Mohammeds Bruder spricht es aus: „Du bist kein Pyramidenbewohner mehr.“ So viel ist also mal klar für Mohammed (Hussein Eliraqui). Aber was ist er dann, wo gehört er hin? 2006 vor dem Krieg aus Palästina geflohen, von wo er Bombensplitternarben im Fuß mitgebracht hat, lebt der 18-Jährige mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im piefigen Berliner Norden, direkt in der Einflugschneise des Flughafens Tegel. Die Eltern wurden abgeschoben, aus dem Libanon meldet sich der Vater nur per Telefon und auf die Frage, wann man sich denn wiedersehe, antwortet er nicht. Halt dich von deinem älteren Bruder fern, er ist kein Vorbild, rät er Mohammed stattdessen.
Lakhdar ist nämlich ein schwieriger Fall, auch wenn er unheimlich liebenswert und fürsorglich sein kann. Er hampelt, er labert, er grimassiert, er schreit, er jauchzt und immer will er irgendwas und das sofort – ein hochextrovertierter Maniker, gespielt mit einer irren Präsenz von Oktay Inanç Özdemir. Mal singt er die palästinensische Hymne beim Zähneputzen, dann will er ein Armdrücken darum veranstalten, wer das Abendessen macht. Der Rest ist Kiffen, Videospielen und das Vernachlässigen seiner Schäferhunde Attila und Luna, die ihren Auslauf auch mal auf dem Hometrainer-Laufband erledigen müssen. Warum behandelt man bloß die, die einen lieben und unterstützen, oft so schlecht?
Wehe Mohammed hilft wieder in der Werkstatt
Während Lakhdar das Trauma der Kriegserfahrung also nach außen trägt, verarbeitet Mohammed seines im Stillen: Heimlich führt er ein Tagebuch, in dem er mühsam in krakeliger Schrift seine Sorgen und Hoffnungen niederschreibt: „Ich habe Lakhdars Augen gesehen. Sie sehen aus, als ob ein Dämon in ihm wohnte.“ Und später: „Er zerstört meine Chancen. Ich kann mit Lakhdar nichts schaffen.“
Denn Mohammed hat durchaus Träume. Einen Ausbildungsplatz will er, als Motorradmechaniker. In der Werkstatt, betrieben von hemdsärmlig berlinernden Handwerkerdeutschen, gibt man ihm aber erstmal nur Hilfsarbeiteraufgaben. Lakhdar wiederum kontrolliert abends am Esstisch Mohammeds Hände, ob sie ölverschmiert sind. Er hält nichts davon, dass Mohammed „in der Werkstatt von den Kartoffeln“ arbeitet.
Wie Pommes mit Mayo
Diese Kartoffeln lassen ihn einmal nach der Arbeit mitsaufen. „Junge, komm nie wieder“ tönt es im Hintergrund, die Männer trinken Bier, Mohammed ein Alkoholfreies. „Flucht ist keine Schande“, sagt einer, der schon bei der Fremdenlegion war, weil er eine Ersatzfamilie brauchte.
Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als könnte Mohammed dazugehören. „Du musst dich entscheiden: Familie oder alleine“, sagt Lakhdar zu ihm. „Ich probiere beides. Das ist Pommes mit Mayo.“
Die Suche nach der Identität wurde schon oft erzählt, diese Variante ist eine der guten. „Meteorstraße“ lebt von seiner Sprache und seinem so verschiedenen Hauptdarsteller-Duo. Regisseurin Aline Fischer hat ihren Abschlussfilm in so enger Zusammenarbeit mit den beiden Schauspielern entwickelt, dass die Pressemappe von „semi-dokumentarisch“ spricht. Das Ergebnis ist nicht immer plausibel, aber unheimlich intensiv.
„Meteorstraße“, D 2016; Regie und Drehbuch: Aline Fischer, mit Hussein Eliraqui, Oktay Inanç Özdemir, Bodo Goldbeck, 84 Minuten