Am 4. November 2008 endet in Amerika der längste und vielleicht auch spannendste Wahlkampf der Geschichte. Es ist ein Wahlkampf, der Amerika aus der Krise führen soll. Seit fünfeinhalb Jahren führt Amerika einen glücklosen Krieg im Irak, das Land steht vor einer Rezession, und ist politisch gespalten in ein rechtes und linkes Lager. Die Wahl des Präsidenten ist diesmal mehr als nur die Auslese innerhalb einer Elite aus zwei Parteien, den Demokraten und den Republikanern. Am 4. November geht es auch um das Ende einer Ära.

Diese begann 1980 mit der Wahl Ronald Reagans. Damals waren die Amerikaner die Hippies ebenso leid wie die Feministen, Kriegsgegner und Bürgerrechtler. Die Wahl Reagans war eine Kampfansage an alle, die die konservative Weltordnung infrage stellten. Das Land teilte sich fortan in blaue, demokratische und rote, republikanische Staaten, der Kulturkrieg beherrschte Jahrzehnte lang die Wahlen, den Regierungsalltag, er brachte das Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton und schließlich die Präsidentschaft von George W. Bush. 

Im Wahlkampf 2008 ist für Amerika etwas bisher Unvorstellbares passiert: Barack Obama, 47, gewinnt den Vorwahlkampf und wird der erste schwarze Präsidentschaftskandidat einer der beiden großen Parteien. Er tritt gegen den weißen Vietnam-Veteranen John McCain an, der mit 72 Jahren mehr als eine Generation älter ist. Ob Obama die Wahl nun gewinnt oder nicht – schon jetzt hat er Amerika nachhaltig verändert. Obama, der Beach-Boy aus Hawaii, wurde zum Symbol für einen Neuanfang. Obama ist wie Urlaub. Urlaub vom Kulturkrieg, von den Skandalen der Clinton-Jahre, aber vor allem vom Wahldebakel inlorida, von Guantánamo Bay und Abu Ghraib – Urlaub von Bush. Er gab die Schlagzahl im Wahlkampf vor und setzte die Akzente. Seine Dreifaltigkeit aus »Change, Hope and Unity« fand ein Echo im ganzen Land. Aber dann beschleicht Amerika doch immer wieder Zweifel: Ist Obama wirklich der Richtige? Ist er nicht doch zu jung? Zu unerfahren? Zu schwarz?

Es gibt noch immer Rassismus in Amerika, der sich nicht abbilden lässt in Umfragen, weil es sich nicht gehört, schlecht über Schwarze zu reden. Aber es gibt Codeworte, die jeder versteht. Bill Clinton hat sie gegen Obama im Vorwahlkampf benutzt, und vor allem bei der weißen Arbeiterschicht zeigten sie Wirkung. Es ist die Chance McCains. Die weiße Arbeiterschicht, die einst Ronald Reagan für sich gewann, die sogenannten »Reagan Democrats«, könnten auch diesmal wieder den Ausschlag geben. Sie trauen diesem Jungen nicht, Sohn einer weißen Mutter aus Kansas und eines schwarzen Vaters aus Kenia, geboren in einer Zeit, in der es in Amerika noch Bundesstaaten gab, die Mischehen ächteten.

Dagegen McCain. In Amerika ist er seit Jahren eine feste Größe in der Politik, er ist ein Patriot und ein Held. Er passt natürlich in diese Zeit, in der Kriege und Konflikte in Serie ausbrechen. Er weiß, wie brutal es draußen zugeht in der richtigen Welt, er wurde schließlich jahrelang gefoltert, in einem Kriegsgefängnis in Vietnam. Je schwieriger die Weltlage ist, desto besser kommt er an. Da Obama, der Träumer. Hier McCain, der Realpolitiker. Ist aber alles verloren, wenn McCain gewinnt? Der Aufbruch? Die Begeisterung einer neuen Generation? Wäre McCain also nichts anderes als Bush III, eine Verlängerung der unheilvollen Bush-Jahre?

Keineswegs. McCain ist kein Ideologe, kein Freund der religiösen Rechten wie Bush, eher ein Einzelgänger, ein Querdenker, manchmal ein Starrkopf, der Brücken zu den Demokraten baute und sich auch gegen die Mehrheit seiner Partei stellte. »Maverick« heißt er in Amerika zu Recht – ein Kalb, das ohne Mutter aufwächst. Auch er muss Amerikas Krieg im Irak beenden, auch er muss neue Allianzen aufbauen, auch er braucht eine Antwort auf die drohende Rezession. Und diese Antwort muss sich unterscheiden von der George W. Bushs. Es gibt eine Annäherung der Werte, vor allem in der Sozial- und in der Umweltpolitik. Es gibt eine Chance für eine Ära, in der sich der Staat zurückmeldet als ordnende Kraft. 

Seit den 70er-Jahren, als Richard Nixon die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung erwog, ist nicht mehr so ernsthaft über den Ausbau des Sozialstaats diskutiert worden wie heute. Alle Bewerber der Demokraten hatten ein detailliertes Konzept für eine Krankenversicherung für alle vorgelegt, und selbst die wirtschaftsliberalen Republikaner haben das Thema entdeckt. McCain zeigt sich ebenfalls offen für »linke« Themen, etwa den Umweltschutz. Egal, wie die Wahl ausgeht – das zumindest ist schon jetzt ein Schritt in die richtige Richtung. 

Marc Hujer war für den »Spiegel« in den USA. Gemeinsam mit dem »Spiegel«-Auslandschef Gerhard Spörl hat er das Buch »Die wiedervereinigten Staaten von Amerika« (Scherz Verlag, 322 S., 14,90 Euro) geschrieben. Fünf Exemplare von diesem Buch verlosen wir unter www.fluter.de