Nur wenig Licht dringt durch die Vorhänge des Kulturcafés Subbotnik. Im Aufführungsraum stehen in der Mitte Stühle kreuz und quer verteilt. An der Wand lehnt eine alte Holzplanke. Auf die schreibt ein hagerer Mann Worte auf Deutsch und Arabisch. Sie stehen für die Stationen der Flucht des jungen Syrers Thaer Ayoub. Gleich wird sie die Theatergruppe Turmbau 62 in einer Performance eine Stunde lang spielen.
Ayoub kam vor eineinhalb Jahren nach Deutschland. In Aleppo studierte er Arabische Literatur, schrieb Gedichte und leitete einen Kulturraum. Als das Assad-Regime ihn für die Armee einziehen wollte, ergriff er die Flucht. Die führte ihn durch sieben Länder, zu Fuß, mit dem Auto und dem Boot.
„Die Aufgabe der Kunst ist es, die Wahrheit zu sagen“
Ende 2014 traf er in Chemnitz auf Manuel Kern, den Initiator von Turmbau 62, der gerade zum Experten für Psychodrama ausgebildet wird. Psychodrama ist eine Methode, die es Menschen beispielsweise ermöglicht, schwerwiegende Erlebnisse mithilfe einer Gruppe spielerisch aufzuarbeiten. Der heute 27-jährige Ayoub bat ihn, seine Geschichte auf die Bühne zu bringen. Als eine Form der narrativen Rache, wie er sagt: „Die Aufgabe der Kunst ist es, die Wahrheit zu sagen.“ Dabei wollte er aber nicht nur seine eigene Geschichte erzählen. „Es ist eine Geschichte von vielen Menschen“, betont Ayoub.
Die Proben mit Studierenden und Mitarbeitern der TU Chemnitz waren für alle Beteiligten sehr intensiv. Gemeinsam erarbeiteten sie die wichtigsten Momente und setzten sie in szenische Bilder um. Der Alltag vor dem Krieg in Syrien, der Aufstand, Gefängnis und Folter, Hoffnung, Flucht sowie die Einreise nach Deutschland. All das setzt „Aphrodites Rebellen“ (Aphrodite ist eine Wortbedeutung Syriens) mit immenser Körperlichkeit um.
Auf Sprache verzichtet „Aphrodites Rebellen“ bewusst
Die Darstellung der Überfahrt zeigt einen zusammengekauerten Haufen verängstigter Menschen. Bei der Folterszene herrscht völlige Dunkelheit, nur das Atmen, Stöhnen und Schreien ist zu hören. Ein anderes Mal proben alle still den Aufstand: Blicken eisern geradeaus, die Faust erhoben. Nur ein vereinzeltes Klatschen aus dem Hintergrund lässt sie immer wieder zusammenzucken.
„Worte töten manchmal das Gefühl“
Die Performance selbst findet um das Publikum herum statt, zentriert es in seine Mitte und schafft so eine klaustrophobische, beklemmende Atmosphäre. Man kann nicht ruhig sitzen, muss sich immer wieder drehen und den Hals recken, um alles mitzubekommen. Auf Sprache wurde bewusst verzichtet. „Für viele Geflüchtete bedeutet Sprache Ausgrenzung“, erklärt Kern. Für Ayoub hat das noch andere Gründe. „Worte töten manchmal das Gefühl“, sagt er.
Ganz schön heikel, so eine Konfrontation mit traumatischen Erfahrungen, könnte man meinen. Für die Gruppe jedenfalls war die Annäherung an die Folterthematik nicht ganz einfach. Niemand musste eine Szene übernehmen, die er nicht spielen wollte. Ayoub selbst hatte damit kein Problem. Im Gegenteil: „Ich finde, das war gut. Ich hab das echt erlebt und jetzt spiele ich das.“ Manuel Kern hat das überrascht: „Bei der spielerischen Auseinandersetzung war er es, der immer noch mehr wollte.“ Aber die Aufarbeitung funktioniert nicht alleine. „Die Gruppe ist ganz wichtig. Die Referenz und das Feedback im Kollektiv“, erklärt Kern. Es braucht die gemeinsame Reflexion. Ganz so als würde man sagen: „Ich habe das erlebt, ihr seht das und unterstützt mich.“
Die Gruppe hat auch „Andorra“ von Max Frisch neu interpretiert
Aber hat all das jetzt geholfen, seine Flucht aufzuarbeiten? Ayoub gibt sich gefestigt. Ihm habe die Arbeit am Stück gezeigt, dass er sich auch durch das Theater ausdrücken könne. Es unterstütze ihn. „Vergiss nicht, ich bin Dichter“, sagt er. „Das ist eine neue Tür zum Leben.“
Im November wird „Aphrodites Rebellen“ noch einmal im Chemnitzer Schauspielhaus aufgeführt. Vorher spielte die Gruppe im Juli aber noch „Andorra“ von Max Frisch. Das Stück, das eigentlich die Ausgrenzung eines Juden erzählt, haben sie auf einen Moslem umgeschrieben. Für Ayoub, der mittlerweile eine Aufenthaltsgenehmigung und einen Reisepass besitzt, ist es eine Art Fortsetzung. Erst verarbeitete er die Flucht und das Bangen um den Aufenthalt, jetzt die Probleme mit Rassismus in Deutschland.
Titelbild: Turmbau 62