Die zwölf Monate seit der US-Wahl sind eine Chronologie der Skandale. Da wären: ein mehrfach verändertes Einreiseverbot, das von diversen Bundesgerichten als verfassungswidrig eingestuft wurde. Ein nationaler Sicherheitsberater, der schon im Frühjahr zurücktreten musste. Ein FBI-Direktor, der von Trump entlassen wurde. Ein Tweetstorm des Präsidenten gegen Justiz und Presse. Und eine Serie von Zeitungsberichten über konspirative Treffen und Manipulationen im Wahlkampf. Die Vorwürfe reichen von Behinderung der Justiz, möglichem Meineid und finanzieller Vorteilsnahme bis zu geheimen Absprachen mit Russland.
Die Presse
Viele US-Medien polarisieren stark. Vor allem im Internet, im Radio und im Fernsehen ist der plakative Meinungsjournalismus zum Geschäftsmodell geworden. Gleichzeitig ist das Vertrauen der Amerikaner in die Presse jahrelang gesunken. Im Herbst 2016 – kurz vor der Wahl – war es so niedrig wie nie zuvor. Lediglich 32 Prozent gaben in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup an, großes Vertrauen in die Arbeit von Journalisten zu haben. Vor zehn Jahren waren es noch 47 Prozent. Doch seit der Wahl steigen die Werte wieder. Für viele liberale Medien ist kritische Berichterstattung über den Präsidenten zur Mission und zum Geschäftsmodell geworden. Die „Washington Post“ wirbt beispielsweise nach dem Amtsantritt Trumps mit dem Leitspruch „Democracy Dies in Darkness“. Journalisten der großen Zeitungen sind für viele Enthüllungen der letzten Monate verantwortlich.
Die Gerichte
Als die Trump-Regierung im Januar 2017 verkündete, Menschen aus sieben muslimisch geprägten Ländern die Einreise in die USA vorübergehend zu verbieten, waren die Anwälte schon vorbereitet. Bürgerrechtsorganisationen wie die ACLU zogen vor Gericht, um den Erlass als verfassungswidrig und diskriminierend verbieten zu lassen. Bisher haben sie überwiegend recht bekommen; die Umsetzung liegt zumindest teilweise auf Eis. Die Regierung hat zwar mehrfach nachgebessert, doch neue Klagen werden auch weiterhin eingereicht – zum Beispiel gegen einen Erlass, der Transsexuellen den Militärdienst verbieten soll. Der Exekutivmacht des mächtigsten Mannes der Welt werden also weiterhin Grenzen aufgezeigt. „Sehr frustrierend“ sei das alles, so Trump.
Das Parlament
Parallel zur Justiz interessiert sich auch das Parlament für den Präsidenten. Zwei Ausschüsse beschäftigen sich seit dem Frühjahr mit Vorwürfen, dass Trumps Wahlkampfteam gemeinsam mit Russland versucht haben soll, Hillary Clinton auszuspionieren und ihren Wahlkampf zu diskreditieren. Die Demokraten sind dabei die treibende Kraft – denn viele Republikaner haben wenig Interesse daran, dem Weißen Haus zu schaden. Sie argumentieren, dass die Vorwürfe haltlos seien oder lediglich zeigen, dass der Präsident schlecht beraten wurde. Ein „Nothing Burger“ sei die ganze Affäre: viel Lärm um nichts. Doch anklagen können die Ausschüsse sowieso niemanden. Sie sammeln und sichten lediglich Beweise.
Der Sonderermittler
Größere Sorgen muss sich die Regierung womöglich um Sonderermittler Mueller machen. Er wurde vom Justizministerium ernannt, nachdem Trump abrupt den FBI-Direktor entlassen hatte – angeblich, um Ermittlungen gegen seine Berater zu unterbinden. Im Köcher der Justiz ist ein Sonderermittler der schärfste Pfeil. Mueller hat (anders als die Kongressausschüsse) die Befugnis, Dokumente zu beschlagnahmen, Zeugen zur Aussage zu verpflichten, eine Jury aufzustellen und Anklagen einzureichen.
Mueller hat inzwischen ein Team zusammengestellt, das sich vor allem auf Anklagen gegen Wirtschaftsverbrecher und Mafiabosse konzentriert hat. Viele dieser Prozesse fingen klein an: In den Prozessen gegen die Genovese-Mafia zum Beispiel klagte Star-Anwalt Andrew Weissmann zuerst die Handlanger des organisierten Verbrechens an – bis einer einknickte, sich zum Informanten der Justiz machen ließ und gegen die Hintermänner aussagte. In einem anderen Fall verklagte sein Team die Ehefrau eines Enron-Managers und bewegte den Mann somit dazu, strafmildernd als Zeuge aufzutreten. Momentan mehren sich die Anzeichen, dass Mueller eine ähnliche Strategie verfolgt und sich langsam vortastet: von Anklagen wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung bis zu Anklagen wegen Behinderung der Justiz, von Prozessen gegen externe Berater bis zu Prozessen gegen die Protagonisten. Trumps ehemaliger Wahlkampfmanager ist bereits angeklagt; ein weiterer Mitarbeiter kooperiert seit dem Sommer mit der Justiz. Doch wer sich am Ende wofür vor Gericht verantworten muss, ist derzeit noch nicht abzusehen. Bisher hat Mueller es geschafft, dass selten Informationen an die Presse durchsickern.
Ob die Justiz den Präsidenten überhaupt rechtskräftig verurteilen kann, wird in den USA kontrovers diskutiert. Denn anders als beispielsweise die deutsche Kanzlerin ist der Präsident befähigt, andere zu begnadigen oder dem Justizministerium die Entlassung des Sonderermittlers aufzutragen. Selbst wenn Trump sich selbst von allen Vorwürfen freisprechen würde, wäre das eine beispiellose Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien, aber nicht notwendigerweise illegal. Wäre Trump dazu bereit? Auch das ist derzeit noch offen.
So oder so: Eine Amtsenthebung ist ein politischer Akt. Laut Artikel 1 der Verfassung liegt es an den beiden Kammern des Kongresses, ein Verfahren einzuleiten und den Präsidenten oder seine Minister mit Zweidrittelmehrheit abzusetzen. Findet sich also im Parlament keine Mehrheit, bleibt der Präsident im Amt. Je stärker Trump durch die Arbeit von Mueller oder die Aussagen von Mitarbeitern belastet wird, desto größer wird der Druck auf die Parlamentarier und speziell auf Trumps Parteifreunde. Je höher die Umfragewerte des Präsidenten, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Trump ein eventuelles Verfahren überstehen kann.
In der Geschichte der USA wurde noch nie ein Präsident auf diese Weise abgesetzt. Nixon wäre das 1974 wegen der Watergate-Affäre fast passiert. Ein Sonderermittler untersuchte damals einen Einbruch ins Wahlkampfbüro der Demokraten. Als sich die Anzeichen für Nixons Mitwisserschaft verdichteten, ordnete der Präsident die Entlassung des Sonderermittlers an. Der Generalbundesanwalt trat aus Protest zurück; Nixon verlor zuerst die Unterstützung der Öffentlichkeit und dann den Rückhalt im Kongress. Er trat dann lieber selbst zurück, als sich einer Abstimmung zur Amtsenthebung zu stellen.
Die Öffentlichkeit
Mindestens genauso wichtig wie die laufenden Ermittlungen ist daher das politische Klima im Land. Ein Jahr nach der Wahl sind lediglich 37 Prozent der Amerikaner zufrieden mit der Arbeit des Präsidenten, 59 Prozent sind unzufrieden und der Rest unentschieden. Das sind die schlechtesten Werte eines Präsidenten in seinem ersten Amtsjahr seit etwa 70 Jahren. Doch die Basis hält Trump weiterhin die Treue. Für viele Wähler, die sich abgehängt und von der Politik vernachlässigt fühlen, ist der Präsident weiterhin die beste Option, weil er genau das Gegenteil des etablierten und besonnenen Politikers darstellt.
Vor dieser Basis haben auch viele Republikaner Respekt – denn bei den innerparteilichen Vorwahlen stellt sie in konservativ geprägten Bezirken oftmals die Mehrheit. Wer in den USA derzeit für die Republikaner antreten will, muss sich also zuerst gegen stramm rechte und populistische Konkurrenten in der eigenen Partei durchsetzen. Kritik am Präsidenten wird in diesem Klima schnell als Dolchstoß in den Rücken der Regierung interpretiert. Mit Jeff Flake hat sich Ende Oktober bereits ein prominenter Senator der alten konservativen Garde und regelmäßiger Kritiker des Präsidenten gegen eine erneute Kandidatur für den Senat entschlossen. Seine politische Heimat sei ihm verloren gegangen, schreibt Flake.
Um seine Umfragewerte zu verbessern, drängt der Präsident mit Nachdruck auf konkrete Erfolge. Derzeit debattiert das Parlament über eine weitreichende Steuerreform, die zum Eckpunkt von Trumps Agenda werden soll. Im US-Repräsentantenhaus stimmte eine Mehrheit dafür. Kommt der Entwurf auch durch den Senat, hätte Trump sein erstes größeres Wahlkampfversprechen eingelöst. Beim Thema Zuwanderung versucht der Präsident ebenfalls, Fakten zu schaffen und Versprechen aus dem Wahlkampf zu erfüllen. Per Erlass hat er ein Programm gestoppt, dass Kindern von Migranten ein Bleiberecht in den USA einräumt. Eine neue Version des Einreiseverbots ist bis zur finalen Entscheidung der Gerichte teilweise in Kraft getreten.
Auch die Opposition setzt auf den Druck der Massen und versucht, Trump als Chaos-Präsidenten zu brandmarken und jede Abstimmung zum Referendum über seine Arbeit zu machen. Anfang November hat diese Strategie bereits bei Regionalwahlen Erfolg gezeigt. Richtig ernst wird es allerdings erst im Herbst 2018: Bei den Zwischenwahlen ringen die Demokraten darum, wieder stärkste Partei im Kongress zu werden. Oppositionsführerin Nancy Pelosi ist momentan dabei, ihre Partei darauf einzuschwören. Das Ziel der Demokraten sei nicht primär die Amtsenthebung Trumps, so Pelosi, sondern ein Sieg an der Wahlurne.
Nach dem Geschichtsstudium in Harvard kam der gebürtige Mainzer Martin Eiermann 2010 zum Debattenmagazin „The European“. Als stellvertretender Chefredakteur berichtete er aus Berlin und London zu Europa und zu gesellschaftspolitischen Themen. Inzwischen lehrt und forscht er als Soziologie an der Universität von Kalifornien in Berkeley und arbeitet als Research Fellow am Tony Blair Institute for Global Change zum Thema Populismus.
Illustration: Bureau Chateau / Jannis Pätzold