Nach 25 Jahren Bürgerkrieg ist nicht mal klar, wie viele Menschen noch in Somalia leben. Schätzungen gehen von 7,5 bis 11 Millionen aus. Viele Somalier sind nach Europa geflüchtet. Manar Moalin ging den entgegengesetzten Weg. Sie verließ Europa, um sich in ihrem Heimatland eine Existenz aufzubauen

Wenn Manar Moalin morgens zur Arbeit kommt, schieben ihre Wachmänner schon vorher das große weiße Stahltor auf, damit sie mit ihrem schweren Jeep direkt auf das Grundstück fahren kann, ohne anzuhalten. Denn der Aufenthalt in der Öffentlichkeit kann in Mogadischu noch immer tödlich sein. Und wer einen Country Club betreibt, der lebt sowieso gefährlich. Massagesalon und Partys – in den Augen der Islamisten ein Sündenpfuhl. Haram, verboten. Vor allem, wenn der Club auch noch von einer Frau betrieben wird.

Mogadischu versucht gerade, aus Ruinen wieder aufzustehen und Normalität zu schaffen. Mogadischu will nicht mehr eine der gefährlichsten Städte der Welt sein. Und dazu trägt Manar Moalin ihren Teil bei. Wie sie kommen immer mehr Somalis zurück aus dem Ausland, um ihre Hauptstadt nach 25 Jahren Bürgerkrieg wiederaufzubauen. 

Wenn man die Mittdreißigerin, die ihr Kopftuch rebellisch weit hinten trägt, reden hört, merkt man ihr den täglichen Kampf an, den sie als Frau in diesem konservativen, vom Krieg zerrissenen Land führen muss. In ihren Sätzen schwingt etwas Herausforderndes mit, eine Art vorbeugende Aggressivität. Sie wird nicht aufgeben, steht zwischen jeder Zeile. Manchmal setzt sie ihre Brille ab und schaut ihrem Gegenüber wortlos in die Augen. Als würde sie nur auf Widerspruch, auf Kritik warten. 

Der Country Club ist ein kleiner Mikrokosmos in der Stadt, mit dieser Mischung aus Aufbruchsstimmung und Angst. Eine große, alte weiße Kolonialvilla, ein massives Tor, ein Wachturm, ernste Männer mit schweren Waffen. Dahinter: ein kleiner Zoo, ein Massagesalon, ein Restaurant. „Und hoffentlich bald auch eine richtige Bar“, sagt Manar Moalin. „Mit Alkohol.“ Members only. Regelmäßig hat sie Probleme mit Leibwächtern von Männern, die keine Mitgliedschaft bekommen haben, manche schickten sogar Soldaten vorbei. Hier im Garten, wo winzige Antilopen herumlaufen und ein schreckhafter Falke in einem Käfig sitzt, treffen sie sich: Politiker, Geschäftsmänner, Gangster. Oftmals sind die Grenzen fließend. 

1991 stürzten Rebellen den Diktator Siad Barre. Seitdem gab es keine funktionierende Regierung mehr, die das Land unter ihrer Kontrolle hatte. Die großen Clans und ihre Subclans zerfleischten sich gegenseitig und verwandelten Mogadischu in eine Ruinenstadt. Mehr als zweieinhalb Millionen Somalier wurden aus ihren Häusern vertrieben, eine Million floh ins Ausland, eine Million, die meisten davon Zivilisten, kam um.

Der Staat ist schon lange zersplittert. Im Norden haben sich Somaliland und die ehemalige Piratenhochburg Puntland abgespalten. Seit dem 1. August 2012 sollen diese autonomen Teilstaaten nun Mitglieder der neuen Bundesrepublik Somalia sein. Zumindest auf dem Papier. Vor allem im Süden flammen immer wieder heftige Gefechte auf. Er wird nach wie vor teilweise von der mit Al-Qaida verbündeten Terrororganisation Al-Shabaab kontrolliert, die dort den Kohle- und Zuckerschmuggel dominiert, in den auch die kenianische Armee verwickelt ist. Nach wie vor gilt das Land als Brutstätte des islamistischen Terrorismus, als Basis für Operationen in ganz Ostafrika. 

Doch nun macht sich Hoffnung breit, dass der Aufschwung diesmal halten könnte. Im August 2011 hatte sich die Al-Shabaab-Führung aus Mogadischu zurückgezogen, seitdem gibt es zwar regelmäßig Anschläge, aber Truppen der Afrikanischen Union und die somalische Armee kontrollieren das gesam-
te Stadtgebiet. Offene Kämpfe gibt es nur noch bei Anschlägen. 

Es gibt wieder Straßenlampen, es gibt überhaupt Straßen, eine Müllabfuhr, Strom, Internet. Für eine sehr kurze Zeit gab es sogar Ampeln. Die funktionierten aber nicht. Es gibt Geschäftsstraßen, Telekommunikationskonzerne, eine Bank, und Anfang des Jahres wurde das erste Mal ein somalisches Fußballspiel live im Fernsehen gezeigt.

Manar Moalin sagt, was man derzeit oft in der Stadt hört: „Noch nie floss so viel Geld nach Mogadischu.“ Aber sie sagt auch: „Das ist wie die italienische Mafia hier, alles gehört zusammen. Ein riesiges kriminelles Netzwerk. Dabei brauchen wir neue, junge Leute in der Politik.“ Bei der UN in Nairobi heißt es, man habe die Hoffnung aufgegeben, dass die Rückkehrer, die in die Politik gehen, gegen die Korruption und Kriminalität angehen würden. „Ganz im Gegenteil, sie scheinen sofort vom System geschluckt zu werden und verhalten sich, als hätten sie das Land nie verlassen“, so ein hochrangiger UN-Mitarbeiter. 

Derweil fließt immer mehr ausländisches Geld in die Stadt. Nicht die Chinesen, nein, die Türken sind dabei, Mogadischu wiederaufzubauen. Sie haben einen Flughafen gebaut, sie betreiben den neuen Hafen und kontrollieren über eine Firma namens Proje Gözetim Mühendislik die Importe und Exporte des Landes. Sie haben die Straßen neu geteert, der Rohbau einer riesigen Zementfabrik thront über der Skyline, neulich eröffneten sie eine gut ausgestattete Kinderklinik. All das macht die Türkei nicht uneigennützig – sie versucht so auch neue Unterstützer auf dem internationalen Parkett zu bekommen.

Manar Moalin sitzt im Garten und trinkt wie jeden Tag einen frischen Grapefruitsaft, während die ersten Gäste in gepanzerten Geländewagen auf den Hof rollen. Aus dem kleinen Wachturm gucken die Läufe russischer Sturmgewehre, in das Zwitschern der Vögel mischt sich das Rauschen der Funkgeräte, jedes Mal, wenn sich ein Fahrzeug nähert. Oben im zweiten Stock dringt leise Musik aus der Shisha-Bar, von der aus man auf den großen neuen Büroturm nebenan schaut. 5.000 Dollar Miete im Monat kostet darin ein Büro. Der Immobilienmarkt in Mogadischu explodiert gerade. Villen kosten pro Monat ab 10.000 Dollar. Der Kaufpreis von Grundstücken am Meer liegt zum Teil bei über einer Million Dollar. Leute, die das zahlen können, sind die, die Manar Moa-lin gern als Mitglieder hat.

Ihre Geschichte ist eine typisch somalische Geschichte. Mit ihren Eltern verließ sie das Land kurz vor dem Krieg. 1988 gingen sie erst nach Italien, dann nach England. Ein Leben in der Diaspora. Vor fast drei Jahren kehrte ihre Mutter zurück in die Heimat und bat die Kinder, sie besuchen zu kommen. Als Moa-lin die Stadt das erste Mal als Erwachsene sah, sah sie vor allem: Möglichkeiten. Wo fast alles kaputt ist, wird fast alles benötigt. Und die Somalier sind in Afrika als findige, oft auch skrupellose Geschäftsleute bekannt. 

Moalin verliebte sich in die Stadt, in den Ozean, die Geschichten, die wilden geheimen Partys. Und in das Geld. „Ich merkte, dass es keine Beautysalons gab. Die Frauen flogen nach Nairobi, wenn sie sich die Nägel machen lassen wollten.“ So fing alles an. Sie mietete eine große Kolonialvilla und stellte dann fest: „Viele der High-Profile-Leute hier haben keine Orte, wo sie hingehen können.“ Sie schmiedete Allianzen, schmierte die richtigen Leute, besorgte sich Sicherheitspersonal und machte aus dem Beautysalon einen Club. 

Probleme aber gibt es viele. „Ich bin eine Frau, eine Rückkehrerin, und ich bin nicht religiös“, sagt sie. „Drei Punkte, die alles noch schwieriger machen.“ Es ist nicht lange her, da stürmten 25 Mann mit Maschinengewehren abends um neun den voll besetzten Garten. Sie reihten die Gäste an der Mauer auf, schlugen auf sie ein. Nach ein paar Stunden wurden sie wieder freigelassen. 

Es waren gekaufte Regierungssoldaten, die kamen, weil Moalin einem Geschäftsmann die Mitgliedschaft verweigert hatte. „Persönliche Differenzen“, sagt sie nur. Ein anderes Mal stand ein ganzer Bus bewaffneter bärtiger Fundamentalisten vor dem Tor – Maschinengewehre im Anschlag, einer trug Handgranaten am Gürtel. Sie rief ihren Cousin an, der beim Geheimdienst NISA arbeitet. In letzter Minute trafen Truppen der Afrikanischen Union ein und konnten die Männer überwältigen. 

Jeden Montagabend versammeln sich fast alle der über 136 Mitglieder im Garten zu einem großen Dinner. Es spricht für die Kontakte von Moalin, grenzt aber trotzdem an ein Wunder, dass sich hier noch kein islamistischer Selbstmordatten-
täter in die Luft gejagt hat. Gerade im Januar hat es das Village Restaurant um die Ecke getroffen. Ein paar Monate später attackierten die Männer von Al-Shabaab ein Restaurant am beliebten Lido Beach. Im Country Club gab es bisher noch keine Toten.

Ein Jahr lang aber lebte Moalin in ständiger Todesangst. Dann sagte sie sich: „Du wirst sterben, aber du wirst dich nicht aus deinem Haus vertreiben lassen.“ Sie war bereit zu kämpfen. Sie weiß, dass sich die Fundamentalisten nicht abfinden werden mit einem Haus, das in ihren Augen die Sünde verkörpert. Aber Menschen wie sie, die versuchen, Normalität herzustellen, trifft man nun häufiger in der Stadt. Sie betreiben Restaurants, Cafés, Schulen, Hotels und Geschäfte. Und langsam trauen sich auch Frauen wieder mehr zu. „Es muss aufhören, dass die Männer denken, sie könnten mit einer Frau machen, was sie wollen. Ich will die Erste sein, die gesagt hat: Nein. So läuft das nicht!“ 

„Das Problem hier“, sagt Manar Moalin, während es langsam dunkel wird und die weißen Gäste gebeten werden, aus Sicherheitsgründen allmählich zu gehen, „ist ein riesiger Egoismus.“ Wenigen gehe es um das Land, vielen um das eigene Konto. 

Es gibt ein somalisches Sprichwort, das das Dilemma des Landes in vier Sätzen ausdrückt: „Ich und mein Clan gegen die Welt, ich und meine Familie gegen meinen Clan, ich und mein Bruder gegen meine Familie, ich gegen meinen Bruder.“ Im Hintergrund fallen Schüsse. Manar Moalin zuckt nur mit den Schultern. Sie wird nicht gehen.