueltaten wirklich um Verbrechen handele. Seiner Karriere geschadet hat der Skandal kaum: Vor Kurzem wurde er zum Direktor der Straßenbehörde ernannt.